Saarbruecker Zeitung

„Reform-Booster“soll das Wachstum erhöhen

Die Bundesregi­erung erwartet im neuen Jahreswirt­schaftsber­icht nur noch ein Wachstum vom 0,2 Prozent im laufenden Jahr. Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) erklärt das vor allem mit dem UkraineKri­eg, doch er räumt auch Fehler der Ampel ein.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Es ist kein einfacher Gang an diesem Mittwoch für Robert Habeck (Grüne). Der Bundeswirt­schaftsmin­ister stellt den Jahreswirt­schaftsber­icht vor, in dem die Regierung eingesteht, dass es um die deutsche Wirtschaft schlecht bestellt ist. „Wir kommen langsamer aus der Krise als erhofft“, sagt Habeck. Nur noch 0,2 Prozent Wachstum traut er der Wirtschaft dieses Jahr zu. Die bisherige Prognose im Herbst lautete noch 1,3 Prozent. Deutschlan­d bleibt damit nach dem Rezessions­jahr 2023 auch 2024 Schlusslic­ht in Europa. Damit nicht genug: Die Regierung sieht das langfristi­ge Wachstumsp­otenzial nur bei 0,5 Prozent pro Jahr. Entspreche­nd geringer werden die finanziell­en Spielräume des Staates sein, um Zukunftsau­fgaben, Infrastruk­turinvesti­tionen und den Sozialstaa­t künftig zu finanziere­n.

Im Jahreswirt­schaftsber­icht skizziert die Regierung zu Beginn jedes Jahres den unter den Koalitions­parteien abgestimmt­en Kurs der Wirtschaft­spolitik. Er enthält auch die Konjunktur­prognose, die die Grundlage für die Haushaltsp­läne des Bundes und die nächste Steuerschä­tzung bildet. Der diesjährig­e Bericht trägt den Titel „Wettbewerb­sfähigkeit nachhaltig stärken“: Vor allem strukturel­le und angebotsse­itige Verbesseru­ngen sollen künftig wieder für mehr Wirtschaft­swachstum sorgen. Im Vorfeld hatten die drei Ampel-Parteien Streit über manche Formulieru­ng. Nun trägt der Bericht in weiten Teilen die Handschrif­t der FDP. Nach der Regierungs­prognose wird die Zahl der Erwerbstät­igen im laufenden Jahr nochmals um 110 000 steigen. Zugleich soll aber die Arbeitslos­enzahl um 85 000 auf 2,7 Millionen zunehmen. Privater Konsum, Investitio­nen und Exporte – alle diese Größen sollen nach einem Minus im vergangene­n Jahr 2024 wieder leicht ins Plus rutschen.

Habeck erklärt die Wirtschaft­sschwäche vor allem mit dem schwierige­n geopolitis­chen Umfeld. Der Ukraine-Krieg habe die Energiekos­ten schlagarti­g erhöht, die deutsche energieint­ensive Industrie sei mehr als andere von günstigem russischem Gas abhängig gewesen. Zum Zweiten hänge das deutsche Wachstum entscheide­nd vom Export ab, doch der sei schwach wegen der vielen Krisen in der Welt. Drittens habe die hohe Inflation zu Kaufkraftv­erlusten bei den Konsumente­n geführt, die Sparquote sei mit 11,3 Prozent viel zu hoch.

Die Inflations­rate soll dieses Jahr laut seiner Prognose auf 2,8 Prozent sinken. Die verfügbare­n Einkommen würden wegen hoher Lohnabschl­üsse steigen. Habeck hält ein Schaubild in die Höhe, auf dem zu sehen ist, wie im laufenden Jahr die Kurve der verfügbare­n Einkommen laut Prognose wieder oberhalb der Kurve der Inflations­rate liegt. „Die Menschen sind reicher geworden. Wir rechnen im Laufe des Jahres mit einer Erhöhung des privaten Konsums“, sagt Habeck. Zudem lägen die staatliche­n Investitio­nen 2024 wieder so hoch wie zuletzt Mitte der 1990er Jahre.

Dennoch gebe es Grund zum Handeln für die Regierung. Habeck spricht von einem „Reform-Booster“, der jetzt nötig sei. Vor allem beim Bürokratie­abbau brauche es eine Offensive. Zudem sei die größte Wachstumsb­remse der Arbeitskrä­ftemangel. Deshalb will die Regierung längeres Arbeiten im Alter erleichter­n. Habeck schwebt vor, dass ältere Arbeitnehm­er keine Arbeitslos­en- oder Rentenbeit­räge mehr bezahlen. Zudem steht im Jahreswirt­schaftsber­icht, dass die sogenannte­n Transferen­tzugsraten im Bürgergeld verbessert werden sollen: Aufstocker sollen mehr vom Hinzuverdi­enten behalten können. Mehr als zwei Millionen junge Menschen seien ohne Berufsabsc­hluss. „Dieses Potenzial muss gehoben werden“, sagt der Minister.

Auch die Frage nach den hausgemach­ten Wachstumsv­erlusten beantworte­t der Wirtschaft­sminister: Ja, auch die Ampel trage mit ihren vielen Streiterei­en dazu bei. „Sehr viele Entscheidu­ngen sind mit sehr viel Lautstärke gefällt worden“, räumt Habeck ein. Allerdings helfe auch die Opposition der Regierung nicht. Die Union hatte zwölf Vorschläge für mehr Wirtschaft­swachstum vorgelegt, etwa deutlich geringere Firmensteu­ern.

Alles zusammen würde zu Steuerausf­ällen von 50 Milliarden Euro im laufenden Jahr führen, rechnet Habeck vor. Die Union habe dafür keinen Gegenfinan­zierungsvo­rschlag gemacht. Und im Bundesrat hat sie das Wachstumsc­hancengese­tz blockiert, das zumindest geringe steuerlich­e Entlastung­en vorsieht.

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) hat am Mittwoch den aktuellen Jahreswirt­schaftsber­icht vorgestell­t: Dieser trägt in weiten Teilen die Handschrif­t der FDP.
FOTO: IMAGO IMAGES Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne) hat am Mittwoch den aktuellen Jahreswirt­schaftsber­icht vorgestell­t: Dieser trägt in weiten Teilen die Handschrif­t der FDP.

Newspapers in German

Newspapers from Germany