„Parteien funktionieren oft wie Behörden“
Mündet die Bewegung gegen Rechtsextremismus in politisches Engagement? Darüber spricht die Podcasterin in Saarbrücken.
Am 9. Juni sind die Europa-Wahl und die Kommunalwahlen im Saarland. Dabei wird sich zeigen, ob die Menschen, die in Deutschland seit Jahresanfang an Demonstrationen gegen die AfD und den Rechtsextremismus teilnehmen, auch den Weg zum Wahllokal finden. Dass sich viele nachhaltig engagieren wollen, hat Influencerin Sally Lisa Starken beobachtet – nicht nur in den sozialen Netzwerken.
Frau Starken, Sie verfolgen seit Langem die politischen Entwicklungen in Deutschland. Im Juni steht mit der Europa-Wahl und den Kommunalwahlen der nächste Stimmungstest an, wobei es bei diesen Wahlen oft eine niedrige Beteiligung gibt und diese oft als Protestwahlen genutzt werden. Machen Sie sich Sorgen über die Ergebnisse?
STARKEN Ich glaube tatsächlich, dass diese Abstimmung von manchen Wählern dazu genutzt wird, die Bundesregierung zu kritisieren. Man kann es an der Stimmung zum Beispiel bei manchen Bauerndemonstrationen ablesen. Ich denke, Demos sind sehr wichtig und richtig, wir brauchen aber auch den daraus folgenden Schritt, sich an der
Wahl zu beteiligen. Dafür muss die Politik aber nicht nur in Wahlkampfzeiten, sondern täglich ihre Arbeit erklären, was sie tut und warum die einfachen Antworten von Populisten die Probleme der Bevölkerung nicht lösen werden.
In einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Opinionway wurden vor kurzem Franzosen, Deutsche und Italiener nach ihrer Einstellung zur Demokratie befragt. 47 Prozent der Deutschen (acht Prozentpunkte mehr als 2023) waren der Meinung, dass Demokratie nicht gut funktioniert. Wie kann man sich das erklären? Welche Alternative zur Demokratie wünschen sich diese Menschen?
STARKEN Ich denke, dass wir mehr politische Bildung brauchen, und wir müssen mehr miteinander sprechen. Diese sollte einen viel höheren Stellenwert bekommen, denn es ist erschreckend zu sehen, wie sich manches wiederholt – zum Beispiel wie sich Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft wieder aufbauen kann. Die Politik muss den Menschen die Vorzüge der Demokratie demonstrieren und welche Gefahren ohne sie drohen. Dafür müssen die Politiker wieder mit den Menschen ins Gespräch kommen, die anderer Meinung sind und bei denen zum Beispiel die Botschaften von der AfD sich verfangen. Ich glaube nicht, dass sich die Mehrheit der Menschen, die sich über eine nicht gut funktionierende Demokratie beschweren, eine Diktatur als Alternative wünscht. Aber sie übersehen die Vorteile der Demokratie, weil Par
teien wie die AfD sie mit plakativen Versprechen lockt.
Sie veröffentlichen den Newsletter „politikwach“. Haben Sie den Eindruck, dass die Leute „politikschläfrig“geworden sind?
STARKEN Ich glaube, dass viele Menschen einfach nicht die Ressourcen haben, sich mit der Politik, wie sie heute betrieben wird, zu beschäftigen. Viele kämpfen mit alltäglichen Problemen und denken „Damit kenne ich mich nicht aus,
dann lass ich das lieber ganz“. Dabei ist es wichtig, ihr politisches Bewusstsein aufzuwecken, damit sie sich zutrauen, Politik mitzugestalten. Man muss ihnen sagen: Das ist eure Zukunft, eure Stimme ist wichtig. Wir brauchen mehr Strategien, um die Menschen zu empowern und wieder in die Diskussion untereinander zu bringen. Ich muss das Gefühl haben, dass ich selbst die Sachlage verstanden habe, um beim nächsten Treffen dem Onkel Paroli bieten zu können, der selbstsicher
Die traditionellen Parteien kämpfen seit Jahren gegen Mitgliederschwund. Währenddessen können Bewegungen wie „Fridays for Future“oder aktuell die Versammlungen gegen Rassismus tausende von Menschen mobilisieren. Ist das eine gute Sache oder gibt es ein Risiko, dass eine ganzheitliche gesellschaftliche Vision verschwindet, wenn das Engagement nur noch themenbezogen stattfindet? STARKEN Das kann ich nur begrenzt beantworten. Die Rückmeldungen, die ich bekomme, zeigen, dass die Menschen, die sich zum Beispiel an den Demonstrationen gegen Rechts beteiligen, auch den Wunsch haben, sich nachhaltig zu engagieren. Werden sie dafür einer Partei beitreten? Nur, wenn die Parteien sie auch thematisch abholen. Parteien funktionieren immer noch oft wie Behörden, mit einem starren Rahmen, und sind nach wie vor häufig homogene Gruppen, in denen mehr Diversität fehlt, die es in der Gesellschaft gibt. Um einer Partei beizutreten, braucht man Vorbilder, mit denen man sich identifizieren kann. Dadurch, dass Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund in den Parteien immer noch unterrepräsentiert sind, fehlen potenziellen Neumitgliedern als Vorbilder. Daran müssen Parteien unbedingt arbeiten.
Neben der Politik beschäftigen Sie sich auch mit Feminismus und der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Engagieren sich Frauen politisch anders als Männer?
STARKEN Sie engagieren sich bisher vor allem weniger als Männer, was den Rahmenbedingungen geschuldet ist. Dabei wären genau ihre Lebenserfahrungen wichtig, um die Parteien näher an die Alltagsrealität vieler Menschen zu bringen. Nicht nur wichtige Themen wie die Gewalt gegen Frauen oder die Kinderbetreuung würden mehr Aufmerksamkeit bekommen, sondern es würde dazu kommen, dass Hindernisse infrage gestellt werden, die bisher mehr Frauen abhalten, sich politisch zu engagieren – zum Beispiel warum Gremiensitzungen nur abends stattfinden oder warum es für Politikerinnen keine Elternzeitregelung gibt.