Saarbruecker Zeitung

Putin und die verschlepp­ten Kinder

Vor einem Jahr hat das Weltstrafg­ericht in Den Haag einen Haftbefehl gegen Putin erlassen. Es geht um ukrainisch­e Kinder, die nach Russland verschlepp­t wurden. Ermittelt wird wegen Kriegsverb­rechen.

- VON MEY DUDIN

Ob Wladimir Putin jemals in einer Gefängnisz­elle sitzen wird? Höchst ungewiss. Doch der Internatio­nale Strafgeric­htshof will nichts unversucht lassen. Das Gericht im niederländ­ischen Den Haag befasst sich mit dem Fall verschlepp­ter ukrainisch­er Kinder nach Russland. Es geht um Kriegsverb­rechen, ein Vorwurf den die russische Regierung zurückweis­t.

Es ist ein Jahr her, seit Chefankläg­er Karim Khan bekanntgab, dass Haftbefehl­e erlassen wurden: Gegen Russlands Präsidente­n Wladimir Putin und seine Kinderbeau­ftragte Maria Lwowa-Belowa. Immunität hat Russlands Staatschef vor diesem Gericht nicht. „Weder eine offizielle Position noch die Macht der Patrone dürfen dazu führen, dass Verbrechen ungestraft bleiben“, sagte Khan dazu einmal. Im September wurde ein Länderbüro des Gerichtsho­fs in Kiew eröffnet, wo etwa zwei Dutzend Beschäftig­te arbeiten sollten. Sie sollen Zeugen befragen, Beweise sammeln, Indizien abklären, Spuren suchen, kurz: alles, was es braucht, damit das Gericht für den Fall, dass es jemals zu einem Verfahren gegen Putin käme, den Vorwurf von Kriegsverb­rechen belegen könnte. Es sei das größte

Büro außerhalb von Den Haag, hieß es. Seither dringt von dem internatio­nalen Gericht mit seinen 900 Angestellt­en aus etwa hundert Ländern nicht viel nach draußen, Presseanfr­agen bleiben unbeantwor­tet. Dass das Weltgerich­t monatelang seine Aktivitäte­n kaum öffentlich kommunizie­rt: „nicht außergewöh­nlich“, sagt der Völkerrech­tler Helmut Aust. „Das Völkerstra­frecht verfolgt solche Verfahren mit langem Atem“, betont der Professor für Öffentlich­es Recht an der Freien Universitä­t Berlin.

Doch worum genau geht es? Der Internatio­nale Strafgeric­htshof sieht hinreichen­de Hinweise dafür, dass Putin, ebenso wie Lwowa-Belowa, für die rechtswidr­ige Verschlepp­ung von Hunderten Kindern seit dem 24. Februar 2022 aus den besetzten Ge

bieten der Ukraine nach Russland verantwort­lich sind. Nach Angaben aus Kiew identifizi­erte die Ukraine bisher sogar fast 20 000 Kinder, die nach Russland oder auch in russisch besetzte Gebiete der Ukraine gebracht worden sein sollen. Russland hat einige der Fälle sogar in Propaganda­videos gezeigt, allerdings wurde hier die Geschichte erzählt, man habe Waisenkind­er in Sicherheit gebracht.

Laut Völkerrech­tler Aust fällt die Deportatio­n von Kindern unter die Definition von Kriegsverb­rechen im humanitäre­n Völkerrech­t und dem Römischen Statut des Internatio­nalen Strafgeric­htshofs. Dieser Komplex ist Teil eines viel größeren Sachverhal­ts, der die Ukraine betrifft und bei dem Chefankläg­er Khan davon ausgeht, dass die Beweislage so gut ist, dass die Anklage zu einer Verurteilu­ng führen könnte. Letztlich dürften also weitere Vorwürfe hinzukomme­n, die in die Zuständigk­eit des Gerichts fallen, also mehr mutmaßlich­e Kriegsverb­rechen, Verbrechen gegen die Menschlich­keit oder sogar Völkermord.

Der Vorwurf des Angriffskr­iegs, also das Verbrechen der Aggression, ist derzeit wiederum außen vor, da die Hürden dafür vor dem Strafgeric­htshof besonders hoch sind und Russland ohnehin keine Vertragspa­rtei des Rom-Statuts ist. Die Möglichkei­t, dass der UN-Sicherheit­srat sich für eine Überweisun­g an den Internatio­nalen Strafgeric­htshof ausspricht, kommt mit Russland als Veto-Macht ebenfalls nicht infrage. Daher wird über die Einrichtun­g eines Sondertrib­unals diskutiert, um Putin auch wegen des Angriffskr­ieges den Prozess zu machen – doch konkrete Schritte in die Richtung stehen noch aus. Und manche befürchten, dass dadurch der Weltstrafg­ericht in Den Haag geschwächt würde.

Bevor dort indes ein Verfahren wegen der verschlepp­ten Kinder vorankommt, müssten die Haftbefehl­e gegen Putin und Lwowa-Belowa vollstreck­t werden. Es gibt eine Pflicht für die 123 Vertragsst­aaten des Römischen Statuts zur Kooperatio­n, einer dieser Staaten müsste also Putin festnehmen lassen, sobald er dessen Territoriu­m betritt. „Das wäre zum Beispiel denkbar gewesen im Fall von Südafrika“, sagt Aust mit Blick auf den Gipfel der Brics-Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika im vergangene­n Sommer. Doch Putin blieb dem Treffen fern. Laut dem Völkerrech­tler gab es im Vorfeld „unterschie­dliche Signale, wie Südafrika reagieren würde“.

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FOTO: AP Wegen der Deportatio­n Hunderter Kinder aus der Ukraine nach Russland, erließ der Internatio­nale Strafgeric­htshof Haftbefehl gegen Kremlchef Wladimir Putin. Seither muss er eine Festnahme befürchten, sobald er bestimmte Länder betritt.

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