Als „Gudd gess“nur ein ferner Traum war
Anfang März öffnen sich auch im Saarland die Türen zum „Tag der Archive“. Bundesweites Thema 2024 ist „Essen und Trinken“. Im Saarbrücker Stadtarchiv hat man sich dazu ganz eigene Gedanken gemacht.
Der Verband deutscher Archivarinnen und Archivare ( VdA) präsentiert jedes Jahr bundesweit eine besondere Veranstaltung: den Tag der Archive. Er findet in diesem Jahr am 2. und 3. März statt. Und das Thema in diesem Jahr scheint perfekt fürs Saarland und sein Lebensmotto „Hauptsach gudd gess“. 2024 geht es bundesweit nämlich um „Essen und Trinken“. Aber im Stadtarchiv der Landeshauptstadt hat man sich dazu etwas ganz anderes ausgedacht.
„Das Stadtarchiv ist das Gedächtnis der Stadt Saarbrücken“, erklärt Ruth Bauer, Kunsthistorikerin und langjährige Mitarbeiterin des Stadtarchivs. „Unsere Aufgabe ist, nach einer Ablaufzeit das Schriftgut der Stadtverwaltung zu übernehmen.“Darüber hinaus finden sich im Stadtarchiv aber auch historische Fotografien, Teile des Archivs der Saarbrücker Zeitung, sowie eine umfangreiche Kartensammlung.
Das Stadtarchiv hat in den letzten Jahren selbst zu verschiedenen Themen recherchiert, darüber umfangreiche und reich bebilderte Bücher herausgebracht. Eines davon ist „Saarbrücken à la carte“, das im Jahr 2010 erschien, und in dem die ausgezeichnete Kulinarik unserer Region
im Laufe der vergangenen Jahrzehnte vorgestellt wurde.
„Daher wollten wir für den Tag der Archive das Thema in dieser Version nicht nochmal aufnehmen. Stattdessen haben wir uns überlegt, wie war es denn, als kein Essen da war“, erklärt Ruth Bauer weiter. Und so hat sie gemeinsam mit der Historikerin Yasmin Batak eine Ausstellung konzipiert, die sich mit den Hungerjahren im Zusammenhang mit den beiden Weltkriegen beschäftigt.
Im Veranstaltungsraum des Stadtarchivs sind in verschiedenen Schautischen originale Unterlagen aus den Jahren 1916/17 und 1946/47 zu bestaunen. „Über die Ernährungslage im 1. Weltkrieg gibt es viele Unterlagen im Haus, da zu dieser Zeit ein Lebensmittelamt gegründet wurde. Die Dokumente aus dem 2. Weltkrieg sind dagegen spärlicher“, erklärt sie weiter.
Die Versorgungslage der Bevölkerung wurde im 1. Weltkrieg zu spät bedacht. Wegen der zu erzielenden Höchstpreise wurden die Lebensmittel in den Städten knapper, daher
wurden die Lebensmittel zugeteilt und Lebensmittelkarten eingeführt, deren Originale in den Schaukästen gezeigt werden.
So erfährt man, dass im Hungerjahr 1916/17 die Kartoffelernte verheerend war, die Bevölkerung musste auf Steckrüben ausweichen. Aber dieses Lebensmittel musste regelrecht beworben werden. Daher sind auch Rezepte aus der Zeit präsentiert. Auch die Verwertung von Küchenabfällen wurde propagiert, Kriegsküchen eingerichtet. „Trotzdem starben deutschlandweit 800 000 Menschen“, sagt Ruth Bauer.
Auf dem nächsten Tisch liegen die Unterlagen frei zugänglich, daneben liegen weiße Baumwollhandschuhe. Denn die Mitarbeiter werden bei den Tagen des Archivs nicht nur Führungen anbieten und die Exponate erklären, Gäste haben sogar die Gelegenheit, auch selbst in alten Unterlagen zu blättern. Wie in den Bekanntmachungen zu den Lebensmitteln, aber auch in den Plänen und Unterlagen zu den städtischen Schlachthöfen, dem Milchhof und den Sterbeakten des Hungerwinters 1946/47.
Dazu werden aus der Zeit des 2. Weltkriegs ebenfalls Lebensmittelkarten gezeigt. Und schnell wird klar, die nationalsozialistische Regierung hatte aus den Fehlern des 1. Weltkriegs gelernt. „Die Lebensmittelversorgung war besser, sie war durchorganisiert. Aber wer nicht registriert war, wie etwa Deserteure, erhielt nichts zu essen“.
Nach dem 2. Weltkrieg besserte sich die Situation für die hungrigen Saarländerinnen und Saarländer erstmal nicht. Nach einem heißen und trockenen Sommer folgte im Jahr 1946 ein extrem kalter Winter. Und obwohl
der Krieg vorbei war, starben viele alte Menschen und Kinder den Hungertod.
Die ausliegenden Sterbeakten machen betroffen. „Hätten die Schweizer und Iren nicht so viel humanitäre Hilfe geleistet, wäre die Sterblichkeit bei Kindern noch viel höher gewesen“, sagt Ruth Bauer.
Daher ist auch ein „Danke-Buch“in der Ausstellung zu sehen – ein kleines Album mit Kinderzeichnungen und kleinen Kindertexten, mit dem sich die Kinder für die Hilfe bei den Schweizer Bürgern bedankten.
Ende 1947 besserte sich die Lage in Saarbrücken, denn mit Einführung des französischen Francs und mit dem Anschluss an Frankreich waren wieder mehr Lebensmittel zu bekommen, darunter sogar Datteln und Feigen, wie man einem historischen Foto entnehmen kann.
Im Rahmen der Sonderschau zum Tag der Archive erfährt man auch Interessantes zur Geschichte des Milchhofs. „Hier war von 1926 bis 1938 sogar eine Frau, die Chemikerin Dr. Irma Engelhardt, Chefin, das haben wir ebenfalls recherchiert“, erläutert Yasmin Batak. Dank dieser Präsentation, die nur während der Tage der Archive gezeigt wird, erhält man einen überraschenden, aber auch gründlichen und berührenden Einblick in ein Stück bisher kaum beachtete Stadtgeschichte.
„Ohne Kartoffeln, ohne Brot – von fetten Zeiten und größter Hungersnot“, Ausstellung am 2. und 3. März im Stadtarchiv Saarbrücken, Deutschherrnstraße 1. Geöffnet jeweils 10 bis 16 Uhr, Führungen um 10.30 Uhr, 12.30 Uhr, 14.30 Uhr. https://www.saarbruecken.de/kultur/ stadtarchiv/ausstellungen_und_aktionen