Den „Chinesen Europas“droht das Mittelmaß
Im deutschen Tischtennis-Lager hat die Aufarbeitung der medaillenlosen und enttäuschenden WM in Südkorea begonnen.
(sid) Statt mit China im WMFinale kämpften die deutschen Tischtennis-Asse am Sonntag nach ihrer unerwartet frühen Heimkehr mit dem Jetlag – und einem veritablen Kater. Die erste medaillenlose Weltmeisterschaft seit 2016 wirkt nach, die Rolle als Dauerrivale der Supermacht China und Europas Nummer eins ist in Gefahr. Schon vor den Olympischen Spielen in Paris könnte die Enttäuschung in Südkorea eine Zäsur einleiten.
„Mittel- und langfristig werden wir uns in Europa hinter Frankreich und Schweden einreihen müssen“, sagte DTTB-Präsident Andreas Hain. Am Freitag hatte die erfolgsverwöhnte Auswahl des Deutschen Tischtennis-Bundes (DTTB) im Viertelfinale von Busan mit 0:3 gegen Taiwan verloren, dabei wollte Bundestrainer Jörg Roßkopf trotz des Ausfalls von Altmeister Timo Boll eigentlich Topfavorit China angreifen.
Vorbeigezogen sind nun aber nicht nur die Franzosen, die erstmals seit 27 Jahren ein WM-Finale erreichten, und die Schweden, Team-Europameister des vergangenen Jahres. Die „Chinesen Europas“, wie der DTTB die „Generation Boll“für ihre kontinentale Dominanz schon 2012 in einem Kinofilm feierte, sind auch hinter Taiwan und WM-Gastgeber Südkorea zurückgefallen.
„Man kann nicht mehr automatisch vom Endspiel ausgehen“, meinte Ex-Doppelweltmeister Steffen Fetzner zur schwersten Schlappe von DTTB-Männern bei großen Turnieren seit dem Jahr 2000 (0:3 im WM-Viertelfinale gegen Schweden).
Für DTTB-Sportvizepräsidentin Heike Ahlert sind auch „Medaillen kein Selbstläufer mehr“. Während Hain ein „Loch“konstatierte, schloss Ahlert ein „Weiter so“aus: „Wir müssen und werden nach Paris Veränderungen besonders hinsichtlich jüngerer Spieler vornehmen.“
Tatsächlich wies Roßkopfs Kader in Busan mit 32,8 Jahren noch deutlich vor China (28,0) das höchste Durchschnittsalter aller acht Viertelfinalisten auf. Frankreich stand bei 21,2 Jahren, Taiwan bei 24,8 und Japan sogar nur bei 20,2.
Doch „Altersschwäche“war nicht das Hauptproblem von Roßkopfs Spielern. Gegen Taiwan kam Europameister Dang Qiu gegen einen 15 Jahre älteren Kontrahenten erneut nicht ans Limit, reichte Routinier Ovtcharov gegen einen aus gemeinsamen Jahren in Russland und beim Retortenclub TTC Neu-Ulm bestens vertrauten Gegner eine 2:0-Satzführung nicht und konnte Patrick Franziska gegen einen Teenager sein höheres Ranking nicht bestätigen. Im gesamten WMVerlauf gelang den drei deutschen Spitzenspielern gegen Top-50-Asse kein Erfolg.
Auch Roßkopf dürfte diese Mängel bei der Nominierung seines Olympia-Trios bedenken. Dadurch könnte Boll auch ohne Spiel der deutsche WM-Gewinner sein: Der bald 43 Jahre alte Linkshänder schlug kurz vor seiner Augenentzündung mehrere Top-30-Gegner. Gemessen an Busan würden Olympia-Einsätze des Ex-Weltranglisten-Ersten für das in Paris vorgeschriebene Doppel und als Nummer drei sportlich kaum ein Risiko bedeuten. Fetzner würde seinem einstigen Weltmeister-Partner Roßkopf nicht davon abraten: „Alleine für eine starke Links-RechtsKombination im Eröffnungsdoppel ist Timo eine Option.“
„Wir müssen und werden nach Paris Veränderungen besonders hinsichtlich jüngerer Spieler vornehmen.“Heike Ahlert Vizepräsidentin des DTTB