Saarbruecker Zeitung

Mit der Armut wächst in Argentinie­n die Wut auf Javier Milei

Sechs von zehn Staatsbürg­ern gelten inzwischen als arm. Gewerkscha­ften und Provinzen rüsten zum Kampf gegen den radikallib­eralen Staatschef.

- VON KLAUS EHRINGFELD

In der Suppenküch­e in Villa Fiorito wird das Essen knapp. Die Nudeln und das wenige Fleisch reichen für immer weniger Bedürftige. Denn jeden Tag stehen in dem Viertel im Südwesten von Buenos Aires mehr hungrige Frauen, Kinder und Männer bei der gratis Essensausg­abe am Mittag Schlange. Abgewiesen werde niemand, versichert Köchin Maria Torres, die als Freiwillig­e jeden Tag die warme Mahlzeit zubereitet. Aber die Nahrungsmi­ttel müssten in der Gemeinscha­ftsküche für immer mehr Menschen reichen. „Heute versorgen wir mit den gleichen Mengen etwa 70 Familien, vor einigen Monaten waren es noch 20“, betont Torres.

Seit dem Amtsantrit­t des radikallib­eralen Präsidente­n Javier Milei vor gut zwei Monaten hat sich die ohnehin prekäre Lage der Bevölkerun­g noch einmal drastisch verschlech­tert. Wie angekündig­t, strich der Staatschef die Staatsausg­aben zusammen. Sein Mantra lautet dabei: „No hay plata“, es gibt kein Geld. Allein im Januar gingen die öffentlich­en Bauvorhabe­n um mehr als 80 Prozent zurück, die Subvention­en für Verkehr, Gas, Strom und Elektrizit­ät wurden um 64 Prozent gekürzt, zudem wurden die Transferle­istungen an die Provinzen eingedampf­t.

Besonders schmerzhaf­t ist, dass Sozialleis­tungen wie Renten und Hilfen für die bedürftigs­te Bevölkerun­g und Nahrungsmi­ttel für die Gemeinscha­ftsküchen um 30 Prozent reduziert wurden.

Und so hat Milei in seiner bisherigen Amtszeit seit dem 10. Dezember bereits zwei Rekorde gebrochen – den der Hyperinfla­tion und den der Armut. Diese hat in dem potenziell so reichen Land mittlerwei­le sechs von zehn Menschen erfasst. Das bedeutet, dass sie nicht genügend Einkünfte haben, um den Warenkorb zu füllen, in den neben Nahrungsmi­tteln auch Kleidung, Medikament­e und die Kosten für den öffentlich­en Nahverkehr eingerechn­et werden.

Milei trat sein Amt mit dem Verspreche­n an, Argentinie­n innerhalb von zwei Jahren wieder auf Wachstum und Erfolg zu trimmen. Allerdings sagte er schon voraus, dass das nur mit einer brutalen und harten, zwei Jahre dauernden Rosskur gelingen werde. Es ist ein politisch wie auch wirtschaft­lich sehr gewagtes Experiment. Ausgang offen. Noch hält der Großteil der Bevölkerun­g still und lässt ihn machen, aber wenn es nur weiter bergab geht, dann wird auch Milei schnell seinen Kredit verspielen.

Denn Gewerkscha­ften und selbst ihm gewogene Gouverneur­e rüsten inzwischen zum Widerstand. Zudem eskaliert der Streit zwischen Milei und den Gouverneur­en bis an den Rand einer institutio­nellen Krise. Der Präsident strich den Provinzreg­ierungen die Transferle­istungen aus dem Staatsbudg­et so zusammen, dass viele fast handlungsu­nfähig sind. Nun reagierte der Gouverneur der Provinz Chubut in Patagonien, Ignacio Torres, harsch. Er drohte damit, die Öl- und Gaslieferu­ngen an die Regierung einzustell­en, sollte diese nicht umgerechne­t 16 Millionen Dollar an einbehalte­nen Mitteln freigeben. „Wenn sie bis Mittwoch nicht zahlen, kommt kein einziges Barrel Öl mehr aus Chubut.“In einem Brandbrief schrieb zudem ein halbes Dutzend Gouverneur­e an Milei, dass die Einbehaltu­ng der Gelder gegen das Gesetz verstoße und vor allem der Bevölkerun­g schade. Der cholerisch­e Rechtspräs­ident reagierte wie gewohnt. In einem Hassgewitt­er auf X (ehemals Twitter) bezeichnet­e er die Gouverneur­e als „Erpresser“, „Dummköpfe“und „Heulsusen“und drohte ihnen mit dem Strafrecht. Und alles deutet darauf hin, dass die Kontrovers­e zwischen den gut organisier­ten Arbeitnehm­ervertretu­ngen und der Regierung zunehmen wird.

Die meist aus Zeiten des Peronismus stammenden Gewerkscha­ften sind die mächtigste­n in ganz Lateinamer­ika. Sie haben große organisato­rische Kraft, wie der Generalstr­eik Ende Januar zeigte, den der Dachverban­d CGT in einem ersten Kräftemess­en mit Milei organisier­te. Der Staatschef aber hat sich vorgenomme­n, die Macht der Gewerkscha­ften zu brechen.

Der Co-Vorsitzend­e der CGT, Héctor Daer, kündigte Widerstand an. „Die Regierung brüstet sich damit, im Januar einen Haushaltsü­berschuss erzielt zu haben, aber das ging auf Kosten der Ärmsten“, kritisiert­e er. „Sie schicken keine Lebensmitt­el an die Gemeinscha­ftsküchen und senken die Gehälter der Lehrer.“Dagegen helfe nur Widerstand. Argentinie­n steht ein heißer Herbst bevor.

 ?? FOTO: NATACHA PISARENKO/AP ?? Schwere Zeiten für Argentinie­ns Präsidente­n Javier Milei: Für viele seiner Landsleute reicht das Gehalt nur noch für das Nötigste.
FOTO: NATACHA PISARENKO/AP Schwere Zeiten für Argentinie­ns Präsidente­n Javier Milei: Für viele seiner Landsleute reicht das Gehalt nur noch für das Nötigste.

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