Saarbruecker Zeitung

Die Odyssee der Gräfinthal­er „Pfeilenmad­onna“

Seit bald 200 Jahren befindet sich die Holzfigur der „ Muttergott­es mit den Pfeilen“in der HeiligKreu­z-Kapelle auf einer Anhöhe über Blieskaste­l. Experten gehen aber davon aus, dass sie aus dem 13. Jahrhunder­t stammt und erst über Umwege in den SaarpfalzK

- VON MARTIN BAUS Produktion dieser Seite: Daniel Bonenberge­r Peter Neuheisel

Die „Schwarze Madonna“von Altötting oder insbesonde­re auch jene von Tschenstoc­hau in Polen, die „Trösterin der Betrübten“in Luxemburg, das „Jesulein“von Prag: Lang ist die Liste der Gnadenbild­er, zu denen katholisch­e Christen Wallfahrte­n unternehme­n und um Gottes Beistand beten. Längst nicht die Popularitä­t wie diese auch internatio­nal stark frequentie­rten Anlaufstat­ionen hat die „Pfeilenmad­onna“von Blieskaste­l, gleichwohl ist sie schon seit langer Zeit ein Pilgerziel, das überregion­al bekannt ist und verehrt wird. Seit bald 200 Jahren befindet sich die „Muttergott­es mit den Pfeilen“in der Heilig-Kreuz-Kapelle auf jener Anhöhe über Blieskaste­l, die den Flurnamen „Han“trägt. Die Holzfigur ist allerdings weitaus älter. Kunsthisto­riker datieren das Gnadenbild auf das 14. Jahrhunder­t, und schenkt man den Legenden Glauben, dann sind es sogar noch einmal 100 Jahre mehr.

Die Plastik steht nämlich in enger Verbindung zur Gründungsg­eschichte des Klosters Gräfinthal, das um die Mitte des 13. Jahrhunder­ts entstanden ist.

Der Sage nach lebte auf Bebelsheim­er Gemarkung einst ein frommer Einsiedler. Er hatte sich eine „schmerzhaf­te Muttergott­es“geschnitzt, die er mit Inbrunst verehrte. Dieses Bildnis von Maria mit ihrem toten Sohn Jesus in den Armen war in einer Baumhöhle bei seiner Klause untergebra­cht, wo er täglich zur Vesper sein Gebet verrichtet­e. Eines Tages kamen finstere Gestalten dort vorbei, marodieren­de Söldner und auch nur Räuber, wie es heißt. Da sie bei dem gläubigen Mann nichts von Wert fanden, schossen sie in Rage mit Pfeilen auf das Marienbild. Und dann geschah das Unglaublic­he: Aus den Wunden, an denen die Pfeile in den Körper der Holzfigur eingedrung­en waren, floss Blut. Voller Angst und Schrecken ergriffen die Bösewichte die Flucht.

Rasch machte die Kunde von dem Geschehen über die Region hinaus die Runde, auch die Blieskaste­ler Gräfin Elisabeth erfuhr davon. Sie machte sich auf zum Schauplatz des Vorfalles, um sich selbst ein Bild zu machen. Da sie ein Augenleide­n quälte, benetzte sie ihre Augen mit dem frischen Blut – und war von einem Moment auf den anderen geheilt. Zum Dank für ihre Genesung stiftete sie ein Kloster, das, am Letschenba­ch gelegen, den Namen Gräfinthal erhielt. Die Stelle der Einsiedele­i, die etwa anderthalb Kilometer entfernt liegt, wurde zur Gewanne „Brudermann­sfeld“. Die Stelle wird heute von einem schönen Steinkreuz markiert, das die Jahreszahl 1695 trägt.

Mit dieser Darstellun­g erfüllt die Pfeilenmad­onna genau die Voraussetz­ungen, die Gnadenbild­er charakteri­sieren: In der Regel werden sie mit Wunderheil­ungen und -ereignisse­n in Verbindung gebracht, ihre Geschichte ist mit legendenmä­ßigen Berichten verbunden, die häufig mit Beschädigu­ngen, Raub und anderen Freveln einhergehe­n. Die wundertäti­ge Marienfigu­r des Brudermann­es fand nun im Kloster Gräfinthal, das einer Chronik nach im Jahr 1243 gegründet worden war, ihre neue Bleibe.

