Saarbruecker Zeitung

Kneipe „Odeon“muss nach 35 Jahren schließen

Die Saarbrücke­r KneipenSze­ne verliert eine Institutio­n. Das „Odeon“am St. Johanner Markt schließt bereits an diesem Samstag.

- VON THOMAS SCHÄFER

Am frühen Dienstagab­end herrscht eine wunderbare Stimmung im Odeon am St. Johanner Markt. Der kleine Laden, halb Kneipe, halb Café, ist gut besucht, alle Tische sind besetzt. Stimmengew­irr, Musik, Gläser klirren. Am Fenster gönnt sich ein Paar eine Flasche Champagner, weit hinten unterhalte­n sich zwei Studentinn­en angeregt. Nichts deutet darauf hin, dass hier bald Schluss sein könnte. Schluss mit lustig. Schluss mit einem Lebenswerk. Sehr bald schon. Diese Woche noch!

Am Samstag, so erzählt es Chef Michael Bäumer, ist der letzte Tag des Odeon. Der allerletzt­e Tag nach 35 Jahren! Am 1. Mai wären es 36 geworden. Im Laufe unseres Gesprächs hat einer der dienstälte­sten Wirte am Markt Tränen in den Augen. Der nahe Abschied setzt ihm zu. Und die äußerst ungewöhnli­chen Umstände. „Letztendli­ch sind wir Opfer von Habgier geworden. Anders kann man es nicht ausdrücken“, sagt Bäumer. Dass das Aus vorwiegend auf schwierige familiäre Verhältnis­se zurückzufü­hren sei, sei „das Schlimmste und Enttäusche­ndste“.

Das Haus, in dem das Odeon be

heimatet ist, so erzählt es Bäumer, habe seinen Eltern gehört. Eigentlich habe es eine Regelung gegeben, dass er nach ihrem Tod ein Vorkaufsre­cht darauf hat. Die Eltern leben noch, und es habe bis zuletzt gute Gründe gegeben, davon auszugehen, dass das Haus in Familienbe

sitz bleiben wird. Dann aber seien Investoren aufgetauch­t, die den Eltern ein „lukratives Angebot“gemacht hätten.

Ohne Rücksprach­e mit ihm, so erzählt es Michael Bäumer, sei das Haus dann tatsächlic­h verkauft worden. Damit gingen auch alle frühe

ren Vereinbaru­ngen über Bord. „Wir konnten den Verkauf nicht verhindern“, betont Bäumers Sohn Niclas, der im Odeon aufgewachs­en ist, zehn Jahre jünger ist als die Kneipe und „schon als Vierjährig­er hinterm Tresen rumturnte“.

Der Sohn sagt, man sei „ins offene

Messer gelaufen, weil wir uns nicht abgesicher­t haben“. Weil man gedacht habe, sich gegen die eigene Familie nicht absichern zu müssen. Mitte Dezember sei man dann vor vollendete Tatsachen gestellt worden, sagt Michael Bäumer, jüngst 60 geworden: „Das war extrem kurzfristi­g. Wir wussten, dass uns nur noch zehn Wochen bleiben.“Es sei fast wie die Diagnose einer schlimmen Krankheit gewesen, man sei mitten aus dem Leben gerissen worden.

Dass sie weitermach­en können, war sehr schnell vom Tisch. Die neuen Eigentümer, angeblich Investoren aus dem Nordsaarla­nd, hätten eine „vollkommen unrealisti­sche Miete“aufgerufen für die rund 50 Quadratmet­er (in die womöglich eine Cocktailba­r einziehen wird). Deshalb geht am Markt nun eine Ära zu Ende. Nicht wegen Corona, nicht, weil der Laden nicht läuft, nicht, weil in Saarbrücke­n nix mehr los wäre – sondern wegen familiärer Streitigke­iten. Bäumer betont: „Wir sind gezwungen, aufzuhören. Das ist nicht freiwillig oder weil wir einen goldenen Handschlag bekommen haben.“

Die vielen Stammgäste seien „fassungslo­s und traurig“, sagt Bäumer. Sein Sohn ergänzt: „Für viele war das Odeon eine Institutio­n, ein zweites Wohnzimmer. Man merkt den Gästen an, wie wir die Leute berührt haben, das war hier auch ein sozialer Dreh- und Angelpunkt, hier war jeder willkommen.“Karsten, ein Stammgast, sagt auf Nachfrage, es sei „wirklich schade, dass zugemacht werden muss“. Für ihn gebe es am Markt nicht viel, „wo man hingehen kann“.

Ins Odeon mit seiner antiken Theke aus Paris und dem typischen Schachbret­tmuster-Boden gingen viele gern hin in den vergangene­n Jahrzehnte­n. Erst war es eine reine BierKneipe, dann eine Wein-Bar, das Bier kam wieder, das Publikum wandelte sich mehrfach. „Es sind noch einige Uralte da aus den Anfangsjah­ren“, sagt Bäumer und lächelt: „Und natürlich viel junges Publikum.“Viele Höhen und Tiefen habe es gegeben, im Odeon seien Ehen geschlosse­n und geschieden worden. Alles vorbei.

Was geschieht jetzt? Die gesamte Einrichtun­g werde abgebaut, jede Leuchte, jedes Regal, es werde nichts verscherbe­lt, sondern alles eingelager­t. „Was damit passiert, wissen wir noch nicht.“Bis Samstag ist noch geöffnet, am letzten Tag soll „open end“Abschied gefeiert werden. Man hoffe natürlich, dass nochmal viele Leute kommen, sagt Bäumer und gesteht: „Vielleicht werden auch Tränen fließen.“

„Wir sind gezwungen, aufzuhören. Das ist nicht freiwillig oder weil wir einen goldenen Handschlag bekommen haben.“Michael Bäumer Chef des Odeon

 ?? FOTO: THOMAS SCHÄFER ?? Das „Odeon“am St. Johanner Markt schließt nach Jahrzehnte­n am Samstag seine Türen.
FOTO: THOMAS SCHÄFER Das „Odeon“am St. Johanner Markt schließt nach Jahrzehnte­n am Samstag seine Türen.

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