Mit dem Nachtzug in die schwedische Provinz
Einmal die Polarlichter sehen: ein Traum unserer Autorin. Dazu ist sie alleine – und klimaschonend – mit dem Zug nach Skandinavien gefahren. Ihre Lebensversicherung: ein Stück Plastik.
Niemals hätte ich gedacht, dass ich bei diesem ständigen Geruckel einschlafen kann. Und doch scheint mich die Schaukelei des Nachtzuges auf den schwedischen Schienen in den Schlaf gewogen zu haben. Ein Lichtstrahl fand seinen Weg in die dunkle Kabine. Seltsam hell da draußen – und weiß. Ich fahre das Rollo hoch. Es liegt Schnee. Und das im September. Wo bin ich hier? Nur noch wenige Kilometer trennten mich davon, den Polarkreis zu überqueren. Und dorthin habe ich es nur mit dem Zug geschafft – von Saarbrücken aus in mehreren Etappen.
Eigentlich komplett irre. Fliegen ist doch viel leichter, schneller und unterm Strich – so die traurige Wahrheit – vermutlich auch günstiger. Doch wahr ist auch, dass Flugzeuge CO2-Schleudern sind. Und von der Landschaft, davon, wie die Menschen in anderen Regionen und Ländern leben, sehe ich von dort oben kaum was. Also war mein Transportmittel der Wahl der Zug, mein Ziel die Polarlichter und mein Weg dahin ein Rucksack-Solotrip – kurzum, ein Abenteuerurlaub.
Warum alleine? Ich kann die Reise unabhängig von anderen nach meinem Belieben und Budget planen. Das hatte ich zuvor schon öfters gemacht und mich dabei auch nie einsam gefühlt. Und so machte ich mich Mitte September 2023, vom kleinen Saarland und dem noch kleineren Saarbrücken, in das große Skandinavien auf.
Direkt nach Dänemark mit nur zwei Umstiegen in Mannheim und Hamburg ging es zuerst nach Kopenhagen. Eine sympathische Hafenstadt, die mit ihrer salzigen Brise ein Gefühl von Urlaub entstehen ließ. Angenehm, gemütlich: „hyggelig“eben.
In Göteborg, der zweitgrößten Stadt Schwedens und zugleich meinem zweiten Reiseziel, besuchte ich den Tierpark Slottsskogen, der nicht nur nichts kostete, sondern auch wunderschön war mit seinen Robben, Pinguinen und Schafen. Entspannend war es hier, ebenso wie im Schärengarten, wo ich auf einer Insel Meer und Schiffe im Blick hatte.
Typisch deutsch hatte ich in Göteborg schwedisches Bargeld abgehoben. Man weiß ja nie. Doch wenn ich etwas bezahle, egal ob Straßenbahn, Essen oder Eintritte, dann geht das in Schweden nur mit Kreditkarte. Erstaunlich, wie wichtig hier dieses Stück Plastik ist. Es war quasi meine Lebensversicherung. Die konnte man auch auf dem Weg nach Oslo im Zug gebrauchen, um etwas von den Automaten zu kaufen. Als ein Produkt aber im Automaten stecken blieb, half der kräftige Schaffner Reisenden dabei, ihre Snacks doch noch zu bekommen, indem er ganz unkonventionell gegen den Automaten schlug und trat und damit für Gelächter im Zug sorgte. Unkonventionell waren auch die Hochhäuser am Bahnhof von Oslo, die durch ihre abstrakten Fenster auffielen. Abseits dessen und der modernen Oper hat es mir die Stadt aber nicht allzu sehr angetan.
Vielmehr freute ich mich daher auf die malerische Zugfahrt nach Bergen. Es ging jenseits der Baumgrenze entlang an Gewässern und Wasserfällen. Erstaunlich, wo die Bahn doch überall fahren kann.
In Bergen selbst blieb ich zwei Nächte. Dort aß ich viel zu teures Essen, erlebte eine Fahrt vorbei an den beeindruckenden Fjorden, lernte viele Menschen kennen und hatte von der Unterkunft eine wundervolle Aussicht auf Bergen bei Nacht. Ein kleiner Wermutstropfen war die massive Schnarcherei einer Zimmerpartnerin im Hostel, gegen die sogar Kopfhörer und Oropax chancenlos waren.
Laut war es auch auf meiner Rückfahrt nach Oslo. Eher ungeplant war, dass mein reservierter Sitzplatz im Familienabteil mit Spielplatz, schreienden Kindern und überforderten Eltern lag. Doch hier halfen mir Kopfhörer und Musik durch die gut achtstündige Fahrt.
