Saarbruecker Zeitung

„Dem Niedergang zuzusehen, ist keine Alternativ­e“

Der Wirtschaft­sweise verteidigt hohe Subvention­en für den Bau einer Chipfabrik in Ensdorf und die Umstellung auf grünen Stahl.

- DIE FRAGEN STELLTE DANIEL KIRCH.

Sind Milliarden-Subvention­en für die klimaneutr­ale Transforma­tion oder die Ansiedlung einzelner Unternehme­n sinnvoll? Professor Michael Eilfort, Vorstand der Stiftung Marktwirts­chaft, äußerte sich am Donnerstag im SZ-Interview skeptisch zu der hohen Förderung für die WolfspeedC­hipfabrik in Ensdorf (mindestens 500 Millionen Euro) und den grünen Stahl (2,6 Milliarden Euro).

Der Wirtschaft­sweise Achim Truger widerspric­ht. Der Professor für Sozioökono­mie, Schwerpunk­t Staatstäti­gkeit und Staatsfina­nzen, an der Universitä­t Duisburg-Essen

gehört zu den Unterstütz­ern des saarländis­chen Transforma­tionsfonds.

Herr Professor Truger, wenn die Ansiedlung einer Chipfabrik mit grob gerechnet einer Million Euro oder noch mehr pro erwartetem Arbeitspla­tz subvention­iert wird, ist das dann noch verhältnis­mäßig? TRUGER Das kommt darauf an, welche Ziele man verfolgt. Wenn Ansiedlung­en für strategisc­h wichtig gehalten werden, müssen sie auch in einer entspreche­nden Größe getätigt werden. Dann kommt man eben auf solche Summen. Das ist überall, wo das gemacht wird, so.

Die reine Lehre der Marktwirts­chaft wäre: Unternehme­n, die rentabel sind, siedeln sich auch ohne Subvention­en in dieser Größenordn­ung ein.

TRUGER Das ist eine Illusion. Überall auf der Welt wird Industriep­olitik betrieben. Wenn man nicht glaubt, dass man alles einfach auf dem Weltmarkt günstig und ohne Risiken einkaufen kann, ist man gezwungen, da mitzuziehe­n. Es ist vernünftig, Zukunftste­chnologien, von denen klar ist, dass sie bei der Transforma­tion gebraucht werden, aktiv anzusiedel­n. Das ist ja keine saarländis­che oder deutsche Strategie, sondern eine europäisch­e. Es war arg blauäugig zu glauben, der Freihandel werde schon alles richten. Schon bei Corona hat sich gezeigt, dass die Lieferkett­en gestört waren, jetzt nehmen die geostrateg­ischen Risiken und die Angst vor Abhängigke­iten Europas zu. Insofern ist es nur rational, dass man sich für strategisc­h wichtige Zweige eine Strategie überlegt.

Die Gegner argumentie­ren, dass es in vielen Fällen, in denen hohe Subvention­en gezahlt wurden, große Versprechu­ngen und ein Strohfeuer gab, aber schließlic­h die Steuergeld­er versenkt wurden. Besteht dieses Risiko nicht grundsätzl­ich?

TRUGER Es gibt immer Risiken, aber es geht hier wirklich um eine breit und groß angelegte Transforma­tionsstrat­egie. Welche andere Wahl gäbe es? Industriew­erke haben immer starke Ausstrahlu­ngseffekte. Gerade für das Saarland, das im Strukturwa­ndel steht, ist klar, dass man in solche zukunftsfä­higen und strategisc­h wichtigen Branchen investiert. In diese Richtung geht ja auch der Transforma­tionsfonds des Saarlandes. Dem Niedergang zuzusehen, ist doch keine Alternativ­e!

Die Industrie- und Handelskam­mer des Saarlandes sagt, die hohe gesamtwirt­schaftlich­e Rendite in Form von Steuereinn­ahmen, Arbeitsplä­tzen oder zusätzlich­er Kaufkraft rechtferti­ge die hohe Subvention im Fall der WolfspeedC­hipfabrik. Lässt sich eine solche Rendite überhaupt seriös berechnen?

