Saarbruecker Zeitung

Die Flaute der deutschen Wirtschaft hält an

Die deutsche Wirtschaft kommt nicht in Schwung. Europas größte Volkswirts­chaft dürfte in diesem Jahr – anders als erhofft – allenfalls minimal wachsen.

- VON FRIEDERIKE MARX

(dpa) „Kranker Mann Europas“, „dramatisch schlecht“: Die deutsche Wirtschaft kommt nicht vom Fleck. Zum Jahresende schrumpfte das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) zum Vorquartal um 0,3 Prozent, wie das Statistisc­he Bundesamt am Freitag bestätigte. Dennoch eilt der deutsche Leitindex Dax von Rekord zu Rekord, die Erwerbstät­igkeit ist so hoch wie nie, und Japan verliert seinen Status als drittgrößt­e Volkswirts­chaft an Deutschlan­d. Wie passt das zusammen, und wie düster ist die Lage?

Die Bundesregi­erung erwartet nach einem Rückgang der Wirtschaft­sleistung 2023 in diesem Jahr nur noch ein Miniwachst­um von 0,2 Prozent. „Dramatisch schlecht“ nannte das Wirtschaft­sminister Robert Habeck unlängst. „Wir kommen langsamer aus der Krise als gehofft.“

Die Industrie, die in Deutschlan­d mit etwa 30 Prozent an der Bruttowert­schöpfung ein vergleichs­weise hohes Gewicht hat, leidet nicht nur unter gestiegene­n Energiepre­isen, sondern auch unter schwacher Nachfrage, insbesonde­re aus dem Ausland. Im vergangene­n Jahr sanken die Auftragsei­ngänge im verarbeite­nden Gewerbe um 5,9 Prozent. Gestiegene Zinsen und Kosten bremsen zudem den Bau aus. „In der Industrie und der Bauwirtsch­aft sind mittlerwei­le die dicken Auftragspo­lster abgeschmol­zen, die die Unternehme­n noch zu Corona-Zeiten aufgebaut hatten“, erläuterte IfoKonjunk­turchef Timo Wollmershä­user jüngst.

„Die Jahre, in denen die deutsche Industrie Job- und Wachstumsm­otor für die deutsche Wirtschaft war, sind vorerst vorbei“, erwartet Sebastian Dullien, wissenscha­ftlicher Direktor des Instituts für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung der HansBöckle­r-Stiftung. Vor allem der Energiepre­isschock nach dem russischen Angriffskr­ieg gegen die Ukraine und die damit verbundene Unsicherhe­it bei den Energiepre­isen wirkten fort.

Zudem trifft die Schwäche des Welthandel­s die exportorie­ntierte deutsche Wirtschaft: Der Wert der Ausfuhren von Waren „Made in Germany“sank im vergangene­n Jahr. „Der Gegenwind für die deutsche Wirtschaft kommt neben den hohen Energiekos­ten vor allem von der schwachen globalen Nachfrage, insbesonde­re nach hochzyklis­chen Gütern wie Autos, Werkzeugma­schinen und Chemikalie­n“, analysiert­en Volkswirte des Kreditvers­icherers Allianz Trade Deutschlan­d.

Dennoch zeigt sich der Arbeitsmar­kt in Europas größter Volkswirts­chaft bislang robust, auch wegen

des Fachkräfte­mangels. Nach wie vor suchen viele Unternehme­n händeringe­nd Personal. Die Bundesbank sieht derzeit keine Anzeichen, „dass sich die Lage am Arbeitsmar­kt durch die schwache Konjunktur spürbar verschlech­tern wird“.

Die Zahl der erwerbstät­igen Menschen erreichte nach vorläufige­n Daten des Statistisc­hen Bundesamte­s im vergangene­n Jahr mit 45,9 Millionen den höchsten Jahresschn­itt seit der Wiedervere­inigung 1990. Neun von zehn der zusätzlich­en Jobs entstanden dabei im Dienstleis­tungsbe

reich, während es im produziere­nden Gewerbe und im Baugewerbe geringere Zuwächse gab.

Der robuste Arbeitsmar­kt und die tendenziel­l sinkende Inflation könnten dem Privatkons­um in diesem Jahr als wichtige Konjunktur­stütze Deutschlan­d auf die Sprünge helfen. „Positive Nachrichte­n für die Konjunktur dringen derzeit nur schwer durch, dennoch gibt es sie: Ein solcher Silberstre­if ist die absehbare Erholung der privaten Kaufkraft“, sagte KfW-Chefvolksw­irtin Fritzi Köhler-Geib unlängst.

Im vergangene­n Jahr hatten viele die Menschen wegen der Inflation beim Konsum gespart.

Ungeachtet zusammenge­strichener Konjunktur­prognosen, die Deutschlan­d in diesem Jahr als Schlusslic­ht im Euro-Raum sehen, eilt der Dax von Rekord zu Rekord. Der Leitindex bildet allerdings nur einen Teil der deutschen Wirtschaft ab, die vor allem mittelstän­disch geprägt ist. Vertreten sind im Dax die 40 größten börsennoti­erten Konzerne. Es sei nicht das heimische Geschäft, was die Unternehme­n an der

Börse immer wertvoller mache. Ihre Umsätze und Gewinne erzielten sie zu einem Großteil im Ausland, erläutert Analyst Konstantin Oldenburge­r vom Broker CMC Markets.

Während Länder wie die Niederland­e oder Schweden sich nach EUPrognose­n dieses Jahr mit einem ähnlich mageren Wachstum wie Deutschlan­d begnügen müssen, wird etwa Griechenla­nd oder Spanien deutlich mehr zugetraut. Diese Länder profitiere­n nach Einschätzu­ng von Ökonomen vor allem vom Tourismusb­oom nach dem Ende der Pandemie.

„Was uns also sonst hilft – ein großer Industries­ektor, der profitiert, wenn die Weltwirtsc­haft boomt und die Energiepre­ise niedrig sind –, das bereitet uns jetzt Probleme“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Deutschlan­d habe allerdings auch strukturel­le Probleme. „Die Autoindust­rie ist in einem Veränderun­gsprozess. Wir haben einen demografis­chen Wandel. Wir laufen auf eine Situation zu mit schrumpfen­der Erwerbsbev­ölkerung. Und das macht vielen Investoren Sorgen.“

Wirtschaft­sverbände kritisiere­n zudem Überreguli­erung, marode Infrastruk­tur, im internatio­nalen Vergleich zu hohe Steuern und politische Unsicherhe­it angesichts der Auseinande­rsetzungen der Ampel-Koalition. „Die Unternehme­n brauchen dringend verlässlic­he und bessere Rahmenbedi­ngungen. Das betrifft die Energiever­sorgung ebenso wie die Fachkräfte­sicherung und die Infrastruk­tur“, mahnte jüngst DIHK-Konjunktur­experte Jupp Zenzen. Arbeitgebe­rpräsident Rainer Dulger warnte zum Jahreswech­sel: „Aus Enttäuschu­ng und vor allem wegen wirtschaft­licher Nachteile am Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d fallen jetzt immer mehr Investitio­nsentschei­dungen zugunsten des Auslands.“

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FOTO: GAMBARINI/DPA Gestiegene Energiepre­ise, höhere Zinsen und Finanzieru­ngskosten haben Folgen. Die Wirtschaft­sleistung schrumpfte im vierten Quartal zum Vorquartal um 0,3 Prozent. Dennoch warnen Experten vor Schwarzmal­erei.

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