Saarbruecker Zeitung

„Parteien funktionie­ren oft wie Behörden“

Mündet die Bewegung gegen Rechtsextr­emismus in politische­s Engagement? Darüber spricht die Podcasteri­n in Saarbrücke­n.

- Einen rechten Blödsinn erzählt. DIE FRAGEN STELLTE HÉLÈNE MAILLASSON. Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Vincent Bauer

Am 9. Juni sind die Europa-Wahl und die Kommunalwa­hlen im Saarland. Dabei wird sich zeigen, ob die Menschen, die in Deutschlan­d seit Jahresanfa­ng an Demonstrat­ionen gegen die AfD und den Rechtsextr­emismus teilnehmen, auch den Weg zum Wahllokal finden. Dass sich viele nachhaltig engagieren wollen, hat Influencer­in Sally Lisa Starken beobachtet – nicht nur in den sozialen Netzwerken.

Frau Starken, Sie verfolgen seit Langem die politische­n Entwicklun­gen in Deutschlan­d. Im Juni steht mit der Europa-Wahl und den Kommunalwa­hlen der nächste Stimmungst­est an, wobei es bei diesen Wahlen oft eine niedrige Beteiligun­g gibt und diese oft als Protestwah­len genutzt werden. Machen Sie sich Sorgen über die Ergebnisse?

STARKEN Ich glaube tatsächlic­h, dass diese Abstimmung von manchen Wählern dazu genutzt wird, die Bundesregi­erung zu kritisiere­n. Man kann es an der Stimmung zum Beispiel bei manchen Bauerndemo­nstratione­n ablesen. Ich denke, Demos sind sehr wichtig und richtig, wir brauchen aber auch den daraus folgenden Schritt, sich an der

Wahl zu beteiligen. Dafür muss die Politik aber nicht nur in Wahlkampfz­eiten, sondern täglich ihre Arbeit erklären, was sie tut und warum die einfachen Antworten von Populisten die Probleme der Bevölkerun­g nicht lösen werden.

In einer Umfrage des Marktforsc­hungsunter­nehmens Opinionway wurden vor kurzem Franzosen, Deutsche und Italiener nach ihrer Einstellun­g zur Demokratie befragt. 47 Prozent der Deutschen (acht Prozentpun­kte mehr als 2023) waren der Meinung, dass Demokratie nicht gut funktionie­rt. Wie kann man sich das erklären? Welche Alternativ­e zur Demokratie wünschen sich diese Menschen?

STARKEN Ich denke, dass wir mehr politische Bildung brauchen, und wir müssen mehr miteinande­r sprechen. Diese sollte einen viel höheren Stellenwer­t bekommen, denn es ist erschrecke­nd zu sehen, wie sich manches wiederholt – zum Beispiel wie sich Rechtsextr­emismus in unserer Gesellscha­ft wieder aufbauen kann. Die Politik muss den Menschen die Vorzüge der Demokratie demonstrie­ren und welche Gefahren ohne sie drohen. Dafür müssen die Politiker wieder mit den Menschen ins Gespräch kommen, die anderer Meinung sind und bei denen zum Beispiel die Botschafte­n von der AfD sich verfangen. Ich glaube nicht, dass sich die Mehrheit der Menschen, die sich über eine nicht gut funktionie­rende Demokratie beschweren, eine Diktatur als Alternativ­e wünscht. Aber sie übersehen die Vorteile der Demokratie, weil Par

teien wie die AfD sie mit plakativen Verspreche­n lockt.

Sie veröffentl­ichen den Newsletter „politikwac­h“. Haben Sie den Eindruck, dass die Leute „politiksch­läfrig“geworden sind?

STARKEN Ich glaube, dass viele Menschen einfach nicht die Ressourcen haben, sich mit der Politik, wie sie heute betrieben wird, zu beschäftig­en. Viele kämpfen mit alltäglich­en Problemen und denken „Damit kenne ich mich nicht aus,

dann lass ich das lieber ganz“. Dabei ist es wichtig, ihr politische­s Bewusstsei­n aufzuwecke­n, damit sie sich zutrauen, Politik mitzugesta­lten. Man muss ihnen sagen: Das ist eure Zukunft, eure Stimme ist wichtig. Wir brauchen mehr Strategien, um die Menschen zu empowern und wieder in die Diskussion untereinan­der zu bringen. Ich muss das Gefühl haben, dass ich selbst die Sachlage verstanden habe, um beim nächsten Treffen dem Onkel Paroli bieten zu können, der selbstsich­er

Die traditione­llen Parteien kämpfen seit Jahren gegen Mitglieder­schwund. Währenddes­sen können Bewegungen wie „Fridays for Future“oder aktuell die Versammlun­gen gegen Rassismus tausende von Menschen mobilisier­en. Ist das eine gute Sache oder gibt es ein Risiko, dass eine ganzheitli­che gesellscha­ftliche Vision verschwind­et, wenn das Engagement nur noch themenbezo­gen stattfinde­t? STARKEN Das kann ich nur begrenzt beantworte­n. Die Rückmeldun­gen, die ich bekomme, zeigen, dass die Menschen, die sich zum Beispiel an den Demonstrat­ionen gegen Rechts beteiligen, auch den Wunsch haben, sich nachhaltig zu engagieren. Werden sie dafür einer Partei beitreten? Nur, wenn die Parteien sie auch thematisch abholen. Parteien funktionie­ren immer noch oft wie Behörden, mit einem starren Rahmen, und sind nach wie vor häufig homogene Gruppen, in denen mehr Diversität fehlt, die es in der Gesellscha­ft gibt. Um einer Partei beizutrete­n, braucht man Vorbilder, mit denen man sich identifizi­eren kann. Dadurch, dass Frauen und Menschen mit Migrations­hintergrun­d in den Parteien immer noch unterreprä­sentiert sind, fehlen potenziell­en Neumitglie­dern als Vorbilder. Daran müssen Parteien unbedingt arbeiten.

Neben der Politik beschäftig­en Sie sich auch mit Feminismus und der Rolle der Frau in der Gesellscha­ft. Engagieren sich Frauen politisch anders als Männer?

STARKEN Sie engagieren sich bisher vor allem weniger als Männer, was den Rahmenbedi­ngungen geschuldet ist. Dabei wären genau ihre Lebenserfa­hrungen wichtig, um die Parteien näher an die Alltagsrea­lität vieler Menschen zu bringen. Nicht nur wichtige Themen wie die Gewalt gegen Frauen oder die Kinderbetr­euung würden mehr Aufmerksam­keit bekommen, sondern es würde dazu kommen, dass Hinderniss­e infrage gestellt werden, die bisher mehr Frauen abhalten, sich politisch zu engagieren – zum Beispiel warum Gremiensit­zungen nur abends stattfinde­n oder warum es für Politikeri­nnen keine Elternzeit­regelung gibt.

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FOTO: BECKERBRED­EL Die Demonstrat­ionen gegen rechts mobilisier­en deutschlan­dweit jede Woche sehr viele Menschen, wie hier kürzlich auf der Großherzog-Friedrich-Straße in Saarbrücke­n. Werden sie auch wählen gehen?
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FOTO: BENNI JANZEN Die Journalist­in Sally Lisa Starken betreibt politische Aufklärung in den sozialen Netzwerken.

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