Heftiger Streit um Weg aus Wirtschaftskrise
Die drei Ampel-Parteien sind sich nicht einig über die richtigen Rezepte gegen die Rezession. Nach vielen anderen Auseinandersetzungen im vergangenen Jahr wird dieser Streit nun zur eigentlichen Nagelprobe für die Koalition aus SPD, Grünen und FDP.
Vielleicht ist die Umgebung ein wenig gewöhnungsbedürftig: Das „Impulse Visitor Center“, das Besucherzentrum des Siemens Elektronikwerks, liegt im oberpfälzischen Amberg neben der Justizvollzugsanstalt. Doch hinter weiß verkleideten Mauern verbirgt sich dann all das, was Unternehmern und Politikern derzeit das Herz höher schlagen lässt. Am Standort Amberg werden über 1400 Produkte hergestellt, die Anlagen steuern und automatisieren, etwa in der Automobilindustrie oder auch bei Skiliftanlagen. Rund 1300 Menschen arbeiten an dem Standort.
Ein Unternehmen, das ausbildet, fortbildet, die Region aufwertet. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hört bei seinem Besuch im Werk in der vergangenen Woche viel Positives, aber auch hier machen sich Sorgen breit: Fachkräftemangel, hohe Bürokratie, Unsicherheiten ob der weltweiten Lieferketten, die Sorge vor einer Eskalation zwischen Taiwan und China und den Folgen, hohe Energiekosten. Der SPD-Chef kennt diese Sorgen von vielen anderen Unternehmensbesuchen in der letzten Zeit.
Im Kopf hat Klingbeil auch die Lage der Wirtschaft, die angesichts einer gesenkten Regierungsprognose auf nur 0,2 Prozent in diesem Jahr kein Geringerer als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) als „dramatisch schlecht“darstellt. Die Auseinandersetzung über die richtige Wirtschaftspolitik könnte tatsächlich zur Nagelprobe einer Koalition werden, die es sich bislang schon nicht leicht gemacht hat.
Die Situation ist ernst. Die Branchenverbände kommen mit dem Schreiben von Brandbriefen, die den gesamten Standort betreffen, kaum mehr hinterher. Stellvertretend sagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, unserer Redaktion: „Angesichts der wirtschaftlichen Rezession müssen alle politisch
Verantwortlichen in Bund und Ländern jetzt die Chance nutzen, eine Zeitenwende in der Wirtschaftspolitik konkret einzuläuten.“Mehr als 20 Jahre nach der von der damaligen rot-grünen Bundesregierung beschlossenen Agenda 2010 seien neue Reformschritte nötig. „Jetzt brauchen wir ein Wachstumssignal für die Zeit bis 2030“, sagte der DIHK-Präsident.
Gründe für das Straucheln von „Made in Germany“sind laut Wirtschaftsforschungsinstituten etwa die hohe Bürokratielast und viele
Regulierungen, das hohe Niveau der Unternehmenssteuern sowie Rückstände beim Ausbau der digitalen und der Verkehrsinfrastruktur. Außerdem sind die Arbeitskosten durch gestiegene Lohn- und Lohnnebenkosten in die Höhe geschnellt. In der Analyse einer Standortschwäche sind sich der Wirtschaftsminister von den Grünen und FDP-Finanzminister Christian Lindner einig, den Ausweg beschreiben sie jedoch unterschiedlich. Habeck etwa schwebt ein schuldenfinanziertes Sondervermögen
zur Entlastung der Wirtschaft vor, also vor allem Subventionen für die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft. Lindner dagegen will Unternehmen entlasten, etwa durch den Wegfall des Solidaritätszuschlags.
Nun richten sich alle Augen auf den sozialdemokratischen Kanzler. Hat Olaf Scholz die Kraft, für einen Ausgleich zwischen den AmpelPartnern zu sorgen und gleichzeitig einen Aufbruch in der Wirtschaftspolitik zu schaffen ?
Derzeit ist das fraglich, Scholz bezweifelt vielmehr das Problem an sich. Als ihn die Moderatorin auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf dem Podium am vergangenen Samstag darauf anspricht, dass Deutschland das Schlusslicht unter den G7-Staaten sei, wird der Kanzler ein wenig schnippisch.
Welches Problem sie denn meine, fragt Scholz sinngemäß und verweist auf den hohen Beschäftigungsstand im Land, Direktinvestitionen aus den USA, wie die jüngste von Microsoft, sowie ein modernes Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Für Scholz schwächelt Deutschland als Exportnation vor allem, weil die Weltkonjunktur lange nicht in Gang gekommen war.
Es ist ein wenig wie der berühmte gordische Knoten. Irgendwo muss er durchschlagen werden. Spätestens die Haushaltsverhandlungen für 2025 werden die Koalitionspartner herausfordern, denn ohne Aussetzung der Schuldenbremse wird es erneut ans Sparen gehen müssen. Wo sollen dann die Prioritäten liegen?
Zur Erinnerung: Das Wachtsumschancengesetz, das an diesem Mittwochabend im Vermittlungsausschuss beraten wird und die Wirtschaft entlasten soll, wurde im Sommer 2023 von Familienministerin Lisa Paus (Grüne) gestoppt – weil sie mit ihrem Projekt der Kindergrundsicherung nicht weiter kam. Schon damals stritten die Koalitionäre wie die Kesselflicker, das weitreichende Haushaltsurteil von Karlsruhe lag da noch in weiter Ferne.
Seit das im November fiel, hat sich in der Regierung eine Entfremdung zwischen Kanzler und FDP-Finanzminister abgespielt, die in den zwei Jahren zuvor eher auf einer Linie waren. Auch das spiegelt sich nun wider. Für die FDP ist eine glaubwürdige Wirtschaftspolitik der Markenkern, aber auch die SPD steht für eine Industriepolitik, die vor allem den Schutz von Arbeitsplätzen im Sinn hat. Deswegen werden auch die sozialdemokratische Partei und Fraktion den Kanzler verstärkt unter Druck setzen, wenn sich die Lage nicht schnell ändert.
„Angesichts der wirtschaftlichen Rezession müssen alle politisch Verantwortlichen in Bund und Ländern jetzt die Chance nutzen, eine Zeitenwende in der Wirtschaftspolitik konkret einzuläuten.“Peter Adrian Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK)