Hohe Hürden für zugewanderte Lehrer
Trotz Lehrkräftemangels werden kaum zugewanderte Lehrkräfte in Deutschland eingestellt. Im Saarland ist das Anerkennungsverfahren für ausländische Abschlüsse laut einer Studie besonders restriktiv. Saar-Bildungsministerin Streichert- Clivot stellte sich i
Andrej Avdalovic hat Germanistik für das Lehramt in Bosnien studiert. 2016 kam er nach Deutschland. „Sprachförder- und Integrationslehrer wurden schon damals händeringend gesucht“, erzählt er in perfektem Deutsch. Also bemühte sich der Mann mit kroatischem Pass um eine Stelle in diesem Bereich. Und später um die Anerkennung seines GermanistikMasters – inklusive pädagogischen und didaktischen Qualifikationen. „Ich habe nach den Regeln des europaweiten Bologna-Systems studiert, aber eine Anerkennung habe ich bis heute nicht“, berichtet der 34-Jährige frustriert.
Andrej Avdalovic ist kein Einzelfall. Im Publikum der Podiumsdiskussion mit dem Titel „Zugewanderte Lehrkräfte sind ein Gewinn!“, die die Arbeitskammer kürzlich unter anderem mit Saar-Bildungsministerium Christine Streichert-Clivot (SPD) in Saarbrücken veranstaltete, saßen weitere Betroffene. Viele sind irgendwie im Bildungssystem untergekommen, aber nicht als reguläre Lehrkräfte. Einige erzählten ihre Geschichten. Wie sie wie der Kroate in die Mühlen der deutschen Bürokratie gerieten, deren undurchsichtige Regeln und Zuständigkeiten viele qualifizierte Menschen aus dem Ausland zur Verzweiflung bringen. Mehrere Experten schilderten, wie ungeheuer schwer – bis unmöglich – der Weg ausländischer Lehrkräfte ins deutsche Bildungssystem ist. Schon das Anerkennungsverfahren für EU-Abschlüsse ist langwierig und kompliziert. Drittstaatler haben es noch viel schwerer. Sie müssen zwei Fächer und Pädagogik stu
diert haben, die Sprache (bisher) auf dem allerhöchsten Niveau C2 beherrschen.
Wie die Anerkennungs- und Beschäftigungspraxis von Lehrkräften aus dem Ausland in den einzelnen Bundesländern aussieht, dazu stellte der Bildungsexperte Roman George eine 2021 veröffentlichte Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) vor. „Von bundesweit rund 2500 Anträgen auf Anerkennung pro Jahr werden nur etwa 500 bewilligt“, erläuterte George. „Wir schätzen aber, dass bundesweit jährlich bis zu 1375 migrierte Lehrkräfte eine volle Lehramtsbefähigung erhalten könnten.“Würden die restriktiven Anerkennungsverfahren für den staatlich reglementierten Lehrerberuf überarbeitet und flexibilisiert.
George kritisierte den „preußischen Blick“auf im Ausland erworbene Studienleistungen. Die vorhandene Berufserfahrung werde „systematisch gering geschätzt“. Ermessensspielräume in den Behörden würden oft nicht genutzt, die Studie habe ablehnende Haltungen gegenüber Lehrkräften aus dem Ausland festgestellt. Das sei nicht nur diskriminierend, sondern man
könne es sich angesichts des Lehrermangels und der Herausforderungen der Integration an zunehmend multi- und interkulturellen Schulen gar nicht leisten, so die Meinung von Diskussionsteilnehmerin Claudia Hell vom Interkulturellen Kompetenzzentrum der Arbeitskammer in Völklingen.
