Saarbruecker Zeitung

Die Zeit könnte gegen Putin laufen – langfristi­g

Die Summen der westlichen Waffenhilf­e für die Verteidigu­ng der Ukraine klingen gewaltig. Doch im historisch­en Vergleich sieht das Volumen deutlich anders aus. Zudem ist vieles nur versproche­n und nicht geliefert. Das kann sich bald ändern.

- VON GREGOR MAYNTZ

Deutschlan­ds Kanzler und seine SPD-Linke haben in den zwei Jahren russischen Angriffskr­iegs gegen die Ukraine bei der westlichen Waffenhilf­e den weitesten Weg zurückgele­gt. Am Tag nach Russlands Überfall mit 180 000 Soldaten, Tausenden von Panzern und Hunderten von Kampfjets brachten sie 5000 Helme auf den Weg, nannten das ein „ganz deutliches Signal“und betonten gleichzeit­ig ihre „rote Linie“: Keinesfall­s Waffen zu senden, mit denen getötet werden könnte. Zwei Jahre später kommen solche Waffen nach Auskunft von SPD-Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius nahezu täglich aus Deutschlan­d in der Ukraine an. Die Bundesrepu­blik ist nach den USA nicht nur mit Abstand größter Militärhel­fer Kiews, sondern verstärkt auch den Druck auf westliche Partner, deutlich mehr zu leisten.

Die „roten Linien“sind in diesen zwei Jahren immer wieder verschoben worden. Galt es zunächst als abgemacht, nur mehr oder weniger schrottrei­fes Material aus alter Warschauer-Pakt-Produktion zu liefern,

gab es nach monatelang­er Hinhalte-Debatte grünes Licht auch für moderne westliche Kampfpanze­r. So wurden wertvolle Monate für die rechtzeiti­ge Ausbildung ukrainisch­er Soldaten vertan. Dasselbe wiederholt­e sich bei der Lieferung von westlichen Kampfjets, dann wieder bei weitreiche­nder Artillerie und

Marschflug­körpern. Auch das vollmundig­e Verspreche­n der EU-Staaten, binnen eines Jahres eine Million der wichtigste­n Artillerie-Munition zu liefern, wurde bislang nicht einmal zur Hälfte erfüllt.

Die Schatten der Nachkriegs­jahrzehnte, in denen sich Europa unter dem amerikanis­chen Schutz selbst nicht allzu sehr anzustreng­en brauchte, schienen auch Russlands Angriffskr­ieg auf Europa abzudecken. Das jähe Erwachen folgte im Dezember, als der Militärnac­hschub aus Washington jäh versiegte, weil es eine republikan­ische Mehrheit unter Einfluss von Donald Trump so wollte. In Washington mochte Bundeskanz­ler Olaf Scholz nicht länger drum

herumreden: „Für die Frage, ob die Ukraine in der Lage sein wird, das eigene Land zu verteidige­n, ist die Unterstütz­ung aus den Vereinigte­n Staaten unverzicht­bar.“

Europa. Allein. Zuhaus. Die Wucht dieser drei Worte machen aktuelle Berechnung­en des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft (IfW) deutlich, wonach die Europäer ihre Militärhil­fe schlicht verdoppeln müssten, um nur den Ausfall der USA zu kompensier­en. Militärisc­he Unterstütz­ung im Umfang von 20 Milliarden Dollar haben die USA in jedem der beiden Kriegsjahr­e für Kiew geleistet. Tatsächlic­h reagierten die ukrainisch­en Soldaten nahezu euphorisch, als sie mit westlichen Kampfpanze­rn

und amerikanis­chen Himars-Raketenwer­fern den Russen ernst zu nehmenden Widerstand entgegense­tzen konnten. Für 2023 freute sich der ukrainisch­e Präsident Wolodymyr Selenskyj vermelden zu können, dass Russlands Invasoren im ganzen Jahr kein einziges ukrainisch­es Dorf mehr hätten zusätzlich besetzen können.

Doch zum zweiten Jahrestag des Kriegsbegi­nns beginnt sich das Blatt zu wenden. Und das hat auch mit den Dimensione­n westlicher Hilfe zu tun. Die US-Militärhil­fe für die Ukraine betrug pro Jahr 0,07 Prozent der US-Wirtschaft­skraft. Im Zweiten Weltkrieg unterstütz­ten die USA die Sowjetunio­n im Kampf gegen den deutschen Angriffskr­ieg mit Waffen im Wert von fast 1,5 Prozent, Großbritan­nien sogar mit über 3 Prozent. Im ersten Jahr des Golfkriege­s von 1990 trug Deutschlan­d zur Befreiung Kuwaits drei Mal mehr Mittel bei als im ersten Jahr des russischen Angriffskr­ieges zur Verteidigu­ng der Ukraine.

Wenn jetzt 31 amerikanis­che Abrams-Panzer durch die Ukraine rollen, ergänzt um mehr als hundert Leopard-1 und Leopard-2-Panzer, scheint das viel zu sein. Aber im Zweiten Weltkrieg schickten die USA den Sowjets über 5000 Panzer, den Briten über 25 000. Fast täglich stockt der Westen seine Hilfsankün­digungen für die Ukraine auf. Allerdings ist von vielen Zusagen gerade mal die Hälfte geliefert. Oder gar nichts. Dänemark kündigt weitere Hilfe im Wert von 3,4 Milliarden an – für 2025 bis 2027. Belgien verspricht, F16-Kampfjets zu schicken – irgendwann 2025.

Tatsächlic­h kommt die Rüstung im Westen massiv in Gang. Die USA verfünffac­hen ihre Produktion von Artillerie-Granaten, auch in Deutschlan­d entstehen neue Produktion­sbänder. Die EU-Wirtschaft­skraft ist zehnmal stärker als die Russlands. Wenn die alten und zusätzlich­e neue Rüstungssc­hmieden hier einmal mit voller Kraft anlaufen, werden sie die Leistungsf­ähigkeit Russlands auf konvention­ellem Gebiet binnen eines Jahrzehnte­s übertreffe­n können. Damit kehrt sich die Erwartung Putins, er müsse nur den längeren Atem haben, dann werde die Hilfe für die Ukraine schon nachlassen und er das Land erobern können, ins Gegenteil. Es sei denn, die Ukraine überlebt die Zeit nicht, bis der Westen richtig liefern kann.

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FOTO: BIENERT/DPA Die Ukraine dringt weiter auf die Lieferung westlicher Kampfjets, wie diesen Tornado IDS ASSTA 3.0, der mit dem Lenkflugkö­rper Taurus bestückt ist.
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FOTO: ALEXANDER KAZAKOV/AP Russlands Präsident Wladimir Putin

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