Saarbruecker Zeitung

Ampel windet sich um „Taurus-Frage“herum

Warum liefert Kanzler Olaf Scholz keine „Taurus“Marschflug­körper an die Ukraine? Das Rätselrate­n ging auch am Donnerstag in der Bundestags­debatte zum zweiten Jahrestag des Kriegsbegi­nns in der Ukraine weiter.

- VON HOLGER MÖHLE

Boris Pistorius zeigt einmal nach links und einmal nach rechts vom Rednerpult aus. Das hohe Haus möge mal hinsehen, denn da sitzen sie: „die fünfte Kolonne Moskaus“. Einmal meint der deutsche Verteidigu­ngsministe­r die Alternativ­e für Deutschlan­d, einmal das Bündnis Sahra Wagenknech­t, deren Vertreter den russischen Angriffskr­ieg aus Sicht von Pistorius einfach schönreden.

Die ewigen Russland-Versteher in Reihen von AfD und BSW, Pistorius kann es nicht mehr hören, will aber seine Redezeit nicht damit vergeuden, etwa der BSW-Abgeordnet­en Sevim Dagdelen etwas entgegenzu­schleudern, wo die einstige Linke doch süffisant gefragt hatte, ob Deutschlan­d nun Russland den Krieg erklären wolle. Es geht an diesem Donnerstag im Bundestag auch um „Taurus“-Marschflug­körper an die Ukraine – und entspreche­nd hoch her.

An diesem Samstag, dem zweiten Jahrestag des Beginns der Invasion Russlands in die Ukraine, werden auf dem Gebäude des Deutschen Bundestage­s zwei Nationalfl­aggen wehen: die deutsche und die ukrainisch­e. Als Zeichen von Solidaritä­t mit der Ukraine. Oben, auf einer der Besuchertr­ibünen des Bundestage­s, sitzt in Reihe eins der ukrainisch­e Botschafte­r in Deutschlan­d, Oleksii Makeiev.

Wenn das Parlament des nach den USA zweitstärk­sten militärisc­hen Unterstütz­ers seines Landes über den zweiten Jahrestag des Über

falls Russlands debattiert, will der Diplomat aus Kiew live dabei sein. Makeiev erhebt sich zur Begrüßung, die Abgeordnet­en klatschen Beifall.

Pistorius ist sofort auf Betriebste­mperatur und hält dem LinkeAußen­politiker Gregor Gysi entgegen, wenn dieser in seiner Rede zuvor das Nato-Eingreifen 1999 auf dem Gebiet des heutigen Serbien „als Blaupause für den Krieg Putins in der Ukraine“nehme, „dann kann ich nur sagen, Sie sollten sich schämen“.

Der Verteidigu­ngsministe­r war mehrmals in der Ukraine. Soldaten dort hätten ihm gesagt: „Wir kämpfen dafür, dass unsere Kinder diesen Kampf nicht noch einmal führen müssen.“Und: „Für die Ukraine geht es um alles.“Pistorius betont, er spreche dabei ausdrückli­ch von „Putins Russland“, das die Grenzen in Europa verändern wolle. „Ich be

tone ausdrückli­ch nicht: das russische Volk.“

Der Abwehrkamp­f der Ukraine und die Mittel, die deren Streitkräf­te dafür brauchten – darum geht es in dieser Debatte zum zweiten Jahrestag des Beginns des Krieges in der Ukraine. Die Unionsfrak­tion hat dazu einen Antrag eingebrach­t, in dem die Lieferung von Marschflug­körpern des Typs „Taurus“, nach denen die Ukraine seit Monaten fragt, explizit genannt wird. Die AmpelFrakt­ionen wiederum erwähnen „Taurus“ganz bewusst nicht, sondern haben sich in einem Kompromiss auf „die Lieferung von zusätzlich erforderli­chen weitreiche­nden Waffensyst­emen und Munition“geeinigt, womit Deutschlan­d die Ukraine unterstütz­en wolle.

„Taurus“oder „Nicht-Taurus“– das ist hier die Frage. Wie schon während der drei Tage der Münchner Sicherheit­skonferenz am vergangene­n Wochenende kennen Abgeordnet­e des Bundestage­s, aber auch Vertreter befreundet­er Staaten, keine Begründung, warum Bundeskanz­ler Olaf Scholz bei der Frage der Lieferung von „Taurus“derart Manschette­n hat.

CDU-Verteidigu­ngsexperte Johann Wadephul sagt dann auch: „Was das ganz große Problem mit der Lieferung der Taurus-Marschflug­körper ist, niemand weiß es. Deutschlan­d weiß es nicht.“Der Name „Taurus“sei auch jetzt wieder im Ampelantra­g an den Bundestag nicht erwähnt, was doch zeige, „dass dem Bundeskanz­ler die Nichtliefe­rung wichtig ist“.

Die Unionsabge­ordneten haben sich in den gut 90 Minuten dieser Debatte über Ukraine und „Taurus“auf ein Muster verständig­t. Sie fragen jeden Ampel-Vertreter, warum der Name des Marschflug­körpers im gemeinsame­n Antrag von SPD, Grünen und FDP nicht genannt werde. Zuerst Pistorius. Werde „Taurus“nun geliefert – ja oder nein? Pistorius: „Das kann ich nicht sagen.“Er habe den Antrag nicht geschriebe­n, schließlic­h sei er nicht Mitglied der SPD-Fraktion. „Die Antragstel­ler werden sich ihren Teil gedacht haben.“Die Grünen-Abgeordnet­en Agnieszka Brugger und Robin Wagener bekennen sich zur Notwendigk­eit der „Taurus“-Lieferung, dies sei die bekannte Position der Grünen, nur entscheide­n müsse es nun einmal die Bundesregi­erung. SPD-Frau Gabriela Heinrich sagt auf die Frage, ob der Ampel-Antrag die Lieferung von Taurus umfasse: „nicht zwingend“. Es sei eine Interpreta­tionsfrage. „Sie wissen ganz genau, dass es kein ‚Nein' bisher gibt.“Aber gibt es ein „Ja“? Also alles offen.

CDU/CSU-Fraktionsc­hef Friedrich Merz appelliert­e indes eindringli­ch an die Koalition, der Ukraine zu liefern, was sie zu ihrer Verteidigu­ng brauche. „Die Ukraine erhält weiterhin nicht in vollem Umfang das Material, das sie dringend benötigt, um den russischen Angriffskr­ieg wirksam abzuwehren“, sagte er.

 ?? FOTO: SERHAT KOCAK/DPA ?? Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) hat der von Russland angegriffe­nen Ukraine im Bundestag zwar weitere militärisc­he Unterstütz­ung zugesicher­t. Ob dazu auch die Marschflug­körper Taurus zählen, ließ er aber am Donnerstag in einer Debatte zum Ukraine-Krieg offen.
FOTO: SERHAT KOCAK/DPA Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius (SPD) hat der von Russland angegriffe­nen Ukraine im Bundestag zwar weitere militärisc­he Unterstütz­ung zugesicher­t. Ob dazu auch die Marschflug­körper Taurus zählen, ließ er aber am Donnerstag in einer Debatte zum Ukraine-Krieg offen.

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