Gerade im Saarland sei die Anerkennungspraxis „ausgesprochen restriktiv und wenig praktikabel“, heißt es in der Studie. Das bestätigt auch Werner Dörr von der Servicestelle zur Erschließung ausländischer Qualifikationen (bei Saaris). Die deutschen Standards seien zu hoch. Deshalb absolviere auch nur ein geringer Teil der Antragsteller einen sogenannten Anpassungslehrgang zur Nachqualifizierung. Vor einer alternativen Eignungsprüfung hätten viele Angst, denn
auch dafür gebe es kaum Beratung und Unterstützung. Und so bleiben die Ressourcen vieler zugewanderter Lehrkräfte ungenutzt. Oder die ausländischen Lehrerinnen und Lehrer müssen sich mit befristeten Jobs – oft auf Honorarbasis und als Selbstständige –, zufrieden geben. So wie Andrej Avdalovic. Oder der Syrer Fadi Alnaamat-Scheer mit einem anerkannten Studium der Germanistik, Demografie und Pädagogik. Er arbeitet als Sprachförderlehrer. Alnaamat-Scheer ist jetzt deutscher Staatsbürger, aber ihm fehlt das zweite Fach, um in den regulären Schuldienst wechseln zu können – „Demografie zählt nicht“, berichtet er frustriert. Auch er hat Jahre auf eine Nachricht von den Behörden gewartet.
„Als ich 2016 kam, sagte man mir, ich könne als Lehrer für Integrationskurse arbeiten, wenn ich eine vorläufige Zulassung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) bekomme“, berichtet Avdalovic. Wie man die erhält, was dafür notwendig ist – all das musste der Germanist mühsam selbst bei verschiedenen Stellen herausfinden. „Es gibt nur häppchenweise Infos, alles ist völlig intransparent“, kritisierten er und andere im Publikum und auf dem Podium. 2020 stellte Avdalovic einen Antrag auf Anerkennung seines Hochschulabschlusses. „Drei Jahre hat es gedauert, bis das Kultusministerium mir mitteilen konnte, dass die Saar-Uni beurteilen soll, ob mein Germanistik-Master als gleichwertig anerkannt wird“, erzählt er. „Nun soll ich Modulbeschreibungen meiner Kurse an der bosnischen Uni von vor über 15 Jahren besorgen.“Ob das klappt, ist ungewiss. Und selbst wenn es gelingt, fehlt dem Kroaten eine weitere bislang noch entscheidende Voraussetzung, um im Saarland als vollwertiger Lehrer anerkannt zu werden: Ein zweites Studienfach. Wäre Avdalovic kein EU-Bürger, hätte er so gut wie gar keine Chance im Saarland. Theoretisch könnte er ein weiteres Fach studieren. „Aber ich muss gleichzeitig ja auch Geld verdienen!“
Die „Zwei-Fächer-Regelung“fällt gerade in einigen Bundesländern, so groß ist der Lehrermangel. Und auch das Sprachniveau C1 statt C2 wird zunehmend akzeptiert. „Auch im Saarland ist vieles in Bewegung“, versichert die Ministerin, die als amtierende Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK) derzeit ihren Einfluss nutzen könnte. Das Thema sei auf der Tagesordnung. „Wir kriegen auch im Saarland was Gutes hin“, kündigte Streichert-Clivot an. Gleichzeitig verteidigte sie die hohen Anforderungen an den „nicht ohne Grund streng reglementierten“Lehrerberuf. Zudem arbeiteten an saarländischen Schulen zugewanderte Lehrkräfte, zum Beispiel als Sprachförderlehrer oder im herkunftssprachlichen Unterricht. Die würden zwar nicht beamtet, aber häufig tariflich entlohnt.
Solche beruflichen Perspektiven soll es für mehr zugewanderte Lehrkräfte geben, fordert die GEW. Wer keinen festen, unbefristeten Job hat, bekommt nur schwer einen Kredit, ist gefährdet im Krankheitsfall, etc.. So wie Andrej Avdalovic. Seit acht Jahren arbeitet er als Integrationslehrer für das Diakonische Werk in Saarbrücken. „Auf Honorarbasis. Ich bekomme weder Kranken- noch Urlaubsgeld“, klagt er. „Hätte man mir früher Bescheid gegeben, hätte ich vielleicht ein weiteres Studium für ein zweites Fach abschließen können in den vergangenen drei Jahren.“Nun überlegt er, sich ganz aus dem Lehrberuf zu verabschieden und sein Glück in einem anderen Arbeitsfeld zu suchen.
„Von bundesweit rund 2500 Anträgen auf Anerkennung pro Jahr werden nur etwa 500 bewilligt.“Roman George Bildungsexperte