„Es gibt genug Pflegeheimplätze“
Der saarländische Pflegebeauftragte lobt besonders den Einsatz der Menschen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen.
Personalmangel in Pflegeheimen und Schwarzarbeit bereiten dem saarländischen Pflegebeauftragten Jürgen Bender Sorge. Er plädiert dafür, verloren gegangenes Pflegepersonal durch bessere Arbeitsbedingungen zurückzugewinnen.
Herr Bender, gibt es im Saarland genug Plätze in Pflegeheimen?
BENDER Ja, es gibt nach Auskunft der Saarländischen Pflegegesellschaft genug Plätze sowohl für eine Kurzzeitpflege über zwei bis drei Wochen als auch für eine dauerhafte Pflege im Heim. Allerdings ist nicht immer ein Platz im Wohnort oder Nachbarort des Pflegebedürftigen frei. Wegen der relativ geringen Entfernungen im Saarland halte ich es für zumutbar, auch ein Pflegeheim in einem anderen Landkreis auszuwählen. Auf der durch meine Anregung erstellten Internetseite pflege-portal-saar.de, die von der Saarländischen Pflegegesellschaft ständig aktualisiert wird, sind alle freien Heimplätze im Saarland aufgelistet.
Wieso gibt es trotz der steigenden Zahl pflegebedürftiger Menschen freie Plätze in saarländischen Heimen? BENDER
Die durchschnittliche Verweildauer in den Heimen liegt zurzeit bei nur einem halben Jahr. Nach dem Einzug versterben viele Bewohner schnell, denn die meisten pflegebedürftigen Menschen kommen erst im Alter von 82 oder 83 Jahren ins Heim. Davor sind sie zu Hause von ihren Angehörigen betreut worden. Erst wenn es gar nicht mehr anders geht, wird ein Heimplatz gesucht. Man muss sich auch vor Augen halten, dass zwischen 60 und 80 Prozent der Pflegeheimbewohner mehr oder weniger stark dement sind. In vielen Fällen sind die Angehörigen bei dieser Erkrankung irgendwann überfordert.
Die Krankenkasse Barmer hat vor einem Jahr in einer Studie ermittelt, dass im Saarland 68 000 Menschen pflegebedürftig sind, von denen 82 Prozent zu Hause betreut werden.
BENDER Dieses aufopferungsvolle Engagement der Familien kann gar nicht hoch genug wertgeschätzt werden. Ohne die Pflege zu Hause würde unser System der Pflege zusammenbrechen. Allerdings können viele Familie einen pflegebedürftigen Angehörigen daheim nur pflegen, weil sie ausländische Betreuungskräfte engagieren, meist Frauen aus Osteuropa. Diese führen in der Regel den Haushalt und assistieren dem ambulanten Pflegedienst. Im Saarland ist das bei etwa 4000 Haushalten der Fall. Doch in 90 Prozent der Fälle werden die Betreuerinnen schwarz beschäftigt.
Das hat wahrscheinlich finanzielle Gründe.
BENDER So ist es. Würden Betreuerinnen im 24-Stunden-Dienst nach Tarif bezahlt, wären im Monat gut und gerne 4500 Euro fällig. Das können sich die wenigsten Familien leisten. Selbst bei legaler Betreuung übernimmt die Pflegeversicherung dafür keine Kosten. Das Sozialamt bezahlt nur, wenn das sogenannte Arbeitgebermodell eingehalten wird. Das heißt, die Familie tritt selbst als Arbeitgeber auf. Dabei muss sie alle gesetzlichen Vorgaben einhalten. Das überfordert viele Angehörige. Deshalb gibt es so viel Schwarzarbeit in diesem Bereich. Davor verschließt die Politik Augen und Ohren.
Haben Sie einen Lösungsvorschlag?
BENDER Es gibt Berechnungen, die zeigen, dass die Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung um einen halben Prozentpunkt ausreichen würde, um die Betreuerinnen in eine legale Beschäftigung zu bringen und angemessen zu bezahlen. Bei klaren Regelungen gäbe es genug Personal, da bin ich sicher, zum Beispiel auch Hausfrauen, die am Wochenende als Betreuerinnen arbeiten würden, um sich etwas dazuzuverdienen.
Wie gut ist die Pflege in den saarländischen Heimen?
BENDER
In der großen Mehrheit
der Pflegeheime wird sehr sorgfältig gearbeitet. Ich besuche regelmäßig Heime, auch unangemeldet und anonym. Ich setze mich dann irgendwo hin und beobachte das Geschehen. Wie steht es um die Sauberkeit? Wie ist der Ton der Pflegekräfte untereinander, gucken sie auch im Vorbeigehen aufmerksam nach den Bewohnern? Wie riecht es? Sind die Patienten gepflegt oder laufen sie mit vollen Hosen herum? Seit Einführung der Pflegeversicherung im Januar 1995 ist zwar eine deutliche Kommerzialisierung der Heimpflege festzustellen. Auch die Bürokratisierung hat stark zugenommen. Es ist aber auch eine Steigerung der Qualität zu erkennen.
Nach Schätzungen des saarländischen Gesundheitsministeriums fehlen in den Heimen, der ambulanten Pflege und in den Krankenhäusern derzeit 1500 Pflegekräfte. Kann der Mangel in absehbarer
Zeit behoben werden?
BENDER Der Mangel an Fachkräften ist ein großes Problem, und es ist schwer zu sagen, ob er trotz zahlreicher Bemühungen behoben werden kann. Die beste Chance sehe ich darin, verloren gegangenes Pflegepersonal zurückzugewinnen. Im Saarland könnten 1500 ehemalige Pflegekräfte zur Rückkehr in den Beruf bewegt werden, wenn die Arbeitsbedingungen deutlich verbessert würden. Das hat eine Studie der Arbeitskammer gezeigt. Pflegekräfte im Ausland anzuwerben, ist eine weitere, im Saarland bereits recht intensiv genutzte Möglichkeit, die ich unterstütze. Doch das allein wird nicht reichen. Wir müssen auch junge Leute dafür gewinnen, den Pflegeberuf zu ergreifen. Doch ich bin recht ratlos, wie das gelingen soll, denn die Ausbildungszahlen gehen sogar zurück.
Immer mehr Heime haben Schwie
rigkeiten, für ihre Bewohner eine ärztliche Betreuung sicherzustellen. BENDER Heimbewohner werden medizinisch von Hausärzten versorgt. Es gibt zwei Regionen im Saarland, wo ein spürbarer Ärztemangel droht: im Kreis MerzigWadern und im Saarpfalz-Kreis. Das wirkt sich auch auf Haus- und Heimbesuche aus. Auch Untersuchungen durch Fachärzte finden nicht im erforderlichen Maß statt. Der neueste AOK-Pflegereport zeigt, dass nur 15 Prozent der saarländischen Heimbewohner mit Diabetes im Jahr 2021 von einem Augenarzt untersucht worden sind. Weil hohe Blutzuckerwerte die Netzhaut schädigen könnten, müssen solche Untersuchungen jedoch einmal im Jahr durchgeführt werden. Ob diese Probleme gelöst werden können, ist ebenfalls fraglich.