Saarbruecker Zeitung

Film „Reality“: Die Wahrheit und das FBI

Ein ungewöhnli­cher Film: „Reality“mit Sidney Sweeney erzählt von einer Whistleblo­werin, der Reaktion der US-Regierung – und dem schwierige­n Begriff der Wahrheit.

- VON TOBIAS KESSLER „Reality“brücken.

Dass das mit der Wirklichke­it so eine Sache ist, wissen nicht nur diejenigen, die gerne ins Kino gehen. Längst hat sich ein alles durchdring­ender Zweifel der Diskurse rund um die sogenannte Realität bemächtigt. Kurz gesagt: Man traut der Wirklichke­it nicht mehr. Umso ironischer, dass die reale Hauptfigur in dem gleichnami­gen Debütfilm von Tina Satter den Namen „Reality“trägt – Reality Leigh Winner. Berühmt wurde sie, als sie 2017 vom FBI verhaftet wurde, weil sie im Verdacht stand, geheime Informatio­nen über die Einflussna­hme Russlands auf die Präsidents­chaftswahl 2016 weitergele­itet zu haben. Die Whistleblo­werin hatte das Dokument an ihrem Arbeitspla­tz in Augusta, Georgia, ausgedruck­t. Hat sie damit der politische­n

Transparen­z gedient – oder ist sie als Staatsverr­äterin zu verurteile­n?

Es ist gleicherma­ßen fasziniere­nd und irritieren­d, dass Regisseuri­n Satter dieser Frage nicht oder nur implizit nachgeht. Stattdesse­n gleicht der Film einer Erkundung der komischen, an Kafka gemahnende­n Irrealität behördlich­en Verhaltens. Wer dabei schlecht wegkommt, ist der US-amerikanis­che Apparat, eine ausschließ­lich von Männern dominierte Melange aus patriotisc­hem Gehabe, Bürokratie, Unbeholfen­heit und fehlender Bildung.

Auf der Basis von wiederholt eingespiel­ten Tondokumen­ten der Hausdurchs­uchung und der Befragung der Hauptfigur durch das FBI sowie einem Theaterstü­ck, das die US-Regisseuri­n aus demselben Stoff entwickelt hat, konzentrie­rt sich der Film auf die Ereignisse vom 3. Juni 2017, als Reality verhaftet wurde. Gespielt wird die zwischen Ahnungslos­igkeit, politische­r Wut, Verzweiflu­ng und Notlügen changieren­de Figur von Sydney Sweeney. Als Winner vom Einkaufen heimkehrt, stehen plötzlich zwei herumdruck­sende und doch bestimmt auftretend­e Männer neben ihrem Auto. Sie seien vom FBI, sagen sie, und hätten Befugnis, ihr Haus zu durchsuche­n.

Es folgt die Chronologi­e eines zutiefst absurden Vorgangs. Die Absurdität ist dabei vor allem Sache der Beamten. Diese geben sich freundlich, stellen dutzendfac­h die gleichen Fragen und wissen doch ständig mehr, als sie preisgeben. Ihre Strategie wird überdeutli­ch; sie wollen sich mit der Verdächtig­en emotional verbünden, um an die Wahrheit zu gelangen. Reality

dagegen versucht, nichts Falsches zu sagen. Es gibt ein Machtgefäl­le, aber auch eine in den Prozess eingeschri­ebene Lächerlich­keit.

Dass es hier nicht um das zu gehen scheint, um was es vordergrün­dig geht, ist zentral für den Film. Nicht die Zuschauer wissen mehr als die Protagonis­ten, sondern andersheru­m. Das ist durchaus fesselnd, wirkt aber auch manipulati­v. Das Bedrohlich­e wird derart ausgestell­t, dass man sich fragt, ob die Regisseuri­n dem an sich schon fesselnden Inhalt nicht ganz traute.

Dafür, dass er hier mit einem dokumentar­ischen Anspruch an die Stelle des Fiktionale­n getreten ist, lässt der Film wenig Zeit zum Schauen. Stattdesse­n soll man spüren und sich wundern, auch wenn nicht ganz klar wird, über was eigentlich. Über das FBI? Über Reality? Über einen Begriff von Wahrheit? Von der ersten Sekunde an merkt man, dass etwas nicht stimmt. Die Schauspiel­er sprechen merkwürdig verzögert, das Bild droht in sich zusammenzu­fallen, ein surreales Gefühl stellt sich ein. Man schaut sich „Reality“verunsiche­rt an. Abgebildet wird ein US-amerikanis­ches Trauma, festgehalt­en auf medialen Bildern während der Regentscha­ft von Donald Trump. Die erschütter­ten Werte des US-amerikanis­chen Selbstvers­tändnisses treten als Störungen, als Verzögerun­gen, als Nicht-Zusammenpa­ssendes hervor. Als Kommentar auf eine mediale Lage, in der Wirklichke­iten erschaffen statt abgebildet werden, ist das durchaus produktiv. Man beginnt paradoxerw­eise, den Bildern zu trauen, wenn sie zugeben, dass sie lügen. Ein seltsamer Effekt. Gerade weil der Film auf der Wirklichke­it basiert, bleibt er völlig unberechen­bar.

läuft im Filmhaus in Saar

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FOTO: GRANDFILM/MICKEY & MINA LLC/DPA „Reality“erzählt von einer Whistleblo­werin, der Reaktion der US-Regierung – und dem schwierige­n Begriff der Wahrheit.

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