Kautabak für Bergleute – Zigarren für Piloten
In Heusweiler gab es einst drei Tabakfabriken – die letzte schloss 1960. Bergleute und Piloten gehörten zu den Hauptabnehmern der Rauchwaren.
Im Jahre 2007 bekam Deutschland ein Nichtraucherschutzgesetz. Unter anderem wurde das Rauchen in Bus, Bahn und Behörden verboten. Die Bundesländer folgten 2008. Sie erließen Rauchverbote in öffentlichen Gebäuden und der Gastronomie. Bis dahin jedoch war das Rauchen gesellschaftsfähig. Wesentlich mehr Menschen als heute pflegten dieses Laster. Laut einer Allensbach-Analyse im Jahre 1950 rauchten damals 88 Prozent der deutschen Männer und 21 Prozent der deutschen Frauen. Sie alle glaubten, den „Duft der großen weiten Welt“frohen Herzens genießen zu können. Von Gesundheitsgefahren, Nichtraucherschutz oder gar Rauchverbot war noch keine Rede. Die Werbung tat ihr Übriges. Wer erinnert sich nicht an das HB-Männchen, dem nach dem „Genuss“einer Zigarette alles gelang, was vorher schieflief. Oder den Marlboro-Mann. Oder den Slogan „Ich geh‘ meilenweit für eine Camel“. Bei den Saarländern waren vor allem dunkle Zigarettensorten beliebt, solche mit blonden Tabaken rauchten sie eher selten. Die im autonomen Saarstaat ansässigen Tabak- und Zigarettenfabriken hatten Hochkonjunktur. Den meisten Rauchern waren deutsche Fabrikate zu teuer, denn für diese wurden hohe Importzölle erhoben und auf die Preise draufgeschlagen. Daher griffen die Saarländer in den 1950er-Jahren gerne auf die preiswerteren Erzeugnisse ihrer eigenen Tabakwaren-Hersteller zurück. Die bekanntesten saarländischen Marken waren Halbe
Fünf, Virginia, Polo, Roth-Füchsel, Imperial, Oakland und Amba.
Tabakfabrik Dilsburg hat Hochkonjunktur
Bis in die 1960er-Jahre durfte in Krankenhäusern gequalmt werden, am Krankenbett stand ein
Aschenbecher auf dem Nachttischkästchen. In Gesprächsrunden im Fernsehen wurde so viel gepafft, dass die Diskussionsteilnehmer durch den Rauch kaum mehr zu erkennen waren. Sogar in Flugzeugen durften die Passagiere rauchen. Ja, selbst die Piloten steckten sich in der Luft einen Glimmstängel zwischen die Zäh
ne. Und so mancher stolze Flugzeugführer bezog seine Ware in jenen Zeiten aus dem Heusweiler Ortsteil Dilsburg. Dort stand in der Fabrikstraße Nummer 21 eine Tabakfabrik, die auch Namensgeber für diese Straße war. Erbaut wurde der Komplex 1907 von Jakob Bickelmann als Margarinefabrik, die etwa 30 Mitarbeiter beschäftigte. Doch schon vier Jahre später wurde die Margarineproduktion aus heute unbekanntem Grund wieder eingestellt. Das Gebäude wurde an einen Geschäftsmann namens Louis verkauft, der es zur Tabakfabrik umbaute. Um 1920 erwarb Hermann Neu die Fabrik, die zu Spitzenzeiten bis zu 70 Personen beschäftigte. Neben „Dilsburger Kautabak“wurden hauptsächlich Zigarren der Marke „Fliegerstolz“produziert. Mit Kautabak, der damals als gesund galt, hielten Bergarbeiter ihren Nikotinpegel hoch. Denn den Kumpels war es aus Sicherheitsgründen streng untersagt, unter Tage Feuer anzuzünden oder zu rauchen. Die kleinen Fliegerstolz-Zigarren gehörten zu der Kategorie, die „Stumbe“genannt wurde. 20 Stück waren in einer Schachtel, die fünf Mark kostete. Nach heutiger Währung wären das etwa 2,62 Euro. Eine einzelne Zigarre kostete 25 Pfennig. Mild und würzig schmeckten die Zigarren, die noch bis 1960 hergestellt wurden. Der Autor dieser Geschichte ist im Besitz einer Schachtel „Fliegerstolz . Sie trägt auf der Unterseite eine Banderole mit dem Stempel „Regierungspräsidium Saar“, was darauf schließen lässt, dass diese Schachtel unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verkauft wurde. Denn das Regierungspräsidium Saar war nach dem Krieg eine Übergangsregierung, die am 8. Oktober 1946 durch eine „Vorläufige Verwaltungskommission für das Saarland“(Commission Provisoire d‘Administration du Territoire de la Sarre) abgelöst wurde.
Doch die Tabakfabrik Dilsburg war nicht die erste in Heusweiler. Bereits 1780 hatte Hansjörg Diehl in Alt-Schampels Haus am Marktplatz eine Tabakspinnerei eröffnet. 1840 wurde sie an Fritz Diehl übergeben, der sie später in ein Kolonialwarengeschäft umwandelte, ehe dann bis vor wenigen Jahren die Drogerie Haacke dort ihr Domizil hatte. In der Fabrik Diehl wurden Zigarren hergestellt, die zu der damaligen Zeit noch für drei Pfennig das Stück zu haben waren. Eine weitere Tabakspinnerei gab es gegenüber der katholischen Kirche in der heutigen Trierer Straße. Diese Spinnerei gehörte bis 1905 Christian Altpeter, der das Haus dann an
Johann Oos verkaufte. Noch bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs im Jahre 1914 stellte Johann Oos Zigarren her und brachte täglich 20 bis 30 Pakete mit Rauchwaren zur gegenüberliegenden Post. Bis in die 1950er-Jahre führte die Witwe von Johann Oos in diesem Haus ein Lebensmittelgeschäft und ihre Tochter eine Konditorei, ehe das Haus erneut weiterverkauft, von einer Frau Krämer erworben und umgebaut wurde. Später zog die Kreissparkasse Saarbrücken in den Neubau ein. Die eigentliche Tabakfabrik lag hinter diesem Gebäude und wurde 1965 abgerissen. Nach dem berühmten „Tag X“am 6. Juli 1959, als im Saarland die D-Mark den Franken als Zahlungsmittel ablöste, hatten die meisten heimischen Tabakwarenhersteller keine Chance mehr im Wettbewerb mit den renommierten deutschen oder internationalen Tabakprodukten. Selbst eine vom Bundestag beschlossene Umstellungsbeihilfe zugunsten der SaarTabakindustrie zögerte den Niedergang lediglich ein wenig hinaus. Und so musste 1960 auch die letzte Tabakwarenfabrik im Heusweiler Ortsteil Dilsburg ihren Betrieb einstellen. Hermann Neu ging in den Ruhestand und gab die Fabrik auf. Anschließend fanden in dem Gebäude die „Margret Wäscheartikel“ihr Domizil. Heute hat dort der Künstler Nicola Dimitrov sein Atelier.
Der „Tag X“läutet das Ende der Heusweiler Tabakwarenproduktion ein