AfD-Mann schwänzt seit Jahren Sitzungen
Das ständige Fehlen von Riko Becker (AfD) fiel im Gemeinderat Quierschied schon häufiger negativ auf – Sanktionen scheute die Verwaltung allerdings bisher.
Gemeinderäte sind, wie Bürgermeister Lutz Maurer (parteilos) erst in der Januar-Sitzung des Rats bei der Verpflichtung des nachgerückten Mitglieds Michel Dörr (AfD) erklärte, unter anderem „zur gesetzmäßigen und gewissenhaften Ausführung des Amtes“und Teilnahme an den Ratssitzungen verpflichtet. Dörrs Parteikollege Riko Becker konnte diese Worte allerdings nicht hören, denn er fehlte bei der Sitzung – wie bereits seit rund dreieinhalb Jahren. Dafür droht Becker nun ein Ordnungsgeld in Höhe von 180 Euro, das in der nächsten Sitzung des Gemeinderats am Mittwoch, 28. Februar, verhängt werden könnte, sofern die Mehrheit des Rats dem zustimmt.
Diese Möglichkeit haben saarländische Städte und Gemeinden seit einer Änderung des Kommunalselbstverwaltungsgesetzes ( KSVG) im Dezember 2020. Dort heißt es seitdem im Paragraf 33, Absatz 1: „Die Mitglieder des Gemeinderats haben die ihnen obliegenden Pflichten gewissenhaft zu erfüllen, insbesondere an den Sitzungen des Gemeinderats teilzunehmen. Der Gemeinderat kann in seiner Geschäftsordnung regeln, dass gegen Gemeinderatsmitglieder, die wiederholt ohne genügende Entschuldigung an den Sitzungen des Gemeinderats oder seiner Ausschüsse nicht teilnehmen, ein Ordnungsgeld bis zur dreifachen Höhe der monatlichen Aufwandsentschädigung verhängt werden kann.“Der Quierschieder Rat stimmte einer entsprechenden Änderung seiner Geschäftsordnung im Oktober 2022 zu, hat diese Sanktionsmöglichkeit seither allerdings noch nie genutzt.
Dass es dieses Mal so kommt, dürfte aber ziemlich sicher sein: Beckers Fehlen fiel im Rat schon häufiger negativ auf. Er rückte im Juni 2020 für den freiwillig ausscheidenden Jens Zeitz in den Gemeinderat nach, ist dort allerdings
das letzte Mal im September 2020 gesehen worden. Von insgesamt 26 Sitzungen habe er nur an dreien teilgenommen, teilt die Verwaltung der SZ auf Nachfrage mit, von diesen 23 Sitzungen wiederum in 16 Fällen unentschuldigt. Noch schlechter ist die Quote im Werksausschuss und dem Rechnungsprüfungsausschuss, wo Becker eigentlich ebenfalls einen Sitz innehat: Dort habe er jeweils nur eine einzige Sitzung besucht. Insgesamt fehlte er bei 48 von 53 Gremiensitzungen seit seiner Bestellung zum Gemeinderatsmitglied. „In den letzten 41 vergangenen Gremiensitzungen fehlte er durchgehend unentschuldigt“, schreibt die Verwaltung in der Vorlage.
Bei der Kommunalwahl 2019 erreichte die AfD in Quierschied 7,8 Prozent, ein Plus von 3,1 Prozentpunkten gegenüber 2014. Seitdem ist die Partei im Gemeinderat mit zwei Mandaten vertreten. Zweites Mitglied neben Becker war (bis zu seinem Tod im Oktober 2023) Fraktionsvorsitzender Willi Conrad, für den Michel Dörr in den Rat nachrückte. Auch Conrad habe nur an zwölf Sitzungen teilgenommen, erklärt die Gemeinde Quierschied der SZ auf Nachfrage – betont jedoch, dass in seinem Fall immer eine Entschuldigung vorlag.
Trotz dieser Umstände war allerdings auch sein Fehlen schon Thema im Rat. Erst im September
vergangenen Jahres monierten die Freien Wähler (FW), dass auch abwesende Mitglieder eine finanzielle Aufwandsentschädigung erhalten. Diese beläuft sich pauschal auf 60 Euro pro Monat, Fraktionsvorsitzende erhalten zusätzlich noch 30 Euro monatlich. Auch Krankheit rechtfertige nicht, „über Wochen, Monate und Jahre“Geld fürs Nichtstun zu kassieren, erklärte FW-Fraktionsvorsitzender Gernot Abrahams damals. Mit ihrem Antrag „Änderung der Auflagenerstattung für Mandatsträger“schlugen die Freien Wähler daher ein „leistungsbezogenes“System vor. Dieses beinhaltete eine Senkung der monatlichen Pauschale auf 5 Euro monatlich, dafür eine Erhöhung des Sitzungsgelds (das nur anwesende Ratsmitglieder erhalten) von 25 auf 60 Euro. Mit diesem Vorstoß scheiterte FW allerdings: Sowohl CDU als auch SPD waren der Ansicht, dass der neugewählte Gemeinderat nach der Kommunalwahl im Juni 2024 darüber entscheiden solle. Abrahams warf den Fraktionen daraufhin vor, indirekt den Wahlkampf der AfD zu finanzieren.
Tatsächlich haben die (wechselnden) Mitglieder der AfD im Gemeinderat Quierschied von Juli 2019 bis Januar 2024 insgesamt „8270 Euro an Pauschalen und Sitzungsgeldern und zusätzliche Gelder in Höhe von 1080 Euro aufgrund ihres Fraktionsstatus erhalten“, teilt die Verwaltung
der SZ auf Nachfrage mit. Ob sie einen Teil dieser Summe – wie bei anderen Parteien üblich – ihrer Partei als Spende zukommen ließen, ist unklar: Becker war für die SZ für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Ob Michel Dörr, der auch Vorsitzender des AfD-Kreisverbands Saarbrücken-Land ist, von der bisherigen Performance der AfD im Gemeinderat wusste und was er von der drohenden Sanktion gegen seinen Parteikollegen hält, ist ebenfalls unbekannt: Eine Anfrage der SZ ließ Dörr bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Wie die Quierschieder Verwaltung der SZ auf Nachfrage allerdings bestätigte, habe Michel Dörr schriftlich mitgeteilt, dass er in Abstimmung mit seiner Fraktion – also Riko Becker – den Fraktionsvorsitz der AfD im Gemeinderat übernehme. Um eine Fraktion bilden zu können, müssen sich laut KSVG „mindestens zwei Mitglieder“derselben Partei oder „politischen Gruppierung mit im Wesentlichen gleicher politischen Zielsetzung“zusammenschließen. Neben der höheren Aufwandsentschädigung hat ein Fraktionsstatus noch einen weiteren Vorteil: Nur eine Fraktion darf Anträge in den Gemeinderat einbringen. Laut Auskunft der Verwaltung habe die AfD in Quierschied in der laufenden Legislaturperiode allerdings noch keinen einzigen Antrag eingereicht.