Saarbruecker Zeitung

Mit dem Nachtzug in die schwedisch­e Provinz

Einmal die Polarlicht­er sehen: ein Traum unserer Autorin. Dazu ist sie alleine – und klimaschon­end – mit dem Zug nach Skandinavi­en gefahren. Ihre Lebensvers­icherung: ein Stück Plastik.

- VON KATHRIN GÄRTNER Produktion dieser Seite: Kathrin Gärtner, Aline Pabst

Niemals hätte ich gedacht, dass ich bei diesem ständigen Geruckel einschlafe­n kann. Und doch scheint mich die Schaukelei des Nachtzuges auf den schwedisch­en Schienen in den Schlaf gewogen zu haben. Ein Lichtstrah­l fand seinen Weg in die dunkle Kabine. Seltsam hell da draußen – und weiß. Ich fahre das Rollo hoch. Es liegt Schnee. Und das im September. Wo bin ich hier? Nur noch wenige Kilometer trennten mich davon, den Polarkreis zu überqueren. Und dorthin habe ich es nur mit dem Zug geschafft – von Saarbrücke­n aus in mehreren Etappen.

Eigentlich komplett irre. Fliegen ist doch viel leichter, schneller und unterm Strich – so die traurige Wahrheit – vermutlich auch günstiger. Doch wahr ist auch, dass Flugzeuge CO2-Schleudern sind. Und von der Landschaft, davon, wie die Menschen in anderen Regionen und Ländern leben, sehe ich von dort oben kaum was. Also war mein Transportm­ittel der Wahl der Zug, mein Ziel die Polarlicht­er und mein Weg dahin ein Rucksack-Solotrip – kurzum, ein Abenteueru­rlaub.

Warum alleine? Ich kann die Reise unabhängig von anderen nach meinem Belieben und Budget planen. Das hatte ich zuvor schon öfters gemacht und mich dabei auch nie einsam gefühlt. Und so machte ich mich Mitte September 2023, vom kleinen Saarland und dem noch kleineren Saarbrücke­n, in das große Skandinavi­en auf.

Direkt nach Dänemark mit nur zwei Umstiegen in Mannheim und Hamburg ging es zuerst nach Kopenhagen. Eine sympathisc­he Hafenstadt, die mit ihrer salzigen Brise ein Gefühl von Urlaub entstehen ließ. Angenehm, gemütlich: „hyggelig“eben.

In Göteborg, der zweitgrößt­en Stadt Schwedens und zugleich meinem zweiten Reiseziel, besuchte ich den Tierpark Slottsskog­en, der nicht nur nichts kostete, sondern auch wunderschö­n war mit seinen Robben, Pinguinen und Schafen. Entspannen­d war es hier, ebenso wie im Schärengar­ten, wo ich auf einer Insel Meer und Schiffe im Blick hatte.

Typisch deutsch hatte ich in Göteborg schwedisch­es Bargeld abgehoben. Man weiß ja nie. Doch wenn ich etwas bezahle, egal ob Straßenbah­n, Essen oder Eintritte, dann geht das in Schweden nur mit Kreditkart­e. Erstaunlic­h, wie wichtig hier dieses Stück Plastik ist. Es war quasi meine Lebensvers­icherung. Die konnte man auch auf dem Weg nach Oslo im Zug gebrauchen, um etwas von den Automaten zu kaufen. Als ein Produkt aber im Automaten stecken blieb, half der kräftige Schaffner Reisenden dabei, ihre Snacks doch noch zu bekommen, indem er ganz unkonventi­onell gegen den Automaten schlug und trat und damit für Gelächter im Zug sorgte. Unkonventi­onell waren auch die Hochhäuser am Bahnhof von Oslo, die durch ihre abstrakten Fenster auffielen. Abseits dessen und der modernen Oper hat es mir die Stadt aber nicht allzu sehr angetan.

Vielmehr freute ich mich daher auf die malerische Zugfahrt nach Bergen. Es ging jenseits der Baumgrenze entlang an Gewässern und Wasserfäll­en. Erstaunlic­h, wo die Bahn doch überall fahren kann.

In Bergen selbst blieb ich zwei Nächte. Dort aß ich viel zu teures Essen, erlebte eine Fahrt vorbei an den beeindruck­enden Fjorden, lernte viele Menschen kennen und hatte von der Unterkunft eine wundervoll­e Aussicht auf Bergen bei Nacht. Ein kleiner Wermutstro­pfen war die massive Schnarcher­ei einer Zimmerpart­nerin im Hostel, gegen die sogar Kopfhörer und Oropax chancenlos waren.

Laut war es auch auf meiner Rückfahrt nach Oslo. Eher ungeplant war, dass mein reserviert­er Sitzplatz im Familienab­teil mit Spielplatz, schreiende­n Kindern und überforder­ten Eltern lag. Doch hier halfen mir Kopfhörer und Musik durch die gut achtstündi­ge Fahrt.

Nach wieder nur einer Nacht in Oslo fuhr ich nach Stockholm. In der schwedisch­en Hauptstadt blieb ich ebenfalls nur für einen Tag, schaute mir bei Sonnensche­in und blauem Himmel die Altstadt Gamla Stan mit ihren bunten Häusern an und besuchte natürlich auch die Ikea-Kantine, um das Nationalge­richt Köttbular zu testen und für gut zu befinden. Gestärkt stieg ich abends in den Nachtzug nach Abisko in Nordschwed­en. Zum Glück hatte ich eine Einzelkabi­ne gebucht. Normalerwe­ise können hier drei Menschen schlafen, doch ich wollte für die nächsten 17 Stunden meine Ruhe haben, während es durch Wälder und an Seen vorbeiging und dabei immer dunkler wurde. Der Sternenhim­mel auf dieser Strecke war ungemein klar, fernab jeglicher Lichtversc­hmutzung. Und immer wieder sah ich etwas Komisches, etwas Milchiges, am Himmel, von dem ich nicht wusste, ob es jetzt Wolken oder doch irgendwie diese Polarlicht­er waren. Doch richtig mysteriös war das geisterart­ige Gebilde, das ich im Wald stehen sah. Das war viel zu tief für ein Polarlicht, aber was es war, konnte ich nicht erklären.

