Robert Habeck ist den weitesten Weg gegangen
Die Wirtschaftslage ist „dramatisch schlecht“, um es mit den Worten des Bundeswirtschaftsministers zu sagen. Im Jahreswirtschaftsbericht prognostiziert Robert Habeck nur noch 0,2 Prozent Wachstum in diesem Jahr. Der Rezession 2023 folgt ein weiteres maues Jahr und Deutschland bleibt Schlusslicht in Europa. Das darf man wie Finanzminister Christian Lindner gut und gerne als „peinlich“bezeichnen. Die Eingeständnisse der Ampel-Vertreter haben ein Geschmäckle, schließlich sind sie trotz der schwierigen äußeren Umstände selbst mitverantwortlich. Noch beunruhigender ist, dass die Regierung der Wirtschaft auch langfristig nicht viel zutraut: das Wachstumspotenzial taxiert sie auf nur noch 0,5 Prozent pro Jahr – das ist zu wenig, um Zukunftsinvestitionen, steigende Verteidigungsausgaben und wachsende Sozialstaatsanforderungen zu finanzieren.
Deshalb ist es zentral, dass die gesamte Regierung erkennt, was zu tun ist, um den Tanker Deutschland wieder auf Kurs zu bringen. Während Habeck und Lindner dabei Fortschritte machen, muss der Kanzler, der noch auf eine bessere Weltkonjunktur setzt, zum Jagen noch getragen werden. Der Grüne Habeck scheint den weitesten Erkenntnisweg schon gegangen zu sein. Denn der Jahreswirtschaftsbericht setzt fast ausschließlich auf strukturelle und angebotsseitige Verbesserungen – statt auf mehr neue Schulden, Regulierung oder Subventionen, wie sie für die Grünen typisch sind. Der Jahreswirtschaftsbericht trägt in weiten Teilen die Handschrift des FDPgeführten Finanzministeriums.
Die Regierung will nun vor allem Bürokratie abbauen, Arbeitsanreize steigern, Unternehmen entlasten und Innovationen fördern, heißt es in dem Bericht. Das sind die richtigen Ansätze, allerdings ist zu befürchten, dass es nur bei guten Vorsätzen bleibt. Denn dass ausgerechnet dieser angeschlagenen Regierung der große Schritt beim Bürokratieabbau gelingt, ist fraglich. Und Steuerentlastungen scheitern in großer Regelmäßigkeit am destruktiven Widerstand der Länder im Bundesrat – wie sich jetzt wieder beim Wachstumschancengesetz zeigte, bei dem es nur um geringe Entlastungsbeträge ging.
Noch dicker ist das zu bohrende Brett beim Thema Sozial- und Arbeitsmarktreformen. Die FDP stellt zu Recht die Rente mit 63 infrage, die dem Arbeitsmarkt erfahrene Fachkräfte entzieht. Beim Bürgergeld beklagt sie zu Recht in Einzelfällen fehlende Anreize zum Mehr-Arbeiten, weil die Leistungen zu üppig ausfallen. Doch bei notwendigen Reformen der Rente, Krankenversicherung oder des Arbeitsmarkts stellt sich die SPD quer. Eine Reformagenda für den Sozialstaat, wie sie 20 Jahre nach der Agenda 2010 jetzt wieder nötig wäre, ist damit illusorisch. Idealerweise würde diese Agenda mit der von SPD und Grünen herbeigesehnten Reform der Schuldenbremse verknüpft. Doch dabei wird die Union der Koalition nicht die Hand reichen. Aus der dringlichen „Wirtschaftswende“(Copyright: Christian Lindner) wird es in dieser Wahlperiode bedauerlicherweise voraussichtlich nichts.