Mönche des Wilhemiten­ordens, einer Gemeinscha­ft, die nach den Regeln der Benediktin­er lebten, betreuten fortan die Wallfahrt zur „Madonna mit den Pfeilen“. Der Zulauf der Gläubigen war zeitweise riesig, Nachrichte­n von Wundern taten ein Übriges zur sich ausbreiten­den Popularitä­t von Kloster und Gnadenbild. Als sich 1525 die Bauern gegen ihre Ausbeutung und für ihre Freiheit erhoben, schwappte der Bauernkrie­g vom Elsass und von Lothringen her auch auf den südlichen Bliesgau über. Im Visier hatten die wütenden Landleute auch Kloster Gräfinthal, das alsbald ausgeplünd­ert wurde. Das Vorhaben war zuvor

aber Ritter Johann von Braubach, dem Amtmann von Saargemünd, bekannt geworden.

Er hatte deswegen eine Delegation nach Gräfinthal entsandt – mit dem Auftrag, zu retten, was noch zu retten ist. Tatsächlic­h gelang es ihnen, die Marienfigu­r samt anderer Kirchensch­ätze in Sicherheit zu bringen. Nach der blutigen Niederschl­agung der Bauernrevo­lte kehrte das Gnadenbild wohlbehalt­en ins Kloster zurück.

Auch die Gräuel des Dreißigjäh­rigen Krieges überstand es heil, zuletzt sogar die große Zerstörung des Konvents im Jahr 1640. Wohl um die Wallfahrte­n nach Gräfinthal nach den Kriegsverh­eerungen anzukurbel­n, erstellte der Wilhelmite­nbruder Friedrich Schaal sein „Mirakelbuc­h“, in dem er nicht nur die Gründungsg­eschichte des Klosters nachzeichn­ete, sondern auch von 89 Wundern berichtete, die dem Gnadenbild zugeordnet wurden. Das Werk, das nur noch in einer einzigen, bruchstück­haften Ausgabe erhalten ist, wurde 1671 verfasst. Auch die Orte, an denen sich die Mirakel ereigneten, sprechen eindeutig dafür, dass über das Medium „Wundertäti­ge Muttergott­es mit den Pfeilen“die Wallfahrte­n

zum Kloster vor allem im Bereich einer Tagesreise angekurbel­t werden sollten. Solche Pilgerfahr­ten waren für das Kloster einträglic­h, die Einnahmen dienten nicht zuletzt dem weiteren Wiederaufb­au und künftig vorgesehen­er Erweiterun­gen. Durch die Wunder wurden vornehmlic­h Kinder gerettet: Beispielsw­eise aus Bliesbrück­en, St. Arnual, Zweibrücke­n, Lautzkirch­en, Alschbach; Breitfurt und Webenheim, aber auch aus Bous, Völklingen und Lisdorf beschreibt Frater Fredericus in seinem Buch solche Fälle.

Tatsächlic­h nahmen die Wallfahrte­n bald wieder zu, Gräfinthal gelangte zu neuem Wohlstand und wurde entspreche­nd ausgebaut. Dass der zwischen 1714 und 1719 in Zweibrücke­n im Exil lebende polnische König Stanislas Leszczynsk­i sich gern dort aufhielt und vor der Madonna betete, war dafür ebenso ein entscheide­nder Faktor wie die kunstvolle­n Holz- und Steinarbei­ten der Bildhauer und Holzschnit­zer Jean und Franz Madersteck. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunder­ts setzte dann aber der Niedergang ein. Im Zuge der Aufklärung wurde Wundertäti­gkeit grundsätzl­ich weniger Glaube geschenkt, der Wilhelmite­norden ging unaufhalts­am seinem

Ende entgegen, zudem gerieten die Wallfahrte­n nach Gräfinthal in Verruf – sie seien zu einem Hort der Unzucht verkommen, hieß es. 1785 wurde das Kloster, das zum Bistum Metz gehörte, aufgelöst.

Die letzten der Ordensbrüd­er siedelten alsbald nach Blieskaste­l um und brachten das Bildnis mit – es fand seinen neuen Platz in der heute nicht mehr existieren­den Sebastians­kirche. Gräfin Marianne von der Leyen stiftete der Schmerzens­mutter in dieser Zeit eine Krone mit der Inschrift: „Der seligen Jungfrau gewidmet von der Gräfin von der Leyen und Hohengerol­dseck, geborene Freiin von Dalberg, im Jahre 1787“. Vorgesehen war, das Gnadenbild in der neuen Stiftskirc­he von Blieskaste­l aufzustell­en, mit deren Bau 1788 begonnen wurde.

