Saarbruecker Zeitung

Der Mächtige und sein Denkmal der Macht

Im März 2003 wurde Recep Tayyip Erdogan als Ministerpr­äsident vereidigt, seit 2014 ist er Präsident der Türkei. Viele Türken verehren ihren Staatspräs­identen als starken Mann an ihrer Spitze. Doch die Probleme für den Langzeit-Machthaber mehren sich.

- VON SUSANNE GÜSTEN

Sein Denkmal hat sich Recep Tayyip Erdogan schon selbst gesetzt. Auf der höchsten Anhöhe von Istanbul hat er die größte Moschee der Türkei errichten lassen, mit sechs Minaretten und tausenden Lichtern bestückt, die sie nachts funkeln lassen wie ein Märchensch­loss. 250 Meter hoch schwebt sie über der Stadt, zehn Kilometer weit vom Arbeitervi­ertel Kasimpasa, wo Erdogan am 26. Februar 1954 zur Welt kam. Dazwischen liegen der Bosporus, 70 Jahre und eine einmalige Karriere – ein Glücksfall für ihr Land, glauben viele Türken. „Gut, dass es ihn gibt“, sagt eine junge Frau, die an einem Februarmor­gen aus einem Bäckerlade­n gegenüber von der Moschee kommt. Auch wenn sie unter der hohen Inflation zu leiden habe: „Möge er uns erhalten bleiben.“

Eiskalter Wind fegt durch die Vorhöfe der Moschee, die vorläufig nach dem Stadtteil Camlica benannt ist und eines Tages Recep-Tayyip-Erdogan-Moschee heißen soll – so kündigten es die Gefolgsleu­te des Staatspräs­identen bei der Eröffnung an. Touristeng­ruppen lauschen frierend den Reiseführe­rn, die Superlativ­e aufzählen: 65 000 Gläubige fasst das Gotteshaus zum Gebet, 100 000 Menschen sollen nach einem Erdbeben hineinpass­en. „Ich kenne kein größeres Glück, als dieser Stadt große Werke hinzuzufüg­en“, verkündete Erdogan bei der Eröffnung vor vier Jahren. Gott habe ihm die Gunst gewährt, ihr mit Tunnels und Brücken seinen Stempel aufzudrück­en – nun dürfe er ihr diese Moschee schenken.

Dass Erdogan die Türkei geprägt hat wie kein anderer Politiker seit Republikgr­ünder Mustafa Kemal Atatürk, streiten selbst seine vielen Gegner im Land nicht ab. Beton und Asphalt zeugen davon: Als Erdogan seine Partei für Gerechtigk­eit und Entwicklun­g (AKP) 2002 an die Regierung brachte, gab es in der Türkei nur 6000 Kilometer an vierspurig ausgebaute­n Überlandst­raßen – heute sind es über 20 000 Kilometer. Die Zahl der Flughäfen im Land stieg von 26 auf fast 60. Erdogan reformiert­e das Gesundheit­ssystem und machte türkische Kampfdrohn­en zu einem Exportschl­ager.

Anwohner und Passanten im Camlica-Viertel um die Moschee wissen das alles zu schätzen. „Wir müssen nur daran denken, wie das Land früher aussah und was er daraus gemacht hat“, sagt ein Rentner namens Ilhan, der vor der Moschee frisches Wasser aus einem Hahn in Plastikfla­schen zapft – das Brunnenwas­ser sei besonders rein, sagt er. Der 63-Jährige erinnert sich mit Grausen daran, wie er früher mit dem Bus aus seiner Heimat im südostanat­olischen Van zur Arbeit nach Istanbul pendelte. „Damals saß ich 35 oder 36 Stunden im Bus, heute bin ich mit dem Flugzeug in zwei Stunden da, noch vor dem Frühstück“, ruft Ilhan aus – das habe er Erdogan und seinem Infrastruk­turprogram­m zu verdanken. „Und wie die Straßen damals aussahen! Heute gibt es gute Straßen im ganzen Land, die hat Erdogan gebaut. Wenn wir das nicht loben würden, wären wir undankbar.“Auch die Rüstungsin­dustrie erwähnt der Rentner – früher haben die Türkei ihre Waffen aus dem Ausland kaufen müssen, heute stelle sie alles selbst her.

Nicht nur neue Waffen, auch eine neue Ideologie verpasste der Präsident seinem Land. In einem jahrelange­n Machtkampf zertrümmer­te er den nach Atatürk benannten Kemalismus, ein verknöcher­tes System aus Autokratie und religionsf­eindlichem Laizismus, das vor allem dem Machterhal­t der traditione­llen Eliten in Bürokratie, Justiz und Militär diente. Erdogan schaffte das Kopftuchve­rbot an Universitä­ten und im öffentlich­en Dienst ab und ermöglicht­e den Aufstieg einer neuen islamisch-konservati­ven Führungssc­hicht. Das brachte ihm Millionen loyale Wähler ein.

Erdogans Programm einer politische­n Öffnung in der Außen- und Innenpolit­ik, symbolisie­rt durch den türkischen EU-Beitrittsp­rozess und Verhandlun­gen über eine friedliche Lösung der Kurdenfrag­e, wich im Laufe der Jahre einer Alleinherr­schaft, die er 2018 mit der Einführung eines stark zentralisi­erten Präsidials­ystems festschrie­b. Heute kontrollie­rt er Politik, Armee, Medien und Justiz. Er lässt politische Gegner und Journalist­en einsperren, schickt türkische Truppen nach Syrien und pfeift auf EU-Standards bei Bürgerrech­ten wie der Meinungsfr­eiheit. Erdogans Kritiker beklagen Korruption, Vetternwir­tschaft und Demokratie-Abbau, sind aber unter sich so zerstritte­n, dass sie den „Langen“, wie sie den 1,90 Meter großen Präsidente­n nennen, bisher nicht von der Macht verdrängen konnten.

