Der Punkt der größten Fliehkräfte wird umkreist
Der Streit um die Schuldenbremse ist wieder voll entbrannt. In Wahrheit hat er nie wirklich geendet. Die umstrittene Schuldenregel im Grundgesetz ist der leidige Dauerbrenner der Regierungskoalition, und mehr noch: Sie ist der Punkt der größten Fliehkräfte. Neuer Stein des Anstoßes sind die hohen, perspektivisch weiter steigenden Verteidigungsausgaben und die Frage, wie diese finanziert werden sollen. Die Herausforderungen sind immens, das Konfliktpotenzial ebenso.
Dieses Jahr hält die Bundesregierung erstmals das Nato-Ziel ein, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren. Sie hat zugesagt, diese Zielmarke auch in den kommenden Jahren zu erreichen.
Noch kann das mit Mitteln aus dem Bundeswehr-Sondervermögen gelingen, das 2027 ausläuft. Hinzu kommt aber, dass die Ukraine auf zusätzliche Hilfe aus Deutschland angewiesen sein dürfte. Im laufenden Jahr sind bereits acht Milliarden Euro für Waffenlieferungen und Finanzhilfen eingepreist und zusätzlich mehr als sechs Milliarden Euro für die Hilfe der ukrainischen Flüchtlinge.
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Ukraine-Hilfen weiter aufgestockt werden müssen. Für den Haushalt 2025 zeichnet sich jedoch schon jetzt ein Loch von schätzungsweise 15 bis 40 Milliarden Euro ab. Für eine Koalition, deren Positionen im Umgang mit dem Staatshaushalt unterschiedlicher nicht sein könnten, ist das ohne Übertreibung eine Zerreißprobe.
Pünktlich zum Start der Gespräche über den Haushalt 2025 hat FDP-Finanzminister Christian Lindner seine Prioritäten abgesteckt – und damit erwartungsgemäß deutlichen Widerspruch bei den Koalitionspartnern erregt. Lindner fordert ein dreijähriges Moratorium für Sozialausgaben und Subventionen, um die höheren Verteidigungsausgaben stemmen zu können.
Die SPD winkt schon ab, wenn sie Moratorium und Soziales nur in einem Satz hört. Einen „Kahlschlag beim Sozialstaat“werde es mit der SPD nicht geben, sagt etwa der sozialdemokratische Chefhaushälter Dennis Rohde.
In diesem Punkt darf Rohde den Kanzler hinter sich wissen, hatte Scholz doch während des erbitterten Streits um den Haushalt 2024 versprochen, es werde „keinen Abbau des Sozialstaats in Deutschland“geben.
Auch die Grünen lehnen es ab, Rente und Rüstung gegeneinander auszuspielen. Sie wollen die Schuldenbremse grundlegend reformieren und schlagen nun einen neuen milliardenschweren Investitionsfonds vor. Kurzum: Eine gemeinsame Linie ist nicht in Sicht. Alles beim Alten also.
Sich die bekannten Positionen gegenseitig um die Ohren zu hauen, ist aber noch keine Politik. Die neuen Haushaltsverhandlungen stehen an, es müssen Lösungen her. Nichts deutet darauf hin, dass die Ampel die Kraft aufbringen kann, die Schuldenbremse zu reformieren, auch wenn dies überfällig wäre. Ganz abgesehen davon, dass dazu auch die Stimmen der Union notwendig wären, die dazu nicht bereit sein dürfte.
Vorerst bleibt es also beim Umkreisen des Punkts der größten Fliehkräfte. Man kann nur hoffen, dass der Willen zur Zusammenarbeit stark genug ist.