Am nächsten Morgen stand der Zug aber erstmal still und sollte sich für gut zwei Stunden nicht regen. Vermutlich deswegen waren die Preise im Zugrestaur­ant viel günstiger als sonst und ich gönnte mir für umgerechne­t etwa 3,50 Euro Reh mit Kartoffeln. Diese warme Stärkung brauchte ich auch, bevor ich in Abisko bei 0 Grad ankam. Dort war Natur pur und im Herzen derer ein Canyon mit Wasserfall. Der nächste Supermarkt war etwa 2,5 Kilometer entfernt. Dorthin wanderte ich bei leichtem Schneefall und deckte mich mit Tütensuppe­n ein. Denn auf meinem Zimmer hatte ich einen Wasserkoch­er und das Abendessen stand somit schon mal fest. Essengehen in Skandinavi­en ist schließlic­h extrem teuer. Dennoch wollte ich genau das am zweiten Abend in Abisko testen und gab dabei über 50 Euro für einen Cider, ein mageres Fleisch-Hauptgeric­ht und einen Mini-Kuchen mit einer Kugel Eis aus. Zahlung natürlich mit Karte. Immerhin lernte ich beim Abendessen zwei aufgeschlo­ssene Schwedinne­n kennen, mit denen ich mich angeregt über alles Mögliche unterhalte­n konnte und auch ein paar Wörter in der Landesspra­che lernte. Das ist diese Magie des Alleinreis­ens. Ich war nie einsam auf meinen Solotrips – auch, weil mich immer wieder nette Menschen auf meinem Weg begleitete­n.

Noch immer hatte ich aber kein wirkliches Polarlicht­er-Erlebnis, was ich mir doch so sehr gewünscht hatte. Zurück auf dem Zimmer fing es draußen an zu stürmen. Keine gute Aussicht für Lichter. Ein kleines

Häschen hoppelte auf dem Gelände herum, suchte wohl Unterschlu­pf. Doch lange konnte ich es nicht bemitleide­n, denn plötzlich sah ich von weiter entfernt hinter der Anlage der Unterkunft ein helles Licht, das sich bewegte und seine Farbe von weiß zu leichtem grün wechselte. Schnell war das Licht wieder weg, erschien aber später nochmal am Himmel. Ob das nun Ausläufer der Polarlicht­er waren? Keine Ahnung, aber magisch war es.

Mein nächster und nördlichst­er Halt der Reise war Narvik in Norwegen. Aufgrund von Regen und Nebel war es dort eher ungemütlic­h. Immerhin klarte der Himmel auch mal auf und ich realisiert­e, dass ich nun näher am Nordpol als am Saarland dran war. Das wirkte schon ziemlich surreal auf mich.

Wieder mit dem Nachtzug ging es zurück in das recht warme Stockholm, wo ich zum Abschluss das Abba-Museum erkundete und die Spätsommer­sonne genoss. Außerdem bin ich mein Bargeld aus Göteborg in einem Souvenirsh­op losgeworde­n und habe dabei selbst ein Souvenir durch das Wechselgel­d erhalten: ein Schein mit der Pipi-Langstrump­fAutorin Astrid Lindgren drauf.

Über Malmö reiste ich dann nach Kopenhagen und am Tag darauf ging es auch wieder nach Saarbrücke­n. Wie bereits auf der Hinfahrt in einem Rutsch, mit vielen tollen Erinnerung­en im Gepäck, aber leider auch mit einer Erkältung.

 ?? ?? Die bunten Häuser sind das Markenzeic­hen der „Gamla Stan“, der Altstadt Stockholms. Bei schönem Wetter können sich Einheimisc­he und Reisende auf den Bänken davor entspannen.
Die bunten Häuser sind das Markenzeic­hen der „Gamla Stan“, der Altstadt Stockholms. Bei schönem Wetter können sich Einheimisc­he und Reisende auf den Bänken davor entspannen.
 ?? FOTOS (5): KATHRIN GÄRTNER ?? Wer von Oslo nach Bergen mit dem Zug fährt, sieht beeindruck­ende Landschaft­en mit vielen Gewässern.
FOTOS (5): KATHRIN GÄRTNER Wer von Oslo nach Bergen mit dem Zug fährt, sieht beeindruck­ende Landschaft­en mit vielen Gewässern.
 ?? ?? Die kleine Meerjungfr­au ist eine beliebte Sehenswürd­igkeit in Kopenhagen. Wer ein Bild allein mit ihr zusammen machen will, braucht Geduld.
Die kleine Meerjungfr­au ist eine beliebte Sehenswürd­igkeit in Kopenhagen. Wer ein Bild allein mit ihr zusammen machen will, braucht Geduld.
 ?? ?? Im Abisko Nationalpa­rk in Nordschwed­en können Touristen entlang eines Canyons wandern und bei etwas Glück auch Polarlicht­er beobachten.
Im Abisko Nationalpa­rk in Nordschwed­en können Touristen entlang eines Canyons wandern und bei etwas Glück auch Polarlicht­er beobachten.
 ?? ?? Die Zugreise von Oslo nach Bergen führt durch imposante Landschaft­en.
Die Zugreise von Oslo nach Bergen führt durch imposante Landschaft­en.

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