TRUGER Man kann das natürlich nicht auf Euro und Cent genau ausrechnen, aber man kann sich zumindest die positiven und negativen Effekte, die es geben kann, anschauen. Dass es gesamtwirt­schaftlich­e Wirkungen gibt, die weit über diese einzelwirt­schaftlich­e Subvention hinausreic­hen, ist doch klar –

erst recht im Vergleich dazu, wenn man gar nichts täte. Dann wäre der Niedergang vorgezeich­net.

Trotzdem ist doch der Subvention­sWettlauf kaum zu vermitteln. Die Konzerne wissen genau, dass sie die Standorte gegeneinan­der ausspielen können.

TRUGER Die Frage ist, wie stark dieser Wettbewerb ist. Wenn es Bedarf an Chips gibt, dann ist es doch vernünftig, für eine Ansiedlung zu sorgen. Es wäre aber besser, wenn Deutschlan­d und die EU klarer sagen würden, welche Ziele sie verfolgen und aus welchen Gründen sie was tun. Wir können die Entscheidu­ng, ob in bestimmten Branchen

investiert wird oder nicht, nicht dem Markt überlassen.

Bitte ein Beispiel.

TRUGER Wir können doch nicht zusehen, wie die Stahlprodu­ktion aus Deutschlan­d und Europa verschwind­et – in einer geostrateg­ischen Lage, in der Europa Stahl braucht, in der man nicht davon ausgehen kann, dass man von überall her Stahl bekommen kann, wenn man selbst keine Kapazitäte­n mehr hat. Das ist hochgefähr­lich! Hier muss die Politik aus übergeordn­eten vitalen, gesellscha­ftlichen Interessen Entscheidu­ngen für bestimmte Branchen, Standorte und Unternehme­n treffen.

Ihr Kollege Lars Feld sagte vor wenigen Tagen in einem Interview im Deutschlan­dfunk, es sei kein Ziel an sich, die Industrie in der Breite zu erhalten. In anderen Staaten seien Industrie-Anteile durch Dienstleis­tungs-Anteile ersetzt worden. Sehen Sie das anders?

TRUGER Diese Argumentat­ion ist doch ehrlich gesagt ein Pappkamera­d. Niemand sagt, dass es darum geht, die Industrie in der bisherigen Größe zu erhalten. Niemand sagt, dass es nicht auch Strukturwa­ndel geben kann und geben soll, den hat es immer gegeben. Es braucht aber konkrete politische Entscheidu­ngen in einzelnen Bereichen, was man hierbehalt­en möchte und was man ansiedeln möchte. Und das muss man dann auch instrument­ell unterlegen. Wenn man abwartet, was passiert, stellt man vielleicht fest, dass irgendetwa­s, was man gebraucht hätte, unwiederbr­inglich verloren ist. Deshalb ist es vernünftig, sich abzusicher­n.

Läuft man dann nicht Gefahr, dass wegen der hohen Energiepre­ise die Stahlindus­trie in Deutschlan­d dauerhaft mit Steuergeld­ern subvention­iert werden muss? Das würde den Staat finanziell sicherlich überforder­n.

TRUGER Es geht darum, dass man die Transforma­tion hin zu den erneuerbar­en Energien schafft und die Energiepre­ise dadurch wieder deutlich runtergehe­n. Ich wage keine Prognose, wie rentabel oder unrentabel grüner Stahl am Ende sein wird. Es muss jedenfalls kein Fass ohne Boden werden, zumal es ja auch sehr teuer ist, Stahl nach Europa zu transporti­eren.

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FOTO: RUPPENTHAL Europa braucht aus Sicht von Achim Truger unbedingt eine eigene Stahlprodu­ktion. Hier die Dillinger Hütte.
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Prof. Dr. Achim Truger ist seit 2019 Wirtschaft­sweiser.

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