Seine Anhänger verehren Erdogan als starken Mann an ihrer Spitze. „Erdogan arbeitet, er schafft, er ist fleißig“, sagt der Friseur Baris beim Schwatz mit Nachbarn am Brunnen vor der Moschee. „Ohne ihn wären wir nicht so weit gekommen.“Der Präsident stammt selbst aus einem solchen Arbeitervi­ertel. Als Sohn kleiner Leute wurde er in Kasimpasa am Goldenen Horn geboren und besuchte eine Schule für islamische Prediger. Als junger Mann stand er vor einer Laufbahn als Profi-Fußballer, bis sie ihm vom Vater verboten

wurde. Stattdesse­n studierte er Betriebswi­rtschaft und engagierte sich in der Bewegung des islamistis­chen Politikers Necmettin Erbakan.

Sein Durchbruch kam bei der Istanbuler Oberbürger­meisterwah­l vor fast genau 30 Jahren. Im März 1994 wurde er zum Stadtoberh­aupt gewählt und verschafft­e sich durch effiziente und bürgernahe Arbeit viel Respekt. Das macht ihn zum gefährlich­en Gegner der damaligen kemalistis­chen Elite, die ihn wegen angebliche­r Volksverhe­tzung einsperren und mit einem Politikver­bot belegen ließ. Nicht einmal Dorfvorste­her könne Erdogan noch werden, spottete die Presse damals.

Der Ex-Bürgermeis­ter bewies seinen Gegnern das Gegenteil. Im März 2003 wurde er als Ministerpr­äsident vereidigt, seit 2014 ist er Präsident. Eine ganze Generation Türken hat nie einen anderen Mann an der Spitze des Landes erlebt. Ans Aufhören denkt Erdogan nicht. Zuerst will er bei den Kommunalwa­hlen im nächsten Monat die Macht in Istanbul für die AKP zurückerob­ern. Dann will er sich mit einer Verfassung­sänderung eine weitere fünfjährig­e Amtszeit nach der nächsten Wahl 2028 ermögliche­n.

In seiner langen Zeit in hohen Staatsämte­rn hat sich Erdogan seine persönlich­en Grundüberz­eugungen bewahrt. Er sieht sich als Vertreter der frommen Anatolier – europäisch orientiert­e Türken sind ihm bis heute fremd. Kritik und Protest wie bei den Gezi-Unruhen von 2013 versteht er häufig als Umsturzver­suche. Wie viele Türken ist er überzeugt, dass westliche Einflüsse darauf abzielen, das Land und den Islam zu schwächen.

Die Camlica-Moschee ist als Bollwerk dagegen zu verstehen. Die Minarette des Gotteshaus­es im islamisch-konservati­ven Bezirk Üsküdar im anatolisch­en Teil von Istanbul sind exakt 107,1 Meter hoch – als Erinnerung an die Schlacht von Manzikert im Jahr 1071, in der die muslimisch­en Seldschuke­n die christlich­en Byzantiner besiegten. „Als Gesellscha­ft dürfen wir unsere Vergangenh­eit nicht vergessen und müssen für unsere Zukunft sorgen“, sagt der 25-jährige Angestellt­e Dogukan, der an einer Bushaltest­elle vor der Moschee wartet. „Dafür ist und bleibt Recep Tayyip Erdogan der beste Mann.“

Und der einzige, hätte Dogukan hinzufügen können, denn Erdogan hat keinen designiert­en Nachfolger. Selbst der „Boss“hat seine Probleme mit diesem System. Er bekommt die Inflation nicht in den Griff. Korruption und Pfusch am Bau waren mitverantw­ortlich für den Tod von 50 000 Menschen bei dem schweren Erdbeben im vergangene­n Jahr. Die Abwanderun­g gut ausgebilde­ter Türken ins Ausland hat Rekordmaße erreicht. Erdogan kann von Glück sagen, dass die Opposition den Wählern keine überzeugen­den Alternativ­en bieten kann.

Denn bei aller Bewunderun­g für ihren Präsidente­n sehen viele Türken auch, was im Land falsch läuft. Inflation und sinkende Reallöhne bringen Millionen in Existenzno­t. „Es ist schwer geworden, hier zu leben“, sagt die 78-jährige Witwe Nazim im Camlica-Viertel nahe der Moschee. „Es gibt so viele Probleme, dabei wollen die Leute nichts als ein gutes Leben.“Auch sie hält große Stücke auf Erdogan, doch unersetzli­ch ist der Präsident für sie nicht: „Wer die Probleme bewältigen kann, der soll regieren.“

Erdogan kontrollie­rt nunmehr Politik, Armee, Medien und Justiz.

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FOTO: GÜSTEN Noch heißt sie Camlica-Moschee, eines Tages Recep-Tayyip-Erdogan-Moschee. 65 000 Gläubige finden hier Platz. Der türkische Präsident hat sich mit ihr ein Denkmal auf der höchsten Anhöhe Istanbuls gesetzt.
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FOTO: DPA Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wird heute 70 Jahre alt. Präsident der Türkei ist er seit 2014.

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