Große Angst vor dem „mächtigen Mann“Bernhard Schick
Das zweite mutmaßliche Opfer, eine Ärztin, hat vor Gericht geschildert, wie der damalige Uniklinik-Chef sie 2017 unsittlich berührt haben soll.
Aufhorchen ließ Richterin Antje Sattler am Ende des dritten Verhandlungstags im Prozess gegen den Homburger Uniklinik-Professor Bernhard Schick wegen sexueller Belästigung. Eine als Zeugin geladene OP-Schwester war wegen Krankheit nicht erschienen und hatte beantragt, später nicht in einem Raum mit Schick aussagen zu müssen. Jetzt kommt eine Befragung per Video-Schalte in Betracht.
Zuvor waren, im Beisein ihrer Anwältinnen, zwei seit Jahrzehnten am UKS beschäftigte Krankenschwestern gehört worden. Richterin, Staatsanwältin und NebenklageAnwältin Rosetta Puma mühten sich vergebens, deren massive Erinnerungslücken zu schließen. Nicht selten gaben sie an, nicht mehr zu wissen, was sie bei ihrer polizeilichen Vernehmung 2020 in dem Fall ausgesagt hatten. Den Tatvorwürfen aber widersprachen beide kategorisch. Sexuelle Belästigung durch Schick sei an der Klinik nie ein Thema gewesen.
Schick, der Chefarzt der Hals-, Nasen- Ohren-Klinik des Uniklinikums Homburg soll 2017 in drei Fällen zwei Ärztinnen unsittlich berührt haben. Damals war er als Ärztlicher Direktor der höchste Mann am Uniklinikum. Am zweiten Prozesstag hatte eine Assistenzärztin, die letztlich ihre Ausbildung am UKS abbrach, ihre Erlebnisse geschildert. Diesmal sagte das zweite mutmaßliche Opfer aus, Friederike G. (Name geändert), das Schick laut Anklage in zwei Fällen belästigt haben soll.
Sie habe ihn als Chef geschätzt, viel von ihm gelernt. Eine Grenzüberschreitung sei am Donnerstag, 8. Juni 2017, passiert. Bei einer Operation habe sie Schick assistiert, sie hätten sich am Behandlungstisch gegenübergestanden. Ihr Chef habe ihre beiden Brüste gefasst, massiert und etwas erklärt – womöglich über die Schilddrüse, sie erinnere sich nicht genau. „Ich war überrumpelt und schockiert. Die Situation war furchtbar.“Sie habe mit so einem Verhalten einer „absoluten Respektsperson“nicht gerechnet.
Auch anhand eines Anrufs und eines Chatverlaufs mit ihrer Patentante habe sie später den Tattag rekonstruiert. Verwirrung gab es, weil sie bei der Polizei 2020 von einer Schilddrüsen-OP sprach, bei der sich das ereignet haben soll. Eine solche fand an dem Tag nicht statt. Wohl aber andere, an der außer Schick das OP-Personal teilnahm, das sie beschrieb. Wenigstens eine OP-Schwester – die diesmal nicht geladen war – habe ihr bestätigt, dass sie alles gesehen, sich aber nicht getraut habe, in dem Moment etwas zu sagen. Bei der Polizei hatte sie das später abgestritten. Mit der Aussage konfrontiert, stellte G. klar: „Das stimmt nicht. Es ist passiert, wie ich es gesagt habe – ganz klar!“
Ihre Patentante, eine Psychologin, habe ihr geraten, laut zu schreien, sollte sich so etwas wiederholen. Das sei am 13. oder 14. Juni 2017 bei einer Visite auf der Wachstation geschehen. Da habe Schick ihr, am Patientenbett stehend, mit der Hand über den Rücken gestrichen und an den Hintern gefasst, sie seine Hand weggeschlagen und laut gefragt „Was soll das?“Zwei ihr unbekannte Pfleger seien dabei gewesen.
In der Folge hätten sie immer wieder OP-Schwestern und Kolleginnen angesprochen, denen es ähnlich ergangen sei. Mit drei Kolleginnen, darunter das weitere mutmaßliche Opfer im Prozess, habe man überlegt, an wen man sich wende. Eine der vier sei auf Anraten ihres im UKS tätigen familiären Umfelds „ausgestiegen“, eine sei schwanger geworden. Um anonym zu bleiben, habe man die Antidiskriminierungsstelle des Bundes angerufen. Zu einer Anzeige bei der Polizei sei es nie gekommen.
G. führt aus, dass Schick in Frühkonferenzen erklärt habe, dass er ein „mächtiger Mann“sei: „Ich hatte Angst, dass er dafür sorgt, dass ich keine Stelle in der Region kriege.“Eine solche sei für sie nach einem Weggang vom UKS wegen der im Saarland verwurzelten Familie und Plänen für eine Klinik-Karriere nötig gewesen.
Weiteres Rätselraten gab es indes zur Zuverlässigkeit von Einsatzplänen und der UKS-Dokumentation etwa zur Anwesenheit bei Operationen. Diese, so hatte Schick zum Prozessauftakt erklärt, schließe aus, dass in den fraglichen Tatzeitpunkten beziehungsweise. -räumen er mit den Opfern am OP-Tisch gestanden oder bei Patienten-Visitation gewesen sei. G. erklärte indes, gerade kurzfristige Änderungen könnten „verschlampt“werden, dokumentiert werde eine Anwesenheit etwa auch nicht, wenn ein Mediziner nicht in die OP eingreift.
Nebenklägerin Puma legte für das erste Halbjahr den Stationseinteilungsplan vor, den eine Ärztin der HNO-Abteilung von 2017 aufgehoben habe. Dieser endet am 5. Juni. Kürzlich habe besagte Ärztin diesen erneut und den Plan für das zweite Halbjahr 2017 angefordert – dieser startet aber erst am 15. Juni. Puma: „Es gibt genau dort eine Lücke, in der sich alle Vorfälle ereignet haben sollen.“Schick erklärte dazu, es handele sich um alte Entwürfe für die Oberärzte, der endgültige Plan habe anders ausgesehen. Im vorgelegten hätte G. ab dem 5. Juni Dienst auf der Wachstation gehabt – laut Schick in der Endfassung aber nicht. Der Vorfall am 14. Juni könne sich somit dort nicht ereignet haben.