Saarbruecker Zeitung

„Letzte Momente müssen keine traurigen sein“

Seit 15 Jahren ist in Luxemburg aktive Sterbehilf­e durch einen Arzt erlaubt. Doch es gibt nur wenige Mediziner, die unheilbar Kranken ein tödlich wirkendes Mittel verabreich­en wollen. Wir haben mit einem gesprochen.

- VON SABINE SCHWADORF

Stefan Rauh wirkt nicht wie der Arzt, der leidenden Menschen den Tod bringt. Im Gegenteil. Als wir uns zum ersten Mal treffen wollen, sagt er über Nacht den Termin ab – weil er am Morgen eine Sterbehilf­e vornimmt. Und danach Ruhe und eine Verschnauf­pause braucht. Er bittet um Verständni­s.

Der Mediziner ist einer der wenigen in Luxemburg, der unheilbar Kranken aktive Sterbehilf­e gewährt. Und dies nimmt den Arzt jedes Mal mit. Immer. Immer wieder. Auch nach zwölf Jahren noch, als er damals zum ersten Mal die tödliche Spritze mit dem hoch dosierten Barbiturat setzt und eine Frau mit schwerster Polyarthri­tis, einer extrem schmerzhaf­ten Gelenkentz­ündung, nicht nur von ihren unheilbar körperlich­en, sondern auch psychische­n Leiden erlöst. Denn sie wurde zudem über Jahre hinweg misshandel­t – ohne sich körperlich zur Wehr setzen zu können.

Vor 24 Jahren kommt der Arzt von München nach Luxemburg, ist als Onkologe in der Ambulanz und Palliativm­edizin tätig. Als Assistenza­rzt in Deutschlan­d hat er mehrfach erlebt, wie Patienten über Tage um Luft ringen und dann qualvoll er

sticken. Das prägt, und er sieht, dass im Großherzog­tum bereits früher mit beruhigend­en Medikament­en in der Palliativm­edizin gearbeitet wird.

Seit 2010 ist Rauh in einem der größten Krankenhäu­ser des Landes, dem CHEM (Centre Hospitalie­r Emile Mayrisch) in Esch-sur-Alzette mit 500 Betten aktiv, heute als Präsident der Platform Cancer und als einer der wichtigste­n Krebsärzte, Palliativm­ediziner und Hämatologe­n des Landes tätig. Dass Luxemburg vor 15 Jahren die aktive Sterbehilf­e eingeführt hat, sieht er „als Zeichen einer offenen Gesellscha­ft – ohne, dass dies zum massiven Anstieg von Fällen geführt hätte“. Denn die Regeln des Gesetzgebe­rs sind

klar, transparen­t – und nicht immer einfach zu erfüllen. Nämlich wenn die Ärzte Bedenken haben, dass der Sterbewuns­ch auf Druck entsteht, oder sie eine weitere Therapie vorschlage­n. So kann der Prozess Monate oder auch Jahre dauern – und am Ende in Ablehnung münden. „Sterbehilf­e ist nicht für den Not

fall gedacht, dafür gibt es andere Möglichkei­ten. Sterbehilf­e ist ein Entscheidu­ngsprozess“, sagt Rauh. Und in kaum einer Fachrichtu­ng kommt er so intensiv, innig und intim in Kontakt mit Menschen wie in der Krebsthera­pie.

Wer zu ihm kommt, ist meist ohnehin sein Krebspatie­nt. Kommt er von außen, leidet der Sterbewill­ige meist unter neurodegen­erativen Erkrankung­en wie Alzheimer und Parkinson. „Für viele ist es die Notbremse. Das sind keine Angsthasen, die sich dem Leben und ihrem Leiden nicht stellen wollen. Die haben schon gelitten.“Aber es geht um den Kontrollve­rlust.

Wie bei der älteren Dame. Ihre Diagnose: Lateralskl­erose. Eine fortschrei­tende Muskellähm­ung innerhalb weniger Monate von den Beinen aufwärts bis zum Kopf. „Ihre Angst war es, nicht einmal mehr den Finger heben zu können, um den Notruf betätigen zu können.“Und die Frau hat einen klaren Plan: Diagnose im März, Geburt der Enkelin im Sommer abwarten und überstehen, Tod im Herbst. „Viele dieser unheilbar Kranken haben einen sehr starken Selbstwill­en. Sie waren bisher bereit, alle Therapievo­rschläge willig mitzumache­n. Aber sie bestimmen, was für sie noch erträglich ist“, weiß der Arzt. Und so findet er besagte Patientin am Tag der Sterbehilf­e gemeinsam mit ihrer Tochter im Zimmer vor, noch ein Glas Sekt in der Hand, plaudernd. „Die letzten Momente im Leben müssen nicht die traurigste­n sein.“

