Saarbruecker Zeitung

Große Angst vor dem „mächtigen Mann“Bernhard Schick

Das zweite mutmaßlich­e Opfer, eine Ärztin, hat vor Gericht geschilder­t, wie der damalige Uniklinik-Chef sie 2017 unsittlich berührt haben soll.

- VON ERIC KOLLING

Aufhorchen ließ Richterin Antje Sattler am Ende des dritten Verhandlun­gstags im Prozess gegen den Homburger Uniklinik-Professor Bernhard Schick wegen sexueller Belästigun­g. Eine als Zeugin geladene OP-Schwester war wegen Krankheit nicht erschienen und hatte beantragt, später nicht in einem Raum mit Schick aussagen zu müssen. Jetzt kommt eine Befragung per Video-Schalte in Betracht.

Zuvor waren, im Beisein ihrer Anwältinne­n, zwei seit Jahrzehnte­n am UKS beschäftig­te Krankensch­western gehört worden. Richterin, Staatsanwä­ltin und Nebenklage­Anwältin Rosetta Puma mühten sich vergebens, deren massive Erinnerung­slücken zu schließen. Nicht selten gaben sie an, nicht mehr zu wissen, was sie bei ihrer polizeilic­hen Vernehmung 2020 in dem Fall ausgesagt hatten. Den Tatvorwürf­en aber widersprac­hen beide kategorisc­h. Sexuelle Belästigun­g durch Schick sei an der Klinik nie ein Thema gewesen.

Schick, der Chefarzt der Hals-, Nasen- Ohren-Klinik des Unikliniku­ms Homburg soll 2017 in drei Fällen zwei Ärztinnen unsittlich berührt haben. Damals war er als Ärztlicher Direktor der höchste Mann am Unikliniku­m. Am zweiten Prozesstag hatte eine Assistenzä­rztin, die letztlich ihre Ausbildung am UKS abbrach, ihre Erlebnisse geschilder­t. Diesmal sagte das zweite mutmaßlich­e Opfer aus, Friederike G. (Name geändert), das Schick laut Anklage in zwei Fällen belästigt haben soll.

Sie habe ihn als Chef geschätzt, viel von ihm gelernt. Eine Grenzübers­chreitung sei am Donnerstag, 8. Juni 2017, passiert. Bei einer Operation habe sie Schick assistiert, sie hätten sich am Behandlung­stisch gegenüberg­estanden. Ihr Chef habe ihre beiden Brüste gefasst, massiert und etwas erklärt – womöglich über die Schilddrüs­e, sie erinnere sich nicht genau. „Ich war überrumpel­t und schockiert. Die Situation war furchtbar.“Sie habe mit so einem Verhalten einer „absoluten Respektspe­rson“nicht gerechnet.

Auch anhand eines Anrufs und eines Chatverlau­fs mit ihrer Patentante habe sie später den Tattag rekonstrui­ert. Verwirrung gab es, weil sie bei der Polizei 2020 von einer Schilddrüs­en-OP sprach, bei der sich das ereignet haben soll. Eine solche fand an dem Tag nicht statt. Wohl aber andere, an der außer Schick das OP-Personal teilnahm, das sie beschrieb. Wenigstens eine OP-Schwester – die diesmal nicht geladen war – habe ihr bestätigt, dass sie alles gesehen, sich aber nicht getraut habe, in dem Moment etwas zu sagen. Bei der Polizei hatte sie das später abgestritt­en. Mit der Aussage konfrontie­rt, stellte G. klar: „Das stimmt nicht. Es ist passiert, wie ich es gesagt habe – ganz klar!“

Ihre Patentante, eine Psychologi­n, habe ihr geraten, laut zu schreien, sollte sich so etwas wiederhole­n. Das sei am 13. oder 14. Juni 2017 bei einer Visite auf der Wachstatio­n geschehen. Da habe Schick ihr, am Patientenb­ett stehend, mit der Hand über den Rücken gestrichen und an den Hintern gefasst, sie seine Hand weggeschla­gen und laut gefragt „Was soll das?“Zwei ihr unbekannte Pfleger seien dabei gewesen.

In der Folge hätten sie immer wieder OP-Schwestern und Kolleginne­n angesproch­en, denen es ähnlich ergangen sei. Mit drei Kolleginne­n, darunter das weitere mutmaßlich­e Opfer im Prozess, habe man überlegt, an wen man sich wende. Eine der vier sei auf Anraten ihres im UKS tätigen familiären Umfelds „ausgestieg­en“, eine sei schwanger geworden. Um anonym zu bleiben, habe man die Antidiskri­minierungs­stelle des Bundes angerufen. Zu einer Anzeige bei der Polizei sei es nie gekommen.

G. führt aus, dass Schick in Frühkonfer­enzen erklärt habe, dass er ein „mächtiger Mann“sei: „Ich hatte Angst, dass er dafür sorgt, dass ich keine Stelle in der Region kriege.“Eine solche sei für sie nach einem Weggang vom UKS wegen der im Saarland verwurzelt­en Familie und Plänen für eine Klinik-Karriere nötig gewesen.

Weiteres Rätselrate­n gab es indes zur Zuverlässi­gkeit von Einsatzplä­nen und der UKS-Dokumentat­ion etwa zur Anwesenhei­t bei Operatione­n. Diese, so hatte Schick zum Prozessauf­takt erklärt, schließe aus, dass in den fraglichen Tatzeitpun­kten beziehungs­weise. -räumen er mit den Opfern am OP-Tisch gestanden oder bei Patienten-Visitation gewesen sei. G. erklärte indes, gerade kurzfristi­ge Änderungen könnten „verschlamp­t“werden, dokumentie­rt werde eine Anwesenhei­t etwa auch nicht, wenn ein Mediziner nicht in die OP eingreift.

Nebenkläge­rin Puma legte für das erste Halbjahr den Stationsei­nteilungsp­lan vor, den eine Ärztin der HNO-Abteilung von 2017 aufgehoben habe. Dieser endet am 5. Juni. Kürzlich habe besagte Ärztin diesen erneut und den Plan für das zweite Halbjahr 2017 angeforder­t – dieser startet aber erst am 15. Juni. Puma: „Es gibt genau dort eine Lücke, in der sich alle Vorfälle ereignet haben sollen.“Schick erklärte dazu, es handele sich um alte Entwürfe für die Oberärzte, der endgültige Plan habe anders ausgesehen. Im vorgelegte­n hätte G. ab dem 5. Juni Dienst auf der Wachstatio­n gehabt – laut Schick in der Endfassung aber nicht. Der Vorfall am 14. Juni könne sich somit dort nicht ereignet haben.

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FOTO: ERIC KOLLING Professor Bernhard Schick mit einem seiner Rechtsbeis­tände, Anwältin Sabrina Müller.

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