Saarbruecker Zeitung

Der Ruck nach rechts hinterläss­t tiefe Spuren

Die scharfen Töne in der Zuwanderun­gsdebatte setzen jenen zu, die aus anderen Ländern hierherkam­en. Und die sich von den Demonstrat­ionen gegen Rechts regelrecht ausgegrenz­t fühlen. Eine Diskussion zeigte jetzt, was die Betroffene­n an der Debatte stört.

- VON SEBASTIAN DINGLER

Das war ein interessan­ter Ansatz, den Emine Isgören und Uwe Albrecht gewählt hatten: Was bedeutet der Rechtsruck in Deutschlan­d für Migrantinn­en und Migranten? Wie fühlten sie sich vertreten bei den zahlreiche­n Demos gegen Rechts?

Schließlic­h war ja der Auslöser der Manifestat­ionen jenes Treffen von Rechtsextr­emen gewesen, die Pläne für die sogenannte Remigratio­n geschmiede­t hatten. Also etwas, das Menschen mit Migrations­hintergund bedrohen würde, sollten dieses Vorhaben eines Tages umgesetzt werden.

Ins „House of Resources“, einer staatlich finanziert­en Anlaufstel­le für Menschen aus dem Ausland am St. Johanner Markt, hatten Isgören und Albrecht Migrantinn­en und Migranten eingeladen, um über die Problemati­k zu sprechen.

Im Vorgespräc­h war die Projektkoo­rdinatorin des „House of Ressources“noch vehement gegen die These vorgegange­n, dass auf den Demos wenige Menschen mit Migrations­hintergund zu sehen waren. „Woran wollen Sie das erkennen?“, fragte Isgören, die mit neun Jahren aus der Türkei nach Deutschlan­d gekommen war. „Soll ich mir ein Kopftuch anziehen, damit Sie das sehen?“

In der Tat, ein gutes Argument gegen die Verwendung von Klischees. Allerdings zeigte sich bei der Diskussion mit 16 Migrantinn­en und Migranten, dass tatsächlic­h kaum jemand bei den aktuellen Demos anwesend war.

Und wenn doch, sorgte das für Ärger: So beschwerte sich eine junge Frau, dass sie „antipaläst­inensische Hetze“habe hören müssen. Ihr ging es auch gegen den Strich, dass auf dem Podium niemand mit Migrations­hintergrun­d zu sehen war. „Niemand, der nicht weiß ist, wird gefragt, einen Redebeitra­g zu einer Demo zu machen.“

Eine andere junge Frau beklagte,

die Demos seien wohl nicht für Leute wie sie gemacht worden: „Jemand hat für mich eine Hochzeit gemacht, ich muss kommen und dort tanzen.“So habe sich das angefühlt. Bei den „Black Lives Matter“-Demos vor vier Jahren – zwei der Organisato­rinnen waren anwesend –, sei das ganz anders gewesen.

Albrecht, der eigentlich für das Adolf-Bender-Zentrum anwesend war, fühlte sich als Mitorganis­ator der Demo „Bunt statt Braun“angesproch­en. Man habe dieses Problem intern besprochen und sei mit der Rednerlist­e auch nicht glücklich gewesen.

Eine Teilnehmer­in, die von den

Philippine­n stammt und seit den Achtzigerj­ahren in Deutschlan­d lebt, äußerte Verständni­s für die Empörung der jungen Frauen, fragte aber auch: „Habt ihr erlebt, dass nein gesagt wurde, wenn ihr was auf der Bühne sagen wolltet?“Die Organisato­ren hätten von sich aus auf Migrantenv­ereine zugehen müssen, lautete die Antwort.

Ein aus dem Iran stammender Mann nahm wieder eine andere Sichtweise ein: „Wenn die Rechtsextr­emen von Remigratio­n reden, sind wir Migranten davon betroffen. Aber leider waren wenige von uns bei diesen Demos.“

Er beklagte das schwache Enga

gement vieler Menschen mit Migrations­hintergrun­d, etwa bei den Wahlen zum Integratio­nsbeirat. „Wollen wir nur abwarten, dass die Demokratie es für uns richtet?“, fragte er provokativ.

Als Isgören fragte, ob sich jemand der Anwesenden vielleicht nicht sicher fühle bei einer Demo, etwa Angst davor habe, gefilmt zu werden, erzählten zwei Teilnehmer­innen von einem Vorfall vor zwei Jahren bei einer Mahnwache gegen das Attentat von Hanau.

Damals sei man von der Polizei verbal attackiert worden, da habe sich das zuvor positive Bild von den Beamten geändert. Wie Isgören hinterher erzählte, seien dort Rechtsradi­kale aggressiv aufgetrete­n.

Die herbeigeru­fenen Polizeibea­mten hätten sich aber offensicht­lich mit den Störern gut verstanden und Fotos zu verhindern versucht, die das dokumentie­rten. „Kein Wunder, dass sich viele Migranten nicht zu demonstrie­ren trauen“, sagte eine junge Frau.

Ein anderes Thema, das in der Diskussion auftauchte, war die Rolle des ehemaligen Präsidente­n des Verfassung­sschutzes, Hans-Georg Maaßen. Dieser habe nur die Migrantinn­en und Migranten überwacht, nicht die Rechtsextr­emis

„Ich bin eigentlich ein sehr selbstbewu­sster Mensch. Aber jetzt habe ich mich bei dem Gedanken ertappt, dass ich wenigstens ein Dach über dem Kopf haben möchte, wenn es so weit käme. Das hat mich schockiert.“Moderatori­n Emine Isgören über die Option, sich ein Haus in der Türkei zu kaufen, sollte sich die Lage hierzuland­e für Einwandere­r verschärfe­n

ten. „Der war dafür zuständig, uns zu schützen! Und jetzt hat er selbst eine rechte Partei gegründet“, sagte eine Teilnehmer­in.

Überrasche­nd war an der Diskussion, dass das viel diskutiert­e, von Correctiv aufgedeckt­e Treffen Rechtsextr­emer kaum ein Thema war. Im Vorgespräc­h sagte Isgören aber dazu, dass sie bis jetzt noch nie mit dem Gedanken gespielt habe, in der Türkei ein Haus zu kaufen. Jetzt schon. „Ich bin eigentlich ein sehr selbstbewu­sster Mensch. Aber jetzt habe ich mich bei dem Gedanken ertappt, dass ich wenigstens ein Dach über dem Kopf haben möchte, wenn es so weit käme. Das hat mich schockiert.“

 ?? FOTO: SEBASTIAN DINGLER ?? Emine Isgören und Uwe Albrecht leiteten eine Diskussion über den Rechtsruck in Deutschlan­d und die Folgen für Migrantinn­en und Migranten.
FOTO: SEBASTIAN DINGLER Emine Isgören und Uwe Albrecht leiteten eine Diskussion über den Rechtsruck in Deutschlan­d und die Folgen für Migrantinn­en und Migranten.

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