„Dem Niedergang zuzusehen, ist keine Alternative“
Der Wirtschaftsweise verteidigt hohe Subventionen für den Bau einer Chipfabrik in Ensdorf und die Umstellung auf grünen Stahl.
Sind Milliarden-Subventionen für die klimaneutrale Transformation oder die Ansiedlung einzelner Unternehmen sinnvoll? Professor Michael Eilfort, Vorstand der Stiftung Marktwirtschaft, äußerte sich am Donnerstag im SZ-Interview skeptisch zu der hohen Förderung für die WolfspeedChipfabrik in Ensdorf (mindestens 500 Millionen Euro) und den grünen Stahl (2,6 Milliarden Euro).
Der Wirtschaftsweise Achim Truger widerspricht. Der Professor für Sozioökonomie, Schwerpunkt Staatstätigkeit und Staatsfinanzen, an der Universität Duisburg-Essen
gehört zu den Unterstützern des saarländischen Transformationsfonds.
Herr Professor Truger, wenn die Ansiedlung einer Chipfabrik mit grob gerechnet einer Million Euro oder noch mehr pro erwartetem Arbeitsplatz subventioniert wird, ist das dann noch verhältnismäßig? TRUGER Das kommt darauf an, welche Ziele man verfolgt. Wenn Ansiedlungen für strategisch wichtig gehalten werden, müssen sie auch in einer entsprechenden Größe getätigt werden. Dann kommt man eben auf solche Summen. Das ist überall, wo das gemacht wird, so.
Die reine Lehre der Marktwirtschaft wäre: Unternehmen, die rentabel sind, siedeln sich auch ohne Subventionen in dieser Größenordnung ein.
TRUGER Das ist eine Illusion. Überall auf der Welt wird Industriepolitik betrieben. Wenn man nicht glaubt, dass man alles einfach auf dem Weltmarkt günstig und ohne Risiken einkaufen kann, ist man gezwungen, da mitzuziehen. Es ist vernünftig, Zukunftstechnologien, von denen klar ist, dass sie bei der Transformation gebraucht werden, aktiv anzusiedeln. Das ist ja keine saarländische oder deutsche Strategie, sondern eine europäische. Es war arg blauäugig zu glauben, der Freihandel werde schon alles richten. Schon bei Corona hat sich gezeigt, dass die Lieferketten gestört waren, jetzt nehmen die geostrategischen Risiken und die Angst vor Abhängigkeiten Europas zu. Insofern ist es nur rational, dass man sich für strategisch wichtige Zweige eine Strategie überlegt.
Die Gegner argumentieren, dass es in vielen Fällen, in denen hohe Subventionen gezahlt wurden, große Versprechungen und ein Strohfeuer gab, aber schließlich die Steuergelder versenkt wurden. Besteht dieses Risiko nicht grundsätzlich?
TRUGER Es gibt immer Risiken, aber es geht hier wirklich um eine breit und groß angelegte Transformationsstrategie. Welche andere Wahl gäbe es? Industriewerke haben immer starke Ausstrahlungseffekte. Gerade für das Saarland, das im Strukturwandel steht, ist klar, dass man in solche zukunftsfähigen und strategisch wichtigen Branchen investiert. In diese Richtung geht ja auch der Transformationsfonds des Saarlandes. Dem Niedergang zuzusehen, ist doch keine Alternative!
Die Industrie- und Handelskammer des Saarlandes sagt, die hohe gesamtwirtschaftliche Rendite in Form von Steuereinnahmen, Arbeitsplätzen oder zusätzlicher Kaufkraft rechtfertige die hohe Subvention im Fall der WolfspeedChipfabrik. Lässt sich eine solche Rendite überhaupt seriös berechnen?
TRUGER Man kann das natürlich nicht auf Euro und Cent genau ausrechnen, aber man kann sich zumindest die positiven und negativen Effekte, die es geben kann, anschauen. Dass es gesamtwirtschaftliche Wirkungen gibt, die weit über diese einzelwirtschaftliche Subvention hinausreichen, ist doch klar –
erst recht im Vergleich dazu, wenn man gar nichts täte. Dann wäre der Niedergang vorgezeichnet.
Trotzdem ist doch der SubventionsWettlauf kaum zu vermitteln. Die Konzerne wissen genau, dass sie die Standorte gegeneinander ausspielen können.
TRUGER Die Frage ist, wie stark dieser Wettbewerb ist. Wenn es Bedarf an Chips gibt, dann ist es doch vernünftig, für eine Ansiedlung zu sorgen. Es wäre aber besser, wenn Deutschland und die EU klarer sagen würden, welche Ziele sie verfolgen und aus welchen Gründen sie was tun. Wir können die Entscheidung, ob in bestimmten Branchen
investiert wird oder nicht, nicht dem Markt überlassen.
Bitte ein Beispiel.
TRUGER Wir können doch nicht zusehen, wie die Stahlproduktion aus Deutschland und Europa verschwindet – in einer geostrategischen Lage, in der Europa Stahl braucht, in der man nicht davon ausgehen kann, dass man von überall her Stahl bekommen kann, wenn man selbst keine Kapazitäten mehr hat. Das ist hochgefährlich! Hier muss die Politik aus übergeordneten vitalen, gesellschaftlichen Interessen Entscheidungen für bestimmte Branchen, Standorte und Unternehmen treffen.
Ihr Kollege Lars Feld sagte vor wenigen Tagen in einem Interview im Deutschlandfunk, es sei kein Ziel an sich, die Industrie in der Breite zu erhalten. In anderen Staaten seien Industrie-Anteile durch Dienstleistungs-Anteile ersetzt worden. Sehen Sie das anders?
TRUGER Diese Argumentation ist doch ehrlich gesagt ein Pappkamerad. Niemand sagt, dass es darum geht, die Industrie in der bisherigen Größe zu erhalten. Niemand sagt, dass es nicht auch Strukturwandel geben kann und geben soll, den hat es immer gegeben. Es braucht aber konkrete politische Entscheidungen in einzelnen Bereichen, was man hierbehalten möchte und was man ansiedeln möchte. Und das muss man dann auch instrumentell unterlegen. Wenn man abwartet, was passiert, stellt man vielleicht fest, dass irgendetwas, was man gebraucht hätte, unwiederbringlich verloren ist. Deshalb ist es vernünftig, sich abzusichern.
Läuft man dann nicht Gefahr, dass wegen der hohen Energiepreise die Stahlindustrie in Deutschland dauerhaft mit Steuergeldern subventioniert werden muss? Das würde den Staat finanziell sicherlich überfordern.
TRUGER Es geht darum, dass man die Transformation hin zu den erneuerbaren Energien schafft und die Energiepreise dadurch wieder deutlich runtergehen. Ich wage keine Prognose, wie rentabel oder unrentabel grüner Stahl am Ende sein wird. Es muss jedenfalls kein Fass ohne Boden werden, zumal es ja auch sehr teuer ist, Stahl nach Europa zu transportieren.