Der Ruck nach rechts hinterlässt tiefe Spuren
Die scharfen Töne in der Zuwanderungsdebatte setzen jenen zu, die aus anderen Ländern hierherkamen. Und die sich von den Demonstrationen gegen Rechts regelrecht ausgegrenzt fühlen. Eine Diskussion zeigte jetzt, was die Betroffenen an der Debatte stört.
Das war ein interessanter Ansatz, den Emine Isgören und Uwe Albrecht gewählt hatten: Was bedeutet der Rechtsruck in Deutschland für Migrantinnen und Migranten? Wie fühlten sie sich vertreten bei den zahlreichen Demos gegen Rechts?
Schließlich war ja der Auslöser der Manifestationen jenes Treffen von Rechtsextremen gewesen, die Pläne für die sogenannte Remigration geschmiedet hatten. Also etwas, das Menschen mit Migrationshintergund bedrohen würde, sollten dieses Vorhaben eines Tages umgesetzt werden.
Ins „House of Resources“, einer staatlich finanzierten Anlaufstelle für Menschen aus dem Ausland am St. Johanner Markt, hatten Isgören und Albrecht Migrantinnen und Migranten eingeladen, um über die Problematik zu sprechen.
Im Vorgespräch war die Projektkoordinatorin des „House of Ressources“noch vehement gegen die These vorgegangen, dass auf den Demos wenige Menschen mit Migrationshintergund zu sehen waren. „Woran wollen Sie das erkennen?“, fragte Isgören, die mit neun Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen war. „Soll ich mir ein Kopftuch anziehen, damit Sie das sehen?“
In der Tat, ein gutes Argument gegen die Verwendung von Klischees. Allerdings zeigte sich bei der Diskussion mit 16 Migrantinnen und Migranten, dass tatsächlich kaum jemand bei den aktuellen Demos anwesend war.
Und wenn doch, sorgte das für Ärger: So beschwerte sich eine junge Frau, dass sie „antipalästinensische Hetze“habe hören müssen. Ihr ging es auch gegen den Strich, dass auf dem Podium niemand mit Migrationshintergrund zu sehen war. „Niemand, der nicht weiß ist, wird gefragt, einen Redebeitrag zu einer Demo zu machen.“
Eine andere junge Frau beklagte,
die Demos seien wohl nicht für Leute wie sie gemacht worden: „Jemand hat für mich eine Hochzeit gemacht, ich muss kommen und dort tanzen.“So habe sich das angefühlt. Bei den „Black Lives Matter“-Demos vor vier Jahren – zwei der Organisatorinnen waren anwesend –, sei das ganz anders gewesen.
Albrecht, der eigentlich für das Adolf-Bender-Zentrum anwesend war, fühlte sich als Mitorganisator der Demo „Bunt statt Braun“angesprochen. Man habe dieses Problem intern besprochen und sei mit der Rednerliste auch nicht glücklich gewesen.
Eine Teilnehmerin, die von den
Philippinen stammt und seit den Achtzigerjahren in Deutschland lebt, äußerte Verständnis für die Empörung der jungen Frauen, fragte aber auch: „Habt ihr erlebt, dass nein gesagt wurde, wenn ihr was auf der Bühne sagen wolltet?“Die Organisatoren hätten von sich aus auf Migrantenvereine zugehen müssen, lautete die Antwort.
Ein aus dem Iran stammender Mann nahm wieder eine andere Sichtweise ein: „Wenn die Rechtsextremen von Remigration reden, sind wir Migranten davon betroffen. Aber leider waren wenige von uns bei diesen Demos.“
Er beklagte das schwache Enga
gement vieler Menschen mit Migrationshintergrund, etwa bei den Wahlen zum Integrationsbeirat. „Wollen wir nur abwarten, dass die Demokratie es für uns richtet?“, fragte er provokativ.
Als Isgören fragte, ob sich jemand der Anwesenden vielleicht nicht sicher fühle bei einer Demo, etwa Angst davor habe, gefilmt zu werden, erzählten zwei Teilnehmerinnen von einem Vorfall vor zwei Jahren bei einer Mahnwache gegen das Attentat von Hanau.
Damals sei man von der Polizei verbal attackiert worden, da habe sich das zuvor positive Bild von den Beamten geändert. Wie Isgören hinterher erzählte, seien dort Rechtsradikale aggressiv aufgetreten.
Die herbeigerufenen Polizeibeamten hätten sich aber offensichtlich mit den Störern gut verstanden und Fotos zu verhindern versucht, die das dokumentierten. „Kein Wunder, dass sich viele Migranten nicht zu demonstrieren trauen“, sagte eine junge Frau.
Ein anderes Thema, das in der Diskussion auftauchte, war die Rolle des ehemaligen Präsidenten des Verfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen. Dieser habe nur die Migrantinnen und Migranten überwacht, nicht die Rechtsextremis
„Ich bin eigentlich ein sehr selbstbewusster Mensch. Aber jetzt habe ich mich bei dem Gedanken ertappt, dass ich wenigstens ein Dach über dem Kopf haben möchte, wenn es so weit käme. Das hat mich schockiert.“Moderatorin Emine Isgören über die Option, sich ein Haus in der Türkei zu kaufen, sollte sich die Lage hierzulande für Einwanderer verschärfen
ten. „Der war dafür zuständig, uns zu schützen! Und jetzt hat er selbst eine rechte Partei gegründet“, sagte eine Teilnehmerin.
Überraschend war an der Diskussion, dass das viel diskutierte, von Correctiv aufgedeckte Treffen Rechtsextremer kaum ein Thema war. Im Vorgespräch sagte Isgören aber dazu, dass sie bis jetzt noch nie mit dem Gedanken gespielt habe, in der Türkei ein Haus zu kaufen. Jetzt schon. „Ich bin eigentlich ein sehr selbstbewusster Mensch. Aber jetzt habe ich mich bei dem Gedanken ertappt, dass ich wenigstens ein Dach über dem Kopf haben möchte, wenn es so weit käme. Das hat mich schockiert.“