Pulpo Eléctrico: In diesen Tentakeln bleibt man gerne hängen
Ein Oktopus fischt nach allerlei musikalischen Stilen: In der gut besuchten Kultur-Brasserie Terminus stellte sich Pulpo Eléctrico vor.
Ein elektrischer Tintenfisch auf Schein-Werfer-Basis? Das schreit nach einer Erklärung. Mit dem unter Strom stehenden Kopffüßer ist eine Band gemeint: „Pulpo Eléctrico“nennt sich ein Saarbrücker Quartett, das wie ein Krake mit gierigen Fangarmen munter nach Jazz, Pop und Rock grapscht, alles in Octopus's Garden zieht und dort experimentierfreudig zu einer Mixtur verquirlt, die auf angenehme Art wie aus der Zeit gefallen klingt.
Am Wochenende gastierte das Ensemble im Saarbrücker Musik-Bistro Terminus, und die „Schein-Werfer“Basis spielt schlicht darauf an, dass Patron Geoffroy Muller dort bei seinen Hutsammlungen generell kein Kleingeld klingeln hören möchte – wenigstens fünf Euro sollte ein Konzert jedem Hörer wert sein.
Falls sich alle daran gehalten haben, dürfte am Sonnabend ein akzeptabler Mindestlohn zusammen gekommen sein, denn das Terminus drohte vor Publikum wieder mal schier zu platzen. Umso erfreulicher, weil der Pulpo Eléctrico hier quasi einen Neustart wagte; das letzte Konzert ist schon ein
Weilchen her.
Gegründet wurde die Gruppe bereits vor Jahren von dem Bassisten Rudy Schaaf, der sich für sein Projekt stilistisch an den Progressiv-Rockern von „King Crimson“orientierte: Als Folie denke man sich 70er-Jahre Art-Rock, der sich beständig selbst erneuert, indem er diverse Einflüsse aufsaugt. Von der ursprünglichen Besetzung blieben Schaaf, die deutschschwedische Sängerin Nika Jonsson sowie der Multiinstrumentalist und Beat-Boxer David Windmüller übrig. Zu diesem harten Kern gesellte sich schließlich der Gitarrist Frank Brückner, und als der Krake gerade in neuer Formation durchstarten wollte, machte die Pandemie ihm einen Strich durch die Rechnung.
Aber jetzt möchte der Oktopus wieder öfter live in die Steckdose fassen, um seine elektrifizierenden Schwingungen unters Volk zu bringen. Noten und Texte stammen aus eigener Feder; Tinte ist genug da, sie wird ja quasi selbst produziert. Das Ensemble hat Langsames und Flottes in petto, vom Fantasy-Stück „McNeely“über das atemlose „Madrid me mata“(„Madrid bringt mich um“) bis zum druckvollen „The last days of Jazz“.
Bei den oft kurios betitelten Stücken geht's meist groovig und gern funky zur Sache; im stimulierenden Puls verschmilzt Schaafs E-Bass mit den Beats von Windmüller, der hier als Steh-Schlagzeuger ausschließlich auf Becken spielt und dazu Oralpercussion macht – ein denkbar ausgefallenes Konzept mit ganz speziellem Klangcharakter.
Festhalten kann man sich bei den Pulpo-Nummern an eingängigen Motiven, parallelen Läufen und hypno
tisch einprägsamen Wiederholungen, aus denen die einzelnen Bandmitglieder immer wieder ausbrechen. Brückner etwa breitet mit der E-Gitarre mal hallgeschwängerte, flächige Sounds aus, mal rockt er mit hämmerndem Stakkato oder schreitet mit dezenter Verzerrung zur Tat.
Aber wenn's besonders emotional, offensiv, ja sogar aggressiv zur Sache ging, verdankte sich das meist vor allem Jonsson, deren Energie die anderen mitriss: Mit dem Vocoder steuerte
sie spezielle Sounds bei, sang dank moderner Technik mit sich selbst im Chor und empfahl sich (trotz Erkältung) wieder mal als Frau für alle Ton- und Gefühlslagen.
Zu einem der Höhepunkte des Abends avancierte etwa die herrlich überdrehte Liebeskummer-Nummer „Terrible Moon“, die Jonsson außerdem Gelegenheit bot, ihr theatralisches Talent unter Beweis zu stellen. Die psychedelisch vor sich hin delirierende Ballade klingt, als habe sich eine Komposition aus dem Hause Brecht/Weill in die Hawaii-seligen 50er-Jahre verirrt und irre dort zunehmend beschwipst umher. Zu schnuckelig twangender Gitarre und laszivem Bass steigerte sich Jonsson dabei in einen regelrecht hysterischen Taumel und hantierte parallel bühnenwirksam mit einer illuminierten Mondkugel, was Schaaf wie folgt kommentierte: „Annika, vielen Dank für diese eindrucksvolle Darbietung.“Mit solch knochentrockenem Humor moderiert wohl nur ein echter Rheinländer.
Nicht minder kernig, aber wesentlich komplexer als Schaafs verbale Einlassungen waren die Beiträge des mit viel Applaus bedachten „Special Guests“Matthias Jung. Mit seinen fein strukturierten und expressiven Soli auf Sopran- und Altsax veredelte der „BigBand-erfahrene alte Hase“(Schaaf) hier etliche Stücke, beispielsweise das pandemisch inspirierte „Virology“, und würzte sie mit einer explosiven Extra-Dosis jazziger Improvisation. Der elektrische Tintenfisch wäre vielleicht gut beraten, den Mann dauerhaft zu integrieren – es gibt ja auch Exemplare mit zehn Tentakeln.