Die Odyssee der Gräfinthaler „Pfeilenmadonna“
Seit bald 200 Jahren befindet sich die Holzfigur der „ Muttergottes mit den Pfeilen“in der HeiligKreuz-Kapelle auf einer Anhöhe über Blieskastel. Experten gehen aber davon aus, dass sie aus dem 13. Jahrhundert stammt und erst über Umwege in den SaarpfalzK
Die „Schwarze Madonna“von Altötting oder insbesondere auch jene von Tschenstochau in Polen, die „Trösterin der Betrübten“in Luxemburg, das „Jesulein“von Prag: Lang ist die Liste der Gnadenbilder, zu denen katholische Christen Wallfahrten unternehmen und um Gottes Beistand beten. Längst nicht die Popularität wie diese auch international stark frequentierten Anlaufstationen hat die „Pfeilenmadonna“von Blieskastel, gleichwohl ist sie schon seit langer Zeit ein Pilgerziel, das überregional bekannt ist und verehrt wird. Seit bald 200 Jahren befindet sich die „Muttergottes mit den Pfeilen“in der Heilig-Kreuz-Kapelle auf jener Anhöhe über Blieskastel, die den Flurnamen „Han“trägt. Die Holzfigur ist allerdings weitaus älter. Kunsthistoriker datieren das Gnadenbild auf das 14. Jahrhundert, und schenkt man den Legenden Glauben, dann sind es sogar noch einmal 100 Jahre mehr.
Die Plastik steht nämlich in enger Verbindung zur Gründungsgeschichte des Klosters Gräfinthal, das um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstanden ist.
Der Sage nach lebte auf Bebelsheimer Gemarkung einst ein frommer Einsiedler. Er hatte sich eine „schmerzhafte Muttergottes“geschnitzt, die er mit Inbrunst verehrte. Dieses Bildnis von Maria mit ihrem toten Sohn Jesus in den Armen war in einer Baumhöhle bei seiner Klause untergebracht, wo er täglich zur Vesper sein Gebet verrichtete. Eines Tages kamen finstere Gestalten dort vorbei, marodierende Söldner und auch nur Räuber, wie es heißt. Da sie bei dem gläubigen Mann nichts von Wert fanden, schossen sie in Rage mit Pfeilen auf das Marienbild. Und dann geschah das Unglaubliche: Aus den Wunden, an denen die Pfeile in den Körper der Holzfigur eingedrungen waren, floss Blut. Voller Angst und Schrecken ergriffen die Bösewichte die Flucht.
Rasch machte die Kunde von dem Geschehen über die Region hinaus die Runde, auch die Blieskasteler Gräfin Elisabeth erfuhr davon. Sie machte sich auf zum Schauplatz des Vorfalles, um sich selbst ein Bild zu machen. Da sie ein Augenleiden quälte, benetzte sie ihre Augen mit dem frischen Blut – und war von einem Moment auf den anderen geheilt. Zum Dank für ihre Genesung stiftete sie ein Kloster, das, am Letschenbach gelegen, den Namen Gräfinthal erhielt. Die Stelle der Einsiedelei, die etwa anderthalb Kilometer entfernt liegt, wurde zur Gewanne „Brudermannsfeld“. Die Stelle wird heute von einem schönen Steinkreuz markiert, das die Jahreszahl 1695 trägt.
Mit dieser Darstellung erfüllt die Pfeilenmadonna genau die Voraussetzungen, die Gnadenbilder charakterisieren: In der Regel werden sie mit Wunderheilungen und -ereignissen in Verbindung gebracht, ihre Geschichte ist mit legendenmäßigen Berichten verbunden, die häufig mit Beschädigungen, Raub und anderen Freveln einhergehen. Die wundertätige Marienfigur des Brudermannes fand nun im Kloster Gräfinthal, das einer Chronik nach im Jahr 1243 gegründet worden war, ihre neue Bleibe.
Mönche des Wilhemitenordens, einer Gemeinschaft, die nach den Regeln der Benediktiner lebten, betreuten fortan die Wallfahrt zur „Madonna mit den Pfeilen“. Der Zulauf der Gläubigen war zeitweise riesig, Nachrichten von Wundern taten ein Übriges zur sich ausbreitenden Popularität von Kloster und Gnadenbild. Als sich 1525 die Bauern gegen ihre Ausbeutung und für ihre Freiheit erhoben, schwappte der Bauernkrieg vom Elsass und von Lothringen her auch auf den südlichen Bliesgau über. Im Visier hatten die wütenden Landleute auch Kloster Gräfinthal, das alsbald ausgeplündert wurde. Das Vorhaben war zuvor
aber Ritter Johann von Braubach, dem Amtmann von Saargemünd, bekannt geworden.
Er hatte deswegen eine Delegation nach Gräfinthal entsandt – mit dem Auftrag, zu retten, was noch zu retten ist. Tatsächlich gelang es ihnen, die Marienfigur samt anderer Kirchenschätze in Sicherheit zu bringen. Nach der blutigen Niederschlagung der Bauernrevolte kehrte das Gnadenbild wohlbehalten ins Kloster zurück.