Nach wieder nur einer Nacht in Oslo fuhr ich nach Stockholm. In der schwedischen Hauptstadt blieb ich ebenfalls nur für einen Tag, schaute mir bei Sonnenschein und blauem Himmel die Altstadt Gamla Stan mit ihren bunten Häusern an und besuchte natürlich auch die Ikea-Kantine, um das Nationalgericht Köttbular zu testen und für gut zu befinden. Gestärkt stieg ich abends in den Nachtzug nach Abisko in Nordschweden. Zum Glück hatte ich eine Einzelkabine gebucht. Normalerweise können hier drei Menschen schlafen, doch ich wollte für die nächsten 17 Stunden meine Ruhe haben, während es durch Wälder und an Seen vorbeiging und dabei immer dunkler wurde. Der Sternenhimmel auf dieser Strecke war ungemein klar, fernab jeglicher Lichtverschmutzung. Und immer wieder sah ich etwas Komisches, etwas Milchiges, am Himmel, von dem ich nicht wusste, ob es jetzt Wolken oder doch irgendwie diese Polarlichter waren. Doch richtig mysteriös war das geisterartige Gebilde, das ich im Wald stehen sah. Das war viel zu tief für ein Polarlicht, aber was es war, konnte ich nicht erklären.
Am nächsten Morgen stand der Zug aber erstmal still und sollte sich für gut zwei Stunden nicht regen. Vermutlich deswegen waren die Preise im Zugrestaurant viel günstiger als sonst und ich gönnte mir für umgerechnet etwa 3,50 Euro Reh mit Kartoffeln. Diese warme Stärkung brauchte ich auch, bevor ich in Abisko bei 0 Grad ankam. Dort war Natur pur und im Herzen derer ein Canyon mit Wasserfall. Der nächste Supermarkt war etwa 2,5 Kilometer entfernt. Dorthin wanderte ich bei leichtem Schneefall und deckte mich mit Tütensuppen ein. Denn auf meinem Zimmer hatte ich einen Wasserkocher und das Abendessen stand somit schon mal fest. Essengehen in Skandinavien ist schließlich extrem teuer. Dennoch wollte ich genau das am zweiten Abend in Abisko testen und gab dabei über 50 Euro für einen Cider, ein mageres Fleisch-Hauptgericht und einen Mini-Kuchen mit einer Kugel Eis aus. Zahlung natürlich mit Karte. Immerhin lernte ich beim Abendessen zwei aufgeschlossene Schwedinnen kennen, mit denen ich mich angeregt über alles Mögliche unterhalten konnte und auch ein paar Wörter in der Landessprache lernte. Das ist diese Magie des Alleinreisens. Ich war nie einsam auf meinen Solotrips – auch, weil mich immer wieder nette Menschen auf meinem Weg begleiteten.
Noch immer hatte ich aber kein wirkliches Polarlichter-Erlebnis, was ich mir doch so sehr gewünscht hatte. Zurück auf dem Zimmer fing es draußen an zu stürmen. Keine gute Aussicht für Lichter. Ein kleines
Häschen hoppelte auf dem Gelände herum, suchte wohl Unterschlupf. Doch lange konnte ich es nicht bemitleiden, denn plötzlich sah ich von weiter entfernt hinter der Anlage der Unterkunft ein helles Licht, das sich bewegte und seine Farbe von weiß zu leichtem grün wechselte. Schnell war das Licht wieder weg, erschien aber später nochmal am Himmel. Ob das nun Ausläufer der Polarlichter waren? Keine Ahnung, aber magisch war es.
Mein nächster und nördlichster Halt der Reise war Narvik in Norwegen. Aufgrund von Regen und Nebel war es dort eher ungemütlich. Immerhin klarte der Himmel auch mal auf und ich realisierte, dass ich nun näher am Nordpol als am Saarland dran war. Das wirkte schon ziemlich surreal auf mich.
Wieder mit dem Nachtzug ging es zurück in das recht warme Stockholm, wo ich zum Abschluss das Abba-Museum erkundete und die Spätsommersonne genoss. Außerdem bin ich mein Bargeld aus Göteborg in einem Souvenirshop losgeworden und habe dabei selbst ein Souvenir durch das Wechselgeld erhalten: ein Schein mit der Pipi-LangstrumpfAutorin Astrid Lindgren drauf.
Über Malmö reiste ich dann nach Kopenhagen und am Tag darauf ging es auch wieder nach Saarbrücken. Wie bereits auf der Hinfahrt in einem Rutsch, mit vielen tollen Erinnerungen im Gepäck, aber leider auch mit einer Erkältung.