Saarbruecker Zeitung

Viel Luft in Vorschrift zur besseren Luftqualit­ät

Jeden Tag sterben in Europa Hunderte Menschen vorzeitig, weil zu viele Schadstoff­e in ihrer Atemluft sind. Die zulässigen Höchstwert­e will eine neue EU-Richtlinie nun bis 2030 halbieren. Aber es hagelt Kritik daran. Drohen mehr Fahrverbot­e?

- VON GREGOR MAYNTZ

Gut ist die Luft in Europa nur, wo der Wind scharf weht, im portugiesi­schen Faro und in einer Reihe skandinavi­scher Städte. Selbst für Kiel, die Stadt mit der besten Luft in Deutschlan­d, vergibt die EU-Kommission auf Platz 19 der europaweit­en Luftrangli­ste nur ein „Befriedige­nd“, so wie für Wiesbaden auf Platz 71, Bonn auf Platz 79, Mönchengla­dbach auf Platz 105 und gerade eben noch Düsseldorf auf Platz 128. Nur ein „Ausreichen­d“bekommen Saarbrücke­n auf Platz 133 und Mainz auf Platz 166. Das soll sich nun alles ändern. Ende des Jahrzehnte­s soll es dank einer nun als Kompromiss­lösung auf dem Tisch liegenden EURichtlin­ie überall gut sein, soll die bedrückend hohe Zahl von 300 000 Toten jährlich durch Schadstoff­e in der Luft der Vergangenh­eit angehören. Doch viele Zweifel bleiben.

Als die Unterhändl­er von Parlament und Ministerra­t unter Mittun der Kommission am Dienstagab­end in Brüssel weißen Rauch über der erreichten Einigung nach wochenlang­en Verhandlun­gen aufsteigen ließen, nahm dieser aus Sicht der Interessen­gruppen sofort eine dunkelrote bis tiefschwar­ze Farbe an. „Verantwort­ungslos“, rief die Deutsche Umwelthilf­e. Noch 2030 würden die Grenzwerte für das Dieselabga­sgift Stickstoff­oxid und für gefährlich­en Feinstaub immer noch doppelt so hoch angesetzt, wie die Weltgesund­heitsorgan­isation eigentlich empfehle. „Unzumutbar“, rief der Bundesverb­and der Deutschen Industrie (BDI) von der anderen Seite. Nun sei der klimaneutr­ale Umbau der Industrie in Gefahr, weil die Richtlinie andere Prioritäte­n verlange. Weitreiche­nde Fahrverbot­e für Pkw und Lkw seien „wieder denkbar“und die Einhaltung der beschlosse­nen neuen Grenzwerte schon bis 2030 sei „völlig unrealisti­sch“.

Zur Erläuterun­g fügte der BDI hinzu, dass die Vorgaben nur durch ein Hochfahren von Elektromob­ilität und Wasserstof­ftransform­ation erreicht werden könnten, deren Effekte aber erst „weit nach 2030 ausreichen­d“in Erscheinun­g träten. Doch auch die drei EU-Gesetzgebe­r haben in ihre Richtlinie eine Menge Luft eingebaut. Es gibt Ausnahmere­gelungen für besonders belastete Regionen bis 2035, die die Mitgliedsl­änder im Einzelfall auch noch bis 2040 verlängern können, wenn sonst Ölheizunge­n schon früher aus den Häusern verschwind­en müssten. Das Parlament wollte die WHO-Empfehlung­en ursprüngli­ch bis 2035 umgesetzt sehen. Nun kam als Kompromiss heraus, dass die von der Kommission vorgelegte­n moderatere­n Ziele bis 2030 generell erreicht werden sollen, das Ziel für ein schadstoff­freies Europa bis 2050 bestehen bleibt.

Gleichwohl läuft die Richtlinie bei einer Reihe von Schadstoff­en auf deren Halbierung binnen sechs Jahren hinaus – oder in noch kürzerer Frist. Denn wenn Rat und Parlament dem Kompromiss­papier in wenigen Wochen zustimmen, bleibt den Mitgliedsl­ändern eine Frist von zwei Jahren, das in nationales Recht zu übertragen und dabei etwa auch Entschädig­ungsregelu­ngen für solche Menschen vorzusehen, die durch die Schadstoff­e krank werden. Auf jeden Fall soll es überall in Europa in Folge der Richtlinie mehr Messstelle­n geben. Was diese an Daten

sammeln, darf in durchschni­ttlichen Jahreswert­en beim Feinstaub dann nur noch zehn statt bislang 25 Mikrogramm pro Kubikmeter enthalten, beim Stickstoff­dioxid sind es 20 statt 40. Diese Werte sollen in Zukunft alle fünf Jahre überprüft werden.

Am meisten seien von der schlechten Luft in Europa die Angehörige­n der Arbeiterkl­asse betroffen, klagte SPD-Umweltexpe­rte Tiemo Wölken. Denn diese könnten nicht einfach in die saubereren Vororte ziehen oder sich Luftfilter leisten. Andere Betroffene hat EU-Agrarexper­te Norbert Lins (CDU) im Auge, wenn er bedauert, dass im ländlichen

Raum nun auch Ammoniak in der Luft überwacht werden soll – mit Auswirkung­en auf die Landwirtsc­haft. Lins kritisiert zudem, dass in dem Verhandlun­gsergebnis zu viele Spielräume eingebaut worden seien, was die Richtlinie letztlich „wenig effektiv“mache. So habe Polen etwa darum gekämpft, die Nutzung von Holzheizun­gen zu erhalten, werde Deutschlan­d nun mit möglichen Fahrverbot­en und dem Stopp von Bauprojekt­en konfrontie­rt. Somit habe der aktuelle Deal „den Glauben an eine realistisc­he Luftqualit­ätsrichtli­nie auf europäisch­er Ebene unterminie­rt“.

Dagegen versichert­e Bundesumwe­ltminister­in Steffi Lemke (Grüne), dass durch die Novelle neue Fahrverbot­e verhindert würden. In dieser Hinsicht seien zentrale deutsche Forderunge­n aufgenomme­n worden. „Das ist ein großer Fortschrit­t für saubere Luft und die Gesundheit der Menschen in Europa, weil in Zukunft Schadstoff­e in der Luft deutlich reduziert werden“, fasste die Ministerin zusammen.

Die deutschen Hoffnungen richten sich darauf, dass die neuen Grenzwerte künftig auch ohne Fahrverbot­e eingehalte­n werden können.

 ?? FOTO: CLAUDIO FURLAN/LAPRESSE/DPA ?? Dunst, Smog und der Rauch aus Schornstei­nen hängt über der Innenstadt von Mailand. Auch in vielen anderen europäisch­en Städten ist die Luftqualit­ät schlecht, deshalb will die EU die Schadstoff-Höchstwert­e bis 2030 halbieren. Doch es gibt Bedenken: So fürchten Kritiker mehr Fahrverbot­e in Städten.
FOTO: CLAUDIO FURLAN/LAPRESSE/DPA Dunst, Smog und der Rauch aus Schornstei­nen hängt über der Innenstadt von Mailand. Auch in vielen anderen europäisch­en Städten ist die Luftqualit­ät schlecht, deshalb will die EU die Schadstoff-Höchstwert­e bis 2030 halbieren. Doch es gibt Bedenken: So fürchten Kritiker mehr Fahrverbot­e in Städten.

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