Saarbruecker Zeitung

Pulpo Eléctrico: In diesen Tentakeln bleibt man gerne hängen

Ein Oktopus fischt nach allerlei musikalisc­hen Stilen: In der gut besuchten Kultur-Brasserie Terminus stellte sich Pulpo Eléctrico vor.

- VON KERSTIN KRÄMER

Ein elektrisch­er Tintenfisc­h auf Schein-Werfer-Basis? Das schreit nach einer Erklärung. Mit dem unter Strom stehenden Kopffüßer ist eine Band gemeint: „Pulpo Eléctrico“nennt sich ein Saarbrücke­r Quartett, das wie ein Krake mit gierigen Fangarmen munter nach Jazz, Pop und Rock grapscht, alles in Octopus's Garden zieht und dort experiment­ierfreudig zu einer Mixtur verquirlt, die auf angenehme Art wie aus der Zeit gefallen klingt.

Am Wochenende gastierte das Ensemble im Saarbrücke­r Musik-Bistro Terminus, und die „Schein-Werfer“Basis spielt schlicht darauf an, dass Patron Geoffroy Muller dort bei seinen Hutsammlun­gen generell kein Kleingeld klingeln hören möchte – wenigstens fünf Euro sollte ein Konzert jedem Hörer wert sein.

Falls sich alle daran gehalten haben, dürfte am Sonnabend ein akzeptable­r Mindestloh­n zusammen gekommen sein, denn das Terminus drohte vor Publikum wieder mal schier zu platzen. Umso erfreulich­er, weil der Pulpo Eléctrico hier quasi einen Neustart wagte; das letzte Konzert ist schon ein

Weilchen her.

Gegründet wurde die Gruppe bereits vor Jahren von dem Bassisten Rudy Schaaf, der sich für sein Projekt stilistisc­h an den Progressiv-Rockern von „King Crimson“orientiert­e: Als Folie denke man sich 70er-Jahre Art-Rock, der sich beständig selbst erneuert, indem er diverse Einflüsse aufsaugt. Von der ursprüngli­chen Besetzung blieben Schaaf, die deutschsch­wedische Sängerin Nika Jonsson sowie der Multiinstr­umentalist und Beat-Boxer David Windmüller übrig. Zu diesem harten Kern gesellte sich schließlic­h der Gitarrist Frank Brückner, und als der Krake gerade in neuer Formation durchstart­en wollte, machte die Pandemie ihm einen Strich durch die Rechnung.

Aber jetzt möchte der Oktopus wieder öfter live in die Steckdose fassen, um seine elektrifiz­ierenden Schwingung­en unters Volk zu bringen. Noten und Texte stammen aus eigener Feder; Tinte ist genug da, sie wird ja quasi selbst produziert. Das Ensemble hat Langsames und Flottes in petto, vom Fantasy-Stück „McNeely“über das atemlose „Madrid me mata“(„Madrid bringt mich um“) bis zum druckvolle­n „The last days of Jazz“.

Bei den oft kurios betitelten Stücken geht's meist groovig und gern funky zur Sache; im stimuliere­nden Puls verschmilz­t Schaafs E-Bass mit den Beats von Windmüller, der hier als Steh-Schlagzeug­er ausschließ­lich auf Becken spielt und dazu Oralpercus­sion macht – ein denkbar ausgefalle­nes Konzept mit ganz speziellem Klangchara­kter.

Festhalten kann man sich bei den Pulpo-Nummern an eingängige­n Motiven, parallelen Läufen und hypno

tisch einprägsam­en Wiederholu­ngen, aus denen die einzelnen Bandmitgli­eder immer wieder ausbrechen. Brückner etwa breitet mit der E-Gitarre mal hallgeschw­ängerte, flächige Sounds aus, mal rockt er mit hämmerndem Stakkato oder schreitet mit dezenter Verzerrung zur Tat.

Aber wenn's besonders emotional, offensiv, ja sogar aggressiv zur Sache ging, verdankte sich das meist vor allem Jonsson, deren Energie die anderen mitriss: Mit dem Vocoder steuerte

sie spezielle Sounds bei, sang dank moderner Technik mit sich selbst im Chor und empfahl sich (trotz Erkältung) wieder mal als Frau für alle Ton- und Gefühlslag­en.

Zu einem der Höhepunkte des Abends avancierte etwa die herrlich überdrehte Liebeskumm­er-Nummer „Terrible Moon“, die Jonsson außerdem Gelegenhei­t bot, ihr theatralis­ches Talent unter Beweis zu stellen. Die psychedeli­sch vor sich hin delirieren­de Ballade klingt, als habe sich eine Kompositio­n aus dem Hause Brecht/Weill in die Hawaii-seligen 50er-Jahre verirrt und irre dort zunehmend beschwipst umher. Zu schnuckeli­g twangender Gitarre und laszivem Bass steigerte sich Jonsson dabei in einen regelrecht hysterisch­en Taumel und hantierte parallel bühnenwirk­sam mit einer illuminier­ten Mondkugel, was Schaaf wie folgt kommentier­te: „Annika, vielen Dank für diese eindrucksv­olle Darbietung.“Mit solch knochentro­ckenem Humor moderiert wohl nur ein echter Rheinlände­r.

Nicht minder kernig, aber wesentlich komplexer als Schaafs verbale Einlassung­en waren die Beiträge des mit viel Applaus bedachten „Special Guests“Matthias Jung. Mit seinen fein strukturie­rten und expressive­n Soli auf Sopran- und Altsax veredelte der „BigBand-erfahrene alte Hase“(Schaaf) hier etliche Stücke, beispielsw­eise das pandemisch inspiriert­e „Virology“, und würzte sie mit einer explosiven Extra-Dosis jazziger Improvisat­ion. Der elektrisch­e Tintenfisc­h wäre vielleicht gut beraten, den Mann dauerhaft zu integriere­n – es gibt ja auch Exemplare mit zehn Tentakeln.

 ?? FOTO: KERSTIN KRÄMER ?? Ein freundlich­es Meeresunge­heuer: Pulpo Eléctrico mit Bassist und Bandgründe­r Rudy Schaaf (hinten links), Beatboxer David Windmüller (hinten rechts), Sängerin Annika „Nika“Jonsson am Vocoder (vorne links) und Gitarrist Frank Brückner (rechts). Gast: Matthias Jung an Sopran- und Altosax (Mitte).
FOTO: KERSTIN KRÄMER Ein freundlich­es Meeresunge­heuer: Pulpo Eléctrico mit Bassist und Bandgründe­r Rudy Schaaf (hinten links), Beatboxer David Windmüller (hinten rechts), Sängerin Annika „Nika“Jonsson am Vocoder (vorne links) und Gitarrist Frank Brückner (rechts). Gast: Matthias Jung an Sopran- und Altosax (Mitte).

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