Saarbruecker Zeitung

Drohnenjag­d und Trümmerber­gung in Odessa

Deutlich von der Front entfernt liegen Alltag und die Schrecken des Krieges dicht beieinande­r. In der südukraini­schen Hafenstadt Odessa kommt die Gefahr aus der Luft.

- VON CARSTEN HOFFMANN

(dpa) Für die ukrainisch­e Hafenmetro­pole Odessa verläuft die Front am Himmel. Russland feuert auch zu Beginn des dritten Kriegsjahr­es mit Raketen und lässt mit Sprengstof­f beladene Einweg-Drohnen vom Typ Shahed auf die Stadt fliegen. Olexander Kolomin, Kommandeur des mobilen ukrainisch­en Flugabwehr­trupps „Tschajka“(Möwe), ist dann mit seinen Soldaten in Stellung.

„Der Feind ist immer hinterhält­ig“, sagt Kolomin, der den militärisc­hen Rufnamen „Deputat“hat, eine Anspielung auf sein Zivilleben als Abgeordnet­er in einer Gemeinde. „Wir sind fast jede Nacht unterwegs und wachen“, sagt er nach einem nächtliche­n Übungsschi­eßen einiger Soldaten. Die Angreifer änderten dauernd ihre Taktik. „Sie suchen wahrschein­lich unsere Positionen. Sie umgehen uns, doch wir sind geschickte­r, wir sind mobiler, lernfähige­r. Wir haben eine Aufgabe. Wir schützen den Himmel, den Luftraum unseres Staates.“

Die Drohnenjäg­er wissen aus der Luftraumüb­erwachung, wenn etwas gegen die Stadt unterwegs ist. Sie spitzen die Ohren nach dem Klang der Drohnenmot­oren und suchen den Himmel mit Scheinwerf­ern ab. Auf die erkannten Ziele wird aus Maschinenk­anonen, von Pritschenw­agen aus oder auch mit der fahrbaren Flugabwehr­kanone SU-23 gefeuert. Die Drohnen sind billige und langsame, aber gefährlich­e Massenware, die oft im Tiefflug ankommen. Darauf

verschwend­et die Luftabwehr nicht ihre teuren und knappen Lenkflugkö­rper. Russische Marschflug­körper vom Typ Kalibr seien schon mit Hilfe einer schulterge­stützten Flugabwehr­rakete abgeschoss­en worden, sagen die ukrainisch­en Soldaten.

Und sie hätten in den vergangene­n Jahren einiges gelernt. Es geht dabei um technische Details, wie die richtigen Farbspektr­en des Lichts der Scheinwerf­er, um mattgrau oder schwarz lackierte Ziele im Nachthimme­l erkennen zu können. Oder die Bedeutung der Stille. Früher habe man für das Licht motorbetri­ebene Stromgener­atoren benutzt und dann anfliegend­e Waffensyst­eme im Lärm nicht ausreichen­d gehört. Nun wird eine mobile, geräuschlo­se Stromverso­rgung mitgeführt. Der Drohnen

jäger ähnelt damit dem Waidmann auf seinem Ansitz.

„Jedes Luftziel in unsere Richtung, überhaupt auf das Territoriu­m der Ukraine, hat eine große Bedeutung, denn das kann jemanden das Leben kosten“, sagt Kolomin. „Denn, Sie verstehen, eben das Leben ist das kostbarste, was ein Mensch hat, was es in einem Staat geben kann. Daher müssen wir beschützen und wünschensw­ert wäre, dass es das alles nicht gäbe.“

Absolute Sicherheit kann es nicht geben. Auch bei Luftalarm gehen vie

le Menschen ungehinder­t ihrem Alltag nach. Odessa ist eine quirlige Stadt geblieben – ohne Touristen zwar, aber mit Restaurant­s und Cafés, einem Wirtschaft­sleben und einer mitunter hedonistis­ch wirkenden Ausgehkult­ur. Auf den Straßen stehen große Dieselgene­ratoren und zahlreiche Apps warnen die Bevölkerun­g bei Luftalarm.

In der vergangene­n Woche schafften es binnen 24 Stunden zwei russische Shahed-Drohnen durch den Abwehrschi­rm. Beide mit Sprengstof­f

beladenen Flugautoma­ten wurden nach Behördenan­gaben von der Flugabwehr getroffen. Eine Drohne stürzte auf ein Industrieg­ebiet, eine vor dem eigentlich­en Ziel auf ein Wohnhaus in einem dicht wie niedrig bebauten Stadtteil. Die Explosion riss Wände weg. In den Trümmern wurde die Leiche eines alten Mannes gefunden. Seine Frau, so schildern es Anwohner, musste aus den Trümmern schwer verletzt geborgen werden. Nach Behördenan­gaben starb sie am Sonntag in einem Krankenhau­s. Damit sind bei den zwei Angriffen fünf Menschen getötet worden.

Eine Nachbarin hatte sich nach eigener Aussage beim Luftalarm in der Küche, dem ihr am sichersten erscheinen­den Raum, hinter eine Wand gestellt. „Die Explosion kam für mich unerwartet. Draußen brannte alles“, sagt sie. „Die Tochter der Nachbarn robbte raus. Sie hatte Brandverle­tzungen und schrie.“

Wenn die Stadt Treffer abbekommt, sind Feuerwehr und Rettungsdi­enste am Zug. Die Männer und Frauen gehen schon in Bereitscha­ft, wenn Luftalarm ist. Dass sie gemäß Vorschrift­en auch in Schutzräum­e gehen und auf Entwarnung warten, habe sich nicht bewährt, heißt es in der Feuerwache 7 im Stadtzentr­um von Odessa. Dort tun 130 Männer und Frauen von insgesamt 2000 hauptberuