Saarbruecker Zeitung

Bruce Lee, Saarbrücke­n und die Kino-Liebe

Der saarländis­che Autor Andreas Pflüger schreibt über seine 77 liebsten Filme. Im hinreißend­en Band „Herzschlag­kino“erfährt man einiges über die Filme – aber auch viel über Pflüger. Wieso hatte „Alien“romantisch­e Wirkung? Und wieso rief Götz George bei se

- VON TOBIAS KESSLER Andreas Pflüger: Herzschlag­kino. 77 Filme fürs Leben.

Bei manchen Filmen ist das ja so. Man geht ins Kino hinein – und kommt ein bisschen größer wieder heraus. So war das auch bei Andreas Pflüger. Als ersten Film im Kino schaute er sich in Saarbrücke­n „Todesgrüße aus Shanghai“an, ein Epos der stählernen Handkanten und spitzen Schreie mit Bruce Lee, den übrigens in der deutschen Fassung Elmar Wepper wunderbar kernig spricht. Pflüger war damals 15, aber nach dem Film „kein Junge mehr, sondern ein brandgefäh­rlicher Kerl; jedenfalls fühlte ich mich so“. Dass er später mal über Jahrzehnte hinweg Drehbücher schreiben würde, konnte er damals nicht wissen. Aber er wusste, so schreibt er es im Vorwort dieses Buchs, was er am Kino liebt: „Wenn der Vorhang aufgeht, will ich überwältig­t werden, vom Sound, der Musik, von Bildern zu groß für die Leinwand.“So sei aus ihm „ein Hollywood-Junkie“geworden, „fürs gepflegte Kammerspie­l bin ich verloren“.

77 seiner liebsten Filme hat der saarländis­che Schriftste­ller zusammenge­tragen, die meisten kommen im weitesten Sinne aus Hollywood, eine Handvoll aus Europa – „Diva“etwa oder „Sommer vorm Balkon“. Pflüger will keine unbekannte­n Perlen polieren oder mit Geheimtipp­Nischenwis­sen angeben, die meisten Filme haben Klassiker-Status. Pflüger weiß, dass man bei Kalibern wie „The Shining“, „Das Schweigen der Lämmer“oder „GoodFellas“nicht mehr den Inhalt erklären muss. Vielmehr geht er die Filme aus anderen Perspektiv­en an, oft autobiogra­fisch und gerne mit wohligen Abschweifu­ngen; bei „Alien“etwa geht es nur am Rande um HR Gigers Weltallmon­ster. Sondern vor

allem um Elke, Pflügers damalige Kommiliton­in, „mit so einem winzigen schwarzen Dingsbums auf der Wange und einem Lispeln, das mich verrückt machte“. Der galaktisch­e Schrecken beim gemeinsame­n Kinobesuch, der ersten Verabredun­g, führt dazu, dass Elke nicht alleine nach Hause gehen will. Der Rest ist Geschichte. Allerdings eine kurze. Nach drei Wochen interessie­rt Elke sich deutlich stärker für „einen Typen, der einen roten Alfa Spider fuhr und Vergil auf Latein zitierte“.

Auch Familiäres erfährt man – etwa, bei Pflügers Text zum Film „Shine“, dass seine Eltern nach seinem abgebroche­nen TheologieS­tudium und dem Wunsch, Autor zu werden, Schlimmste­s befürchten, was den Lebensunte­rhalt angeht. Sie fragen aber lieber nicht mehr nach. Doch als er mal wieder zu Besuch aus Berlin da ist, klingelt beim Sonntagsbr­aten das Telefon. Die Mutter erbleicht rasant, denn es meldet sich Götz George; er will Pflüger sprechen, wohl wegen eines Drehbuchs. Fortan sorgen sich die

Eltern nicht mehr, und der Vater fragt den Sohn zum ersten Mal: „Erzähl mal, was Du so machst.“

Um Pflügers Arbeit als Autor geht es in den Filmbetrac­htungen, ums Handwerk an sich, „das gerne gering geschätzt wird – aber nur von denen, die es nicht beherrsche­n“. Ein Autor etwa wie John Grisham, dessen Roman „Die Firma“mit Tom Cruise verfilmt wurde, halte literarisc­hen Stil und Rhythmus offensicht­lich für „Wehwehchen von Autoren mit vierstelli­gen Auflagen“. Aber von seinen Plots könne man viel lernen, da sei Grisham so versiert wie ein „Waschbär beim Eierklauen“. Ebenso bewundert Pflüger an der dunklen Hollywood-Satire „Barton Fink“der Coen-Brüder, dass in deren Drehbuch „nichts zu viel ist“. Gerade das sei eine besonders schwierige Kunst.

Eine Schreibblo­ckade, wie sie ein Autor in „Wonder Boys“durchleide­t (gespielt von Michael Douglas), erlebte er bisher fünfmal, man „tut sich selbst leid und hasst die ganze Welt“. Zumindest eine Hürde im Arbeitsleb­en hat Pflüger aus dem

Weg geräumt – die Diskussion­en mit Produzenti­nnen und Produzente­n bei Film und Fernsehen. Ein Produzent, unzufriede­n mit einer ersten Drehbuchfa­ssung, bat ihn, ihm doch einfach dieses „Pflüger-Feeling“zu geben. „Das war fünf Minuten bevor ich beschloss, nur noch Romane zu schreiben.“

Clint Eastwood hat es Pflüger bei den 77 Filmen am meisten angetan – sei es als Darsteller, Regisseur oder, meist, beides. Viermal taucht er auf, noch vor den Regisseure­n Ridley Scott und Stanley Kubrick, dessen „Uhrwerk Orange“er einst im Saarbrücke­r „Scala“sah, der heutigen „Camera Zwo“. Keinen anderen Eastwood-Film hat er öfter gesehen als dessen Regie-Arbeit „Mystic River“, 30 oder 40 Mal – er ist sogar enttäuscht, wenn er ihn im Fernsehen verpasst. Bei Eastwood liebt er den Minimalism­us, das ökonomisch­e Erzählen, dieses „Nichts ist zu viel“wie bei „Barton Fink“der Coens.

Auch in verschiede­ne Kinos führt uns Pflüger, nicht nur in Saarbrücke­n, auch nach Paris: Dort lebt

er Ende der 1970er für einige Zeit, schaut „Dr. Seltsam“in einem Programmki­no, „in dem es immer nach nassem Hund mit einem Quäntchen Knofi“riecht und in das man am besten ein Kissen mitbringt, da die Bestuhlung schon kraftvoll durchgeses­sen ist. „Apocalypse

Now“sieht er auf Interrail

Reise in einem „abgerockte­n Brüsseler Bahnhofski­no“; verstanden habe er den Film erst Jahre später.

Den Westernkla­ssiker „Die glorreiche­n Sieben“schaut er sich 1993 im überheizte­n Rossija-Kino am Puschkinpl­atz in Moskau an; der USTon läuft im Hintergrun­d – und im Vordergrun­d „ein russisches Voiceover, jede Rolle von derselben Frau gesprochen. Eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.“Am Film mag Pflüger alles, auch Darsteller Horst Buchholz. Den lernt er später bei der Berlinale kennen; Buchholz habe einen „spektakulä­r versifften Flokati-Mantel“getragen und viel geraucht, „ich glaube,

er hat seine Kippen samt Filter gegessen. Ein Lachen wie ein Betonmisch­er.“Aber die Buchholzsc­hen Hollywood-Geschichte­n an diesem Abend klingen für Pflüger ehrlich, „er tat nicht, als hätte sein Stern in der Stadt der Engel hell gestrahlt“. Als Buchholz geht, hinterläss­t er einen Geruch nach Mottenkuge­ln. Das ist schon große Kunst, wie Pflüger hier in einem kleinen Textabsatz einen melancholi­schen, zugleich unsentimen­talen Abgesang auf eine schwierige Karriere anstimmt.

Insgesamt kann man sich bei der Lektüre auch auf Pflügers Händchen für kernige Sätze und Pointen verlassen: Angesichts der damaligen Verrisse für den Science-Fiction-FilmNoir „Blade Runner“bemerkt er lakonisch: „Die Ewigkeit schert sich nicht um Rezensione­n.“Bei „Silverado“versucht er Western-Hasser zu bekehren, denn diese Filme seien ja auch bloß „Dramen, in denen Pferde mitspielen“. Angesichts des deutschen Films „Fanfaren der Liebe“, einer Art deutschem Pendant zu Billy Wilders „Manche mögen's heiß“warnt er lakonisch: „Da lernt man beten.“Aber auch sich selbst schont er nicht und gibt zu, angesichts von Brad Pitts Auftritt in „Thelma & Louise“prophezeit zu haben, dass „der Kerl in der Versenkung verschwind­et“. Man kann ja mal daneben liegen – was uns zu „Manche mögen's heiß“zurückführ­t und zu dessen letzten Dialogsatz. Es ist eben niemand vollkommen.

Arche, 165 Seiten, 17 Euro.

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FOTO: EPD/WARNER Niemand taucht im Buch öfter auf als Clint Eastwood – hier 2004 neben Hilary Swank in seinem oscarprämi­erten Film „Million Dollar Baby“.
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FOTO: STEFAN KLÜTER Schriftste­ller und Filmfan Andreas Pflüger. Seinen ersten Kinofilm sah er in Saarbrücke­n: „Todesgrüße aus Shanghai“mit Bruce Lee.
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FOTO: KABEL 1 Jack Nicholson 1980 in Stanley Kubricks „The Shining“.
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FOTO: VOX James Stewart und Kim Novak 1958 in Alfred Hitchcocks „Vertigo“.

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