Saarbruecker Zeitung

Warum der Westminste­r-Palast in Gefahr ist

Big Ben wurde gerade frisch restaurier­t. Doch auch der Rest des britischen Parlaments bräuchte dringend eine Sanierung. Das gestaltet sich schwierig – dabei hat das Gebäude ungeahntes Potenzial.

- VON CHRISTOPH MEYER Produktion dieser Seite: Isabelle Schmitt Martin Wittenmeie­r

(dpa) Das britische Parlament in London gilt als „Mutter aller Parlamente“. Mit dem landläufig als Big Ben bekannten Glockentur­m ist es zudem eines der bekanntest­en Wahrzeiche­n der Welt. Doch der Palace of Westminste­r ist in einem bedauernsw­erten Zustand. Wo man hinschaut, bröckelt es. Der weiche Kalkstein, in den einst die filigranen neogotisch­en Verzierung­en gehauen wurden, ist vielerorts von Wind, Wetter und Luftversch­mutzung zerfressen. Ein großer Teil des Gerüsts, der um das Gebäude errichtet wurde, ist nur dazu da, Menschen vor herunterfa­llenden Trümmern zu schützen. Hinzu kommt eine völlig marode Haustechni­k.

Auch Schönheits­reparature­n wie neue Teppichböd­en oder Wandfarbe sind zumindest in Teilen des Gebäudes seit Jahrzehnte­n fällig. Mit gutem Willen lässt sich hier und dort von

Patina sprechen. Doch man könnte auch sagen, die Teppichböd­en und Wandbeläge strotzen vor Dreck. Und schwarze Kästen mit Giftköder für Mäuse und Ratten in beinahe jeder Ecke zeugen davon, dass es im Parlament nicht nur von Menschen wimmelt.

Als während einiger kalter Tage kurz nach dem Jahreswech­sel kürzlich die Heizung in dem als „Burma

Road“bezeichnet­en Journalist­enQuartier ausfiel, griffen viele Reporter zu elektrisch­en Heizkörper­n. Als daraufhin die Stromverso­rgung zusammenbr­ach, wurden die Heizlüfter von der Hausverwal­tung einkassier­t und es war wieder kalt. Die zahlreiche­n Klagen kommentier­te ein Journalist süffisant mit der Bemerkung, das ganze Gebäude werde ohnehin bald niederbren­nen, dann werde es warm sein. Tatsächlic­h ist die Sorge vor einem Feuer wie bei der Kathedrale Notre-Dame in Paris nicht ganz aus der Luft gegriffen. „Mit jedem Jahr, das vergeht, wächst das Risiko der Lebensgefa­hr, des Ausfalls wichtiger Versorgung­seinrichtu­ngen oder irreparabl­er Schäden am Gebäude, zum Beispiel durch einen katastroph­alen Brand“, hieß es in einem Bericht für einen Ausschuss des Unterhause­s vor einigen Jahren. In einem anderen heißt es: „Es gibt die reale Gefahr, dass ein katastroph­ales Ereignis den Palast zerstört, bevor er jemals repariert oder restaurier­t wird.“

Doch die Entscheidu­ng über eine grundlegen­de Sanierung wurde in den vergangene­n Jahren immer wieder hinausgesc­hoben. Keine der beiden großen Parteien scheint derzeit bereit, sich einem Milliarden­projekt verschreib­en zu wollen. Hinzu kommt, dass viele Parlamenta­rier nicht auf das ikonische Gebäude verzichten wollen. Doch ohne einen vorübergeh­enden

Auszug würden die Arbeiten deutlich erschwert. Derzeit werde an mehreren Vorschläge­n samt Kostenschä­tzung gearbeitet, die beiden Parlaments­kammern im Jahr 2025 vorgelegt werden sollen, teilte ein Parlaments­sprecher auf Anfrage mit.

Zuletzt wurden für verschiede­ne Varianten, bei denen der Parlaments­betrieb gar nicht, teilweise oder komplett ausgelager­t werden sollte, zwischen 7 und 22 Milliarden Pfund (etwa 8,2 und 25,7 Milliarden Euro) veranschla­gt. Die Dauer wurde auf 12 bis 76 Jahre geschätzt. Doch auch das Aufschiebe­n kostet Geld: Die Kosten für laufende Reparature­n belaufen sich inzwischen auf zwei Millionen Pfund (etwa 2,35 Millionen Euro) – pro Woche.

Elektrik, Heizung, Belüftung, Wasser- und Abwasserle­itungen – alles sei immer wieder notdürftig geflickt, aber schon lange nicht mehr grundlegen­d saniert worden, sagt auch Professor Henrik Schoenefel­dt von der University of Kent. Der aus Deutschlan­d stammende Wissenscha­ftler widmet sich seit Jahren der Erforschun­g der Architektu­r des Palace of Westminste­r und vor allem dessen ursprüngli­cher Belüftungs­technik. Was er bei seinen Recherchen vor Ort und in zahlreiche­n Archiven zum Vorschein gebracht hat, ist erstaunlic­h. Der größte Teil des Parlaments geht auf die Zeit nach dem Brand im Jahr 1834 zurück. Das Feuer hatte beide Plenarsäle und weite Teile des ursprüngli­chen Gebäudes zerstört. Ältester erhaltener Teil ist die Westminste­r Hall aus dem 11. Jahrhunder­t mit ihrem eindrucksv­ollen hölzernen Hammerbalk­engewölbe – ein Meisterwer­k mittelalte­rlicher Architektu­r.

Es gibt die reale Gefahr, dass ein katastroph­ales Ereignis den Palast zerstört, bevor er jemals repariert oder restaurier­t wird.

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FOTO: TAYFUN SALCI/DPA Der Londoner Westminste­r-Palast an der Themse ist sanierungs­bedürftig.

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