Auch die Gräuel des Dreißigjährigen Krieges überstand es heil, zuletzt sogar die große Zerstörung des Konvents im Jahr 1640. Wohl um die Wallfahrten nach Gräfinthal nach den Kriegsverheerungen anzukurbeln, erstellte der Wilhelmitenbruder Friedrich Schaal sein „Mirakelbuch“, in dem er nicht nur die Gründungsgeschichte des Klosters nachzeichnete, sondern auch von 89 Wundern berichtete, die dem Gnadenbild zugeordnet wurden. Das Werk, das nur noch in einer einzigen, bruchstückhaften Ausgabe erhalten ist, wurde 1671 verfasst. Auch die Orte, an denen sich die Mirakel ereigneten, sprechen eindeutig dafür, dass über das Medium „Wundertätige Muttergottes mit den Pfeilen“die Wallfahrten
zum Kloster vor allem im Bereich einer Tagesreise angekurbelt werden sollten. Solche Pilgerfahrten waren für das Kloster einträglich, die Einnahmen dienten nicht zuletzt dem weiteren Wiederaufbau und künftig vorgesehener Erweiterungen. Durch die Wunder wurden vornehmlich Kinder gerettet: Beispielsweise aus Bliesbrücken, St. Arnual, Zweibrücken, Lautzkirchen, Alschbach; Breitfurt und Webenheim, aber auch aus Bous, Völklingen und Lisdorf beschreibt Frater Fredericus in seinem Buch solche Fälle.
Tatsächlich nahmen die Wallfahrten bald wieder zu, Gräfinthal gelangte zu neuem Wohlstand und wurde entsprechend ausgebaut. Dass der zwischen 1714 und 1719 in Zweibrücken im Exil lebende polnische König Stanislas Leszczynski sich gern dort aufhielt und vor der Madonna betete, war dafür ebenso ein entscheidender Faktor wie die kunstvollen Holz- und Steinarbeiten der Bildhauer und Holzschnitzer Jean und Franz Madersteck. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte dann aber der Niedergang ein. Im Zuge der Aufklärung wurde Wundertätigkeit grundsätzlich weniger Glaube geschenkt, der Wilhelmitenorden ging unaufhaltsam seinem
Ende entgegen, zudem gerieten die Wallfahrten nach Gräfinthal in Verruf – sie seien zu einem Hort der Unzucht verkommen, hieß es. 1785 wurde das Kloster, das zum Bistum Metz gehörte, aufgelöst.
Die letzten der Ordensbrüder siedelten alsbald nach Blieskastel um und brachten das Bildnis mit – es fand seinen neuen Platz in der heute nicht mehr existierenden Sebastianskirche. Gräfin Marianne von der Leyen stiftete der Schmerzensmutter in dieser Zeit eine Krone mit der Inschrift: „Der seligen Jungfrau gewidmet von der Gräfin von der Leyen und Hohengeroldseck, geborene Freiin von Dalberg, im Jahre 1787“. Vorgesehen war, das Gnadenbild in der neuen Stiftskirche von Blieskastel aufzustellen, mit deren Bau 1788 begonnen wurde.
Die Französische Revolution, die Ende 1792 auf das Blieskasteler Land übergriff, machte einen dicken Strich durch diese Rechnung. Stattdessen wurde die Schmerzensmutter 1794 meistbietend versteigert – die Revolution brauchte Geld. Den Zuschlag erhielten die „Jungfern“von Blieskastel, jene von Bliesmengen hatten zu wenig geboten. Die Odyssee der Pfeilenmadonna ging weiter: Nach der Aufgabe der
Sebastianskirche 1809 wurde sie in die neue Pfarrkirche von Blieskastel, die Schlosskirche, verbracht und an den linken Seitenaltar gestellt. 1829 erhielt sie abermals ein anderes Quartier:
Sie kam in die Heilig-Kreuz-Kapelle – und geriet, nach der Mode der Zeit, mit Mänteln und Schleiern verhüllt, hoch auf einem Regalbrett an der linken Seitenwand abgestellt, allmählich in Vergessenheit und staubte zu.
Es sollte viele Jahrzehnte dauern, bis sie wieder ins Blickfeld rückte. Nach ihrer „Wiederentdeckung“wurde sie 1911 in München stilgerecht auf Vordermann gebracht, zwei Jahre später erhielt sie in der Kapelle auf dem „Han“ihren prominenten Platz. Wallfahrten setzten wieder ein, in den 1920er-Jahren kam das Kloster dazu, das mit Kapuzinern besetzt wurde. Bis auf den heutigen Tag hält die Verehrung der Gräfinthaler „Muttergottes mit den Pfeilen“auch in ihrer „neuen Heimat“Blieskastel an. Die vielen Danktäfelchen, auf denen Maria für die Hilfe gedankt wird, zeigen es.