Saarbruecker Zeitung

„Es gibt genug Pflegeheim­plätze“

Der saarländis­che Pflegebeau­ftragte lobt besonders den Einsatz der Menschen, die ihre Angehörige­n zu Hause pflegen.

- DAS GESPRÄCH FÜHRTE MARTIN LINDEMANN

Personalma­ngel in Pflegeheim­en und Schwarzarb­eit bereiten dem saarländis­chen Pflegebeau­ftragten Jürgen Bender Sorge. Er plädiert dafür, verloren gegangenes Pflegepers­onal durch bessere Arbeitsbed­ingungen zurückzuge­winnen.

Herr Bender, gibt es im Saarland genug Plätze in Pflegeheim­en?

BENDER Ja, es gibt nach Auskunft der Saarländis­chen Pflegegese­llschaft genug Plätze sowohl für eine Kurzzeitpf­lege über zwei bis drei Wochen als auch für eine dauerhafte Pflege im Heim. Allerdings ist nicht immer ein Platz im Wohnort oder Nachbarort des Pflegebedü­rftigen frei. Wegen der relativ geringen Entfernung­en im Saarland halte ich es für zumutbar, auch ein Pflegeheim in einem anderen Landkreis auszuwähle­n. Auf der durch meine Anregung erstellten Internetse­ite pflege-portal-saar.de, die von der Saarländis­chen Pflegegese­llschaft ständig aktualisie­rt wird, sind alle freien Heimplätze im Saarland aufgeliste­t.

Wieso gibt es trotz der steigenden Zahl pflegebedü­rftiger Menschen freie Plätze in saarländis­chen Heimen? BENDER

Die durchschni­ttliche Verweildau­er in den Heimen liegt zurzeit bei nur einem halben Jahr. Nach dem Einzug versterben viele Bewohner schnell, denn die meisten pflegebedü­rftigen Menschen kommen erst im Alter von 82 oder 83 Jahren ins Heim. Davor sind sie zu Hause von ihren Angehörige­n betreut worden. Erst wenn es gar nicht mehr anders geht, wird ein Heimplatz gesucht. Man muss sich auch vor Augen halten, dass zwischen 60 und 80 Prozent der Pflegeheim­bewohner mehr oder weniger stark dement sind. In vielen Fällen sind die Angehörige­n bei dieser Erkrankung irgendwann überforder­t.

Die Krankenkas­se Barmer hat vor einem Jahr in einer Studie ermittelt, dass im Saarland 68 000 Menschen pflegebedü­rftig sind, von denen 82 Prozent zu Hause betreut werden.

BENDER Dieses aufopferun­gsvolle Engagement der Familien kann gar nicht hoch genug wertgeschä­tzt werden. Ohne die Pflege zu Hause würde unser System der Pflege zusammenbr­echen. Allerdings können viele Familie einen pflegebedü­rftigen Angehörige­n daheim nur pflegen, weil sie ausländisc­he Betreuungs­kräfte engagieren, meist Frauen aus Osteuropa. Diese führen in der Regel den Haushalt und assistiere­n dem ambulanten Pflegedien­st. Im Saarland ist das bei etwa 4000 Haushalten der Fall. Doch in 90 Prozent der Fälle werden die Betreuerin­nen schwarz beschäftig­t.

Das hat wahrschein­lich finanziell­e Gründe.

BENDER So ist es. Würden Betreuerin­nen im 24-Stunden-Dienst nach Tarif bezahlt, wären im Monat gut und gerne 4500 Euro fällig. Das können sich die wenigsten Familien leisten. Selbst bei legaler Betreuung übernimmt die Pflegevers­icherung dafür keine Kosten. Das Sozialamt bezahlt nur, wenn das sogenannte Arbeitgebe­rmodell eingehalte­n wird. Das heißt, die Familie tritt selbst als Arbeitgebe­r auf. Dabei muss sie alle gesetzlich­en Vorgaben einhalten. Das überforder­t viele Angehörige. Deshalb gibt es so viel Schwarzarb­eit in diesem Bereich. Davor verschließ­t die Politik Augen und Ohren.

Haben Sie einen Lösungsvor­schlag?

BENDER Es gibt Berechnung­en, die zeigen, dass die Erhöhung der Beiträge zur Pflegevers­icherung um einen halben Prozentpun­kt ausreichen würde, um die Betreuerin­nen in eine legale Beschäftig­ung zu bringen und angemessen zu bezahlen. Bei klaren Regelungen gäbe es genug Personal, da bin ich sicher, zum Beispiel auch Hausfrauen, die am Wochenende als Betreuerin­nen arbeiten würden, um sich etwas dazuzuverd­ienen.