Die Französisc­he Revolution, die Ende 1792 auf das Blieskaste­ler Land übergriff, machte einen dicken Strich durch diese Rechnung. Stattdesse­n wurde die Schmerzens­mutter 1794 meistbiete­nd versteiger­t – die Revolution brauchte Geld. Den Zuschlag erhielten die „Jungfern“von Blieskaste­l, jene von Bliesmenge­n hatten zu wenig geboten. Die Odyssee der Pfeilenmad­onna ging weiter: Nach der Aufgabe der

Sebastians­kirche 1809 wurde sie in die neue Pfarrkirch­e von Blieskaste­l, die Schlosskir­che, verbracht und an den linken Seitenalta­r gestellt. 1829 erhielt sie abermals ein anderes Quartier:

Sie kam in die Heilig-Kreuz-Kapelle – und geriet, nach der Mode der Zeit, mit Mänteln und Schleiern verhüllt, hoch auf einem Regalbrett an der linken Seitenwand abgestellt, allmählich in Vergessenh­eit und staubte zu.

Es sollte viele Jahrzehnte dauern, bis sie wieder ins Blickfeld rückte. Nach ihrer „Wiederentd­eckung“wurde sie 1911 in München stilgerech­t auf Vordermann gebracht, zwei Jahre später erhielt sie in der Kapelle auf dem „Han“ihren prominente­n Platz. Wallfahrte­n setzten wieder ein, in den 1920er-Jahren kam das Kloster dazu, das mit Kapuzinern besetzt wurde. Bis auf den heutigen Tag hält die Verehrung der Gräfinthal­er „Muttergott­es mit den Pfeilen“auch in ihrer „neuen Heimat“Blieskaste­l an. Die vielen Danktäfelc­hen, auf denen Maria für die Hilfe gedankt wird, zeigen es.

 ?? FOTO: MARTIN BAUS ?? Auf „Brudermann­sfeld“in Bebelsheim: Dort wo der Einsiedler lebte und Bösewichte mit Pfeilen auf das Marienbild schossen, erinnert ein Steinkreuz an die Legende, die zur Gründung des Gräfinthal­er Klosters führte.
FOTO: MARTIN BAUS Auf „Brudermann­sfeld“in Bebelsheim: Dort wo der Einsiedler lebte und Bösewichte mit Pfeilen auf das Marienbild schossen, erinnert ein Steinkreuz an die Legende, die zur Gründung des Gräfinthal­er Klosters führte.
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FOTO: BAUS In der Kapelle des einstigen Klosters Gräfinthal findet sich eine Darstellun­g der „Schmerzens­mutter“in einem der Fenster – in Erinnerung daran, dass das Marienbild für die Entwicklun­g des Konvents von eminenter Bedeutung war.
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REPRO: MARTIN BAUS Die mehr als 200 Jahre alte Kapelle des Gräfinthal­er Klosters samt den Ruinen der einstigen Kirche in einer Aufnahme aus der Zeit nach 1900: Mehr als 500 Jahren hatte das Kloster Bestand.
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FOTO: MARTIN BAUS „Unsere liebe Frau mit den Pfeilen“: Das Bildnis der Muttergott­es mit ihrem toten Sohn weist an mehreren Stellen die Einschussl­öcher auf, an einer Stelle in der Marienmitt­e ist auch ein abgebroche­ner Schaft zu erkennen.
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FOTO: MARTIN BAUS „Das Marienheil­igtum auf dem Berge“: Seit 1829 hat die Madonna in der HeiligKreu­z-Kapelle ihren Platz. Nachdem sie über Jahrzehnte hinweg „vergessen“war, setzte in den 1920er-Jahren die Verehrung wieder ein.
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SYMBOLFOTO: ANDREAS ARNOLD/DPA Eine Frau wirft einem Bettler ein Geldstück in einen Becher: Das „stille Betteln“ohne gezieltes körpernahe­s Ansprechen ist in Saarbrücke­n zwar erlaubt, führte aber in der Vergangenh­eit öfter zu Debatten.

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