Zum 101. Geburtstag immer noch topfit
Luzia Niederländer ist die lebende Dorfgeschichte Bliesransbachs. In ihren 101 Jahren auf Erden, hat Niederländer so einiges erlebt. Aber auch einiges selbst bewirkt.
Luzia Niederländer sitzt entspannt in ihrem Sessel, schaut aus dem Fenster und sieht nach den Regentropfen, die gerade vom Himmel fallen. Dann fängt sie an zu grinsen. „Wissen Sie, damals, als ich noch ein kleines Kind war, gab es noch keine Regenschirme. Ein paar Familien in der Straße hatten ein Radio. Es gab kaum Lebensmittel und viele Menschen hungerten“, sagt sie und muss dann anfangen zu lachen.
„Vergangene Weihnachten haben wir im engen Familienkreis gefeiert. Andere Familienmitglieder waren über Skype zugeschaltet und waren so über den Laptop auch bei uns. Was sich in den vergangenen 100 Jahren auf der Welt verändert hat, ist unfassbar“, sagt Luzia Niederländer weiter. Die gebürtige Bliesransbacherin feierte am gestrigen Sonntag ihren 101. Geburtstag. Sie feierte in St. Wendel, wo sie zurzeit wohnt. „Ich bin immer einen Monat bei meiner Großnichte in St. Wendel und den nächsten Monat wieder bei meiner Großnichte in Bliesransbach. Das ist eine schöne Abwechslung und ich bin den beiden sehr dankbar für alles“, sagt sie und fügt mit einem Schmunzeln und in Reimform hinzu: „Als ich 1923 geboren wurde, gab es kein Licht und keine Kohlen. So musste man mich im tiefsten Winter ins Leben holen.“
Luzia Niederländer ist die lebende Dorfgeschichte von Bliesransbach. Jeder, der etwas von früher wissen möchte, fragt Luzia. Sie weiß heute noch alles. Sie hat selber Bücher über ihren Ort verfasst und hat zu jeder Zeit auch noch die passenden Bilder. Sie ist 94 Jahre Mitglied im Turnverein, war 40 Jahre im Vorstand des Vereins tätig und ist seit dem Jahr 1991 Ehrenmitglied. „Der Turnverein ist mein Verein. Da war ich schon als kleines Kind mit meinem Papa. Ich kann mich noch gut an die vielen Feste erinnern, zum Beispiel, als wir für eine ganze Halle voller Gäste Leberknödel gekocht
haben“, denkt die 101-Jährige viele Jahrzehnte zurück.
Als sie im Jahr 2003 80 Jahre alt wurde, bekam sie für ihr unermüdliches Engagement für die Bliesransbacher Vereine das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Ein Engagement, das sich bei weitem nicht nur auf den Turnverein beschränkte. Vor 60 Jahren lief Luzia Niederländer durch die Bliesransbacher Straßen und suchte Frauen, die Lust hatten, einen Landfrauenverein zu gründen. Dies gelang schließlich auch, danach war sie bei den Landfrauen 42 Jahre lang die Vorsitzende.
Sie war auch Gründungsmitglied beim Heimat- und Verkehrsverein und beim Kultur- und Trachtenverein. „Die Vereine waren ein Großteil meines Lebens. Es gab täglich etwas zu tun. Es war immer etwas los, und langweilig wurde es nie.“Als die gelernte Bankkauffrau 18 Jahre
alt wurde, tobte der Zweite Weltkrieg in Deutschland. „Meine Schwester hatte ein Radio und hörte immer Radio Straßburg. Sie erzählte etwas von Krieg, aber wir glaubten ihr nicht. Dann ging mein Papa morgens zum Marktplatz in Bliesransbach und als er zurückkam, sagte er, dass wir sofort wegmüssen“, erinnert sich Luzia Niederländer an den Ausbruch des Krieges. Mit Bussen, Kuh- und Pferdegespannen ging es in Richtung Bahn und mit der zur Evakuierung nach Kassel. „Als wir zurückkamen, waren viele Häuser in Bliesransbach zerstört. Unser Haus wurde von einer Phosphor-Bombe getroffen. Diesen Gestank werde ich nie vergessen“, sagt die Ur-Bliesransbacherin.
Es war eine schlimme Zeit, die Luzia Niederländer zur unermüdlichen Kämpferin gemacht hat. Vor zehn Jahren erlitt sie im Alter von 91 Jahren einen Schlaganfall. Sie konnte nicht mehr laufen und nicht mehr sprechen. Die Ärzte sagten, sie müsse in ein Pflegeheim. Das ließen ihre Großnichten nicht zu, da sich Tante Luzia, die selber keine Kinder hat, zeit ihres Lebens um die alten und kranken Familienmitglieder gekümmert hat. Die damals 91-Jährige dachte auch selber nicht daran, dass ein Pflegeheim ihre letzte Station sein sollte. Sie kämpfte, rappelte sich auf und besuchte zusammen mit vielen jungen Menschen einen Physiotherapie-Kurs.
Heute, mit 101 Jahren, ist sie fitter als mit 91 Jahren. „Ich höre nicht mehr so gut, aber mir geht es gut. Ich bin wirklich zufrieden. Ich habe eigentlich immer normal gelebt. Immer auf der Matte bleiben und Haltung bewahren, das ist mein Motto“, sagt Luzia Niederländer, ballt die Fäuste und reckt beide Daumen nach oben.