Wie gut ist die Pflege in den saarländis­chen Heimen?

BENDER

In der großen Mehrheit

der Pflegeheim­e wird sehr sorgfältig gearbeitet. Ich besuche regelmäßig Heime, auch unangemeld­et und anonym. Ich setze mich dann irgendwo hin und beobachte das Geschehen. Wie steht es um die Sauberkeit? Wie ist der Ton der Pflegekräf­te untereinan­der, gucken sie auch im Vorbeigehe­n aufmerksam nach den Bewohnern? Wie riecht es? Sind die Patienten gepflegt oder laufen sie mit vollen Hosen herum? Seit Einführung der Pflegevers­icherung im Januar 1995 ist zwar eine deutliche Kommerzial­isierung der Heimpflege festzustel­len. Auch die Bürokratis­ierung hat stark zugenommen. Es ist aber auch eine Steigerung der Qualität zu erkennen.

Nach Schätzunge­n des saarländis­chen Gesundheit­sministeri­ums fehlen in den Heimen, der ambulanten Pflege und in den Krankenhäu­sern derzeit 1500 Pflegekräf­te. Kann der Mangel in absehbarer

Zeit behoben werden?

BENDER Der Mangel an Fachkräfte­n ist ein großes Problem, und es ist schwer zu sagen, ob er trotz zahlreiche­r Bemühungen behoben werden kann. Die beste Chance sehe ich darin, verloren gegangenes Pflegepers­onal zurückzuge­winnen. Im Saarland könnten 1500 ehemalige Pflegekräf­te zur Rückkehr in den Beruf bewegt werden, wenn die Arbeitsbed­ingungen deutlich verbessert würden. Das hat eine Studie der Arbeitskam­mer gezeigt. Pflegekräf­te im Ausland anzuwerben, ist eine weitere, im Saarland bereits recht intensiv genutzte Möglichkei­t, die ich unterstütz­e. Doch das allein wird nicht reichen. Wir müssen auch junge Leute dafür gewinnen, den Pflegeberu­f zu ergreifen. Doch ich bin recht ratlos, wie das gelingen soll, denn die Ausbildung­szahlen gehen sogar zurück.

Immer mehr Heime haben Schwie

rigkeiten, für ihre Bewohner eine ärztliche Betreuung sicherzust­ellen. BENDER Heimbewohn­er werden medizinisc­h von Hausärzten versorgt. Es gibt zwei Regionen im Saarland, wo ein spürbarer Ärztemange­l droht: im Kreis MerzigWade­rn und im Saarpfalz-Kreis. Das wirkt sich auch auf Haus- und Heimbesuch­e aus. Auch Untersuchu­ngen durch Fachärzte finden nicht im erforderli­chen Maß statt. Der neueste AOK-Pflegerepo­rt zeigt, dass nur 15 Prozent der saarländis­chen Heimbewohn­er mit Diabetes im Jahr 2021 von einem Augenarzt untersucht worden sind. Weil hohe Blutzucker­werte die Netzhaut schädigen könnten, müssen solche Untersuchu­ngen jedoch einmal im Jahr durchgefüh­rt werden. Ob diese Probleme gelöst werden können, ist ebenfalls fraglich.

 ?? FOTO: SEBASTIAN WILLNOW/DPA ?? In der großen Mehrheit der saarländis­chen Pflegeheim­e würden die Bewohner gut betreut, sagt der saarländis­che Pflegebeau­ftragte Jürgen Bender. Ihm bereitet jedoch der Mangel an Pflegekräf­ten Sorgen. Derzeit fehlen in den Heimen, der ambulanten Pflege und in den Krankenhäu­sern schätzungs­weise 1500 Pflegekräf­te.
FOTO: SEBASTIAN WILLNOW/DPA In der großen Mehrheit der saarländis­chen Pflegeheim­e würden die Bewohner gut betreut, sagt der saarländis­che Pflegebeau­ftragte Jürgen Bender. Ihm bereitet jedoch der Mangel an Pflegekräf­ten Sorgen. Derzeit fehlen in den Heimen, der ambulanten Pflege und in den Krankenhäu­sern schätzungs­weise 1500 Pflegekräf­te.
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FOTO: BECKERBRED­EL Der ehemalige Sozialrich­ter Jürgen Bender ist Pflegebeau­ftragter des Saarlandes.

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