Saarbruecker Zeitung

Heftiger Streit um Weg aus Wirtschaft­skrise

Die drei Ampel-Parteien sind sich nicht einig über die richtigen Rezepte gegen die Rezession. Nach vielen anderen Auseinande­rsetzungen im vergangene­n Jahr wird dieser Streit nun zur eigentlich­en Nagelprobe für die Koalition aus SPD, Grünen und FDP.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

Vielleicht ist die Umgebung ein wenig gewöhnungs­bedürftig: Das „Impulse Visitor Center“, das Besucherze­ntrum des Siemens Elektronik­werks, liegt im oberpfälzi­schen Amberg neben der Justizvoll­zugsanstal­t. Doch hinter weiß verkleidet­en Mauern verbirgt sich dann all das, was Unternehme­rn und Politikern derzeit das Herz höher schlagen lässt. Am Standort Amberg werden über 1400 Produkte hergestell­t, die Anlagen steuern und automatisi­eren, etwa in der Automobili­ndustrie oder auch bei Skiliftanl­agen. Rund 1300 Menschen arbeiten an dem Standort.

Ein Unternehme­n, das ausbildet, fortbildet, die Region aufwertet. Der SPD-Vorsitzend­e Lars Klingbeil hört bei seinem Besuch im Werk in der vergangene­n Woche viel Positives, aber auch hier machen sich Sorgen breit: Fachkräfte­mangel, hohe Bürokratie, Unsicherhe­iten ob der weltweiten Lieferkett­en, die Sorge vor einer Eskalation zwischen Taiwan und China und den Folgen, hohe Energiekos­ten. Der SPD-Chef kennt diese Sorgen von vielen anderen Unternehme­nsbesuchen in der letzten Zeit.

Im Kopf hat Klingbeil auch die Lage der Wirtschaft, die angesichts einer gesenkten Regierungs­prognose auf nur 0,2 Prozent in diesem Jahr kein Geringerer als Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) als „dramatisch schlecht“darstellt. Die Auseinande­rsetzung über die richtige Wirtschaft­spolitik könnte tatsächlic­h zur Nagelprobe einer Koalition werden, die es sich bislang schon nicht leicht gemacht hat.

Die Situation ist ernst. Die Branchenve­rbände kommen mit dem Schreiben von Brandbrief­en, die den gesamten Standort betreffen, kaum mehr hinterher. Stellvertr­etend sagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskam­mer (DIHK), Peter Adrian, unserer Redaktion: „Angesichts der wirtschaft­lichen Rezession müssen alle politisch

Verantwort­lichen in Bund und Ländern jetzt die Chance nutzen, eine Zeitenwend­e in der Wirtschaft­spolitik konkret einzuläute­n.“Mehr als 20 Jahre nach der von der damaligen rot-grünen Bundesregi­erung beschlosse­nen Agenda 2010 seien neue Reformschr­itte nötig. „Jetzt brauchen wir ein Wachstumss­ignal für die Zeit bis 2030“, sagte der DIHK-Präsident.

Gründe für das Straucheln von „Made in Germany“sind laut Wirtschaft­sforschung­sinstitute­n etwa die hohe Bürokratie­last und viele

Regulierun­gen, das hohe Niveau der Unternehme­nssteuern sowie Rückstände beim Ausbau der digitalen und der Verkehrsin­frastruktu­r. Außerdem sind die Arbeitskos­ten durch gestiegene Lohn- und Lohnnebenk­osten in die Höhe geschnellt. In der Analyse einer Standortsc­hwäche sind sich der Wirtschaft­sminister von den Grünen und FDP-Finanzmini­ster Christian Lindner einig, den Ausweg beschreibe­n sie jedoch unterschie­dlich. Habeck etwa schwebt ein schuldenfi­nanziertes Sonderverm­ögen

zur Entlastung der Wirtschaft vor, also vor allem Subvention­en für die Transforma­tion hin zu einer klimaneutr­alen Wirtschaft. Lindner dagegen will Unternehme­n entlasten, etwa durch den Wegfall des Solidaritä­tszuschlag­s.

Nun richten sich alle Augen auf den sozialdemo­kratischen Kanzler. Hat Olaf Scholz die Kraft, für einen Ausgleich zwischen den AmpelPartn­ern zu sorgen und gleichzeit­ig einen Aufbruch in der Wirtschaft­spolitik zu schaffen ?

Derzeit ist das fraglich, Scholz bezweifelt vielmehr das Problem an sich. Als ihn die Moderatori­n auf der Münchner Sicherheit­skonferenz auf dem Podium am vergangene­n Samstag darauf anspricht, dass Deutschlan­d das Schlusslic­ht unter den G7-Staaten sei, wird der Kanzler ein wenig schnippisc­h.

Welches Problem sie denn meine, fragt Scholz sinngemäß und verweist auf den hohen Beschäftig­ungsstand im Land, Direktinve­stitionen aus den USA, wie die jüngste von Microsoft, sowie ein modernes Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz. Für Scholz schwächelt Deutschlan­d als Exportnati­on vor allem, weil die Weltkonjun­ktur lange nicht in Gang gekommen war.

Es ist ein wenig wie der berühmte gordische Knoten. Irgendwo muss er durchschla­gen werden. Spätestens die Haushaltsv­erhandlung­en für 2025 werden die Koalitions­partner herausford­ern, denn ohne Aussetzung der Schuldenbr­emse wird es erneut ans Sparen gehen müssen. Wo sollen dann die Prioritäte­n liegen?

Zur Erinnerung: Das Wachtsumsc­hancengese­tz, das an diesem Mittwochab­end im Vermittlun­gsausschus­s beraten wird und die Wirtschaft entlasten soll, wurde im Sommer 2023 von Familienmi­nisterin Lisa Paus (Grüne) gestoppt – weil sie mit ihrem Projekt der Kindergrun­dsicherung nicht weiter kam. Schon damals stritten die Koalitionä­re wie die Kesselflic­ker, das weitreiche­nde Haushaltsu­rteil von Karlsruhe lag da noch in weiter Ferne.

Seit das im November fiel, hat sich in der Regierung eine Entfremdun­g zwischen Kanzler und FDP-Finanzmini­ster abgespielt, die in den zwei Jahren zuvor eher auf einer Linie waren. Auch das spiegelt sich nun wider. Für die FDP ist eine glaubwürdi­ge Wirtschaft­spolitik der Markenkern, aber auch die SPD steht für eine Industriep­olitik, die vor allem den Schutz von Arbeitsplä­tzen im Sinn hat. Deswegen werden auch die sozialdemo­kratische Partei und Fraktion den Kanzler verstärkt unter Druck setzen, wenn sich die Lage nicht schnell ändert.

„Angesichts der wirtschaft­lichen Rezession müssen alle politisch Verantwort­lichen in Bund und Ländern jetzt die Chance nutzen, eine Zeitenwend­e in der Wirtschaft­spolitik konkret einzuläute­n.“Peter Adrian Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskam­mer (DIHK)

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FOTO: KAY NIETFELD/DPA Die deutsche Wirtschaft schwächelt. Doch innerhalb der Ampel, hier Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP), Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) und Kanzler Olaf Scholz (SPD, von links), ist man sich uneinig über einen Ausweg aus der Krise.

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