Notfallpläne und tiefe Einblicke
Fußball-Bundestrainer Nagelsmann kündigt vor der Heim-EM knallharte Maßnahmen an und gibt private Dinge preis.
(dpa) Comeback von Toni Kroos als Anführer, Rückversetzung von Joshua Kimmich als „Diener“und ein desaströses Zeugnis für die ganze Nationalmannschaft: 112 Tage vor dem EM-Anpfiff hat Julian Nagelsmann mit markigen Worten seine Notfall-Maßnahmen für das Heimturnier erklärt. Viel mehr noch als mit seiner schonungslosen Analyse zur Lage der Fußball-Nation beeindruckte der Bundestrainer aber mit Einblicken in sein Seelenleben nach dem Suizid seines Vaters. In bislang nicht gekannter Weise zeigt
„Bei der Nationalmannschaft muss man sich unterordnen. Da ist man ein Diener für sein Land. Kimmich ist das.“Bundestrainer Julian Nagelsmann über die Versetzung von Joshua Kimmich auf die rechte Seite
sich der 36-Jährige dabei auch als verletzlicher Mensch. „Ich denke oft an diesen Tag zurück“, erzählte Nagelsmann in einem „Spiegel“-Interview. „Das war schwer. Mein Papa hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen, es gab keine Erklärung“, sagte Nagelsmann über seine Erinnerungen.
Als Bundestrainer steht er in der nahen Zukunft vor teils unpopulären Entscheidungen. Die sportliche Lage stuft Nagelsmann als prekär ein. „Die A-Nationalmannschaft liegt seit Jahren sportlich am Boden. Da war zuletzt nichts dabei, was die Hoffnung nähren könnte, dass wir ins Halbfinale kommen“, sagte der Bundestrainer.
Die Rückkehr von Routinier Kroos (34) als zweitem Rio-Weltmeister nach Mats Hummels (35), den Nagelsmann schon im Oktober reaktivierte, wird nicht die letzte personelle Maßnahme zur Rettung des erhofften Sommermärchens Teil II
bleiben. „Wir müssen nicht zehn neue Spieler einladen, aber es wird bestimmt der eine oder andere nicht nominiert werden, von dem viele denken, der sei sicher dabei“, sagte Nagelsmann. Mögliche Streichkandidaten benannte er nicht. Aber Akteure wie Niklas Süle, Leon Goretzka, Julian Brandt oder Jonas Hoffmann oder möglicherweise auch Altmeister Thomas Müller sind vorgewarnt.
Nach den Test-Niederlagen im November gegen die Türkei (2:3) und in Österreich (0:2) müsse ein Mentalitätswandel erfolgen. Danach habe er realisiert, dass er sich den Job als
Bundestrainer ein bisschen anders vorgestellt habe. Kroos soll dabei mit seiner Erfahrung vorangehen. Sein Wesenszug, immer wieder kräftig zu polarisieren, könnte ein Risiko sein. Hierarchische Zerwürfnisse fürchtet der Bundestrainer aber nicht. Grundsätzlich sei nach drei Turnierenttäuschungen mit dem Gruppen-K.o. bei den Weltmeisterschaften 2018 und 2022 und dem Achtelfinal-Aus bei der EM 2021 die Zeit für eine Rückbesinnung notwendig.
„Wir müssen unser Statusdenken abstellen. Wir reden uns ein, Deutschland sei eine Top-Fuß
ballnation, obwohl wir seit Jahren Misserfolge erleben. So kommt man nicht zurück in die Erfolgsspur. Wir müssen endlich anfangen, Fußball wieder zu arbeiten“, forderte Nagelsmann. Als Idealtypus nannte er Pascal Groß (32) vom englischen Erstligisten Brighton & Hove Albion.
Der könnte also im EM-Plan der Nebenmann von Kroos in der Zentrale sein. Fix ist neben der Rückkehr des Rio-Weltmeisters Kroos auch die Versetzung von Kimmich (29) aus dem Mittelfeld auf die Position als rechter Außenverteidiger. Und Nagelsmanns Worte können den Ein
druck einer Strafversetzung nicht ganz verwischen. „Bei der Nationalmannschaft muss man sich unterordnen. Da ist man ein Diener für sein Land. Kimmich ist das“, sagte Nagelsmann über den Bayern-Profi.
Die letzten Test-Länderspiele vor der Kader-Nominierung stehen am 23. März in Frankreich und drei Tage später in Frankfurt gegen die Niederlande an. Unmittelbar vor der EM sind nochmals zwei Tests geplant. Beim Turnier trifft die DFB-Auswahl als Gastgeber in der Gruppe A auf Schottland (14. Juni), Ungarn (19. Juni) und die Schweiz (23. Juni).