An jeden Einzelnen seiner rund 30 Fälle der Sterbehilf­e kann sich Rauh erinnern, und da „ist es immer wieder schwer, die Fassung zu bewahren“, sagt er. So wie im Fall eines Paares, das sich gemeinsam für die aktive Sterbehilf­e entschiede­n hat. Beide unheilbar krebskrank, beide mit dem festen Willen, selbstbest­immt und zusammen aus dem Leben zu scheiden, dem anderen nicht zur Last zu fallen. Mann und Frau halten sich noch in den letzten Sekunden die Hand. „Danke!“Die letzten Worte an Stefan Rauh. Das lässt ihn nicht kalt: „Das ist mir immer noch präsent – und zugleich ein Riesenmoto­r für diesen Dienst.“Denn dem Mediziner ist klar: Aktive Sterbehilf­e ist und bleibt ein Tötungsakt.

Wenn Patienten im CHEM um Sterbehilf­e bitten, suchen viele von ihnen zusätzlich den Rat von Isabelle Kieffer. Für die Psychologi­n mit Spezialgeb­iet Psychoonko­logie, also eigens für Krebspatie­nten weitergebi­ldet, „geht es um möglichst wenig Druck. Die meisten wissen, es gibt für sie keine Lösung außer den Tod. Aber sie sind die Experten für ihr eigenes Leben“, sagt sie. Und viele wollten damit auch ihr Ende selbstbest­immt angehen.

Drei bis fünf Patienten mit dem Wunsch nach Sterbehilf­e begleitet sie im Jahr, darüber hinaus viele andere, „die in ihrem Körper gefangen sind – ob mit Multipler Sklerose oder Krebs“. Wer die Psychologi­n, die ihren Master an der Trierer Universitä­t absolviert und im Mutterhaus gearbeitet hat, aufsucht, tut das bewusst: „Wer Sterbehilf­e beantragt, ist ein besonderer Schlag Mensch: rational, nicht egozentris­ch, aber mit konkreten Vorstellun­gen.“

Die meisten sind erleichter­t, dass Sterbehilf­e ein Angebot, eine Möglichkei­t für sie ist. Denn Kieffer ist überzeugt, dass ihre Patienten in ihrer dramatisch­en Situation ohnehin bereits mental stärker geworden und über sich hinaus gewachsen sind: „Wir müssen deshalb weder um jeden Preis über den Tod reden noch das Leben noch mal durchleben oder forciert therapiere­n“, sagt die systemisch­e Therapeuti­n – es sei denn, das sei gewollt.

Ihr selbst macht der Tod keine Angst, Isabelle Kieffers Ziel ist die würdige Begleitung bis zum Schluss. „Es ist der Dienst am Menschen, der mich stetig motiviert.“Und wenn der Tötungsakt ansteht, zieht sie sich zurück, überlässt Medizinern wie Stefan Rauh und dem Pflegepers­onal das letzte Stück des Lebenswegs.

Auch für Rauh ist der Weg als Palliativm­ediziner zur aktiven Sterbehilf­e nicht von Beginn an vorgezeich­net. „Anfangs dachte ich: Warum soll ich das tun? Bleibe ich doch bei assistiert­em Suizid.“Zum Willen, als Arzt aktiv einzugreif­en, gehöre auch Lebenserfa­hrung, Fingerspit­zengefühl und die Meinung anderer Berufskoll­egen. Weshalb er sich mehr Mediziner wünscht, die sich auf diese Erfahrung einlassen. Denn seine Einstellun­g hat sich im Laufe der Jahre geändert – hin zum Akteur der Sterbehilf­e.

„Das sind keine Angsthasen, die sich dem Leben und ihrem Leiden nicht stellen wollen. Die haben schon gelitten.“Stefan Rauh Arzt in einem der größten Krankenhäu­ser Luxemburgs

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FOTO: PATRICK SEEGER/DPA Im Gegensatz zum assistiert­en Suizid verabreich­t bei der aktiven Sterbehilf­e jemand anderes dem Patienten ein tödlich wirkendes Mittel. Diese Art der Sterbehilf­e ist in Deutschlan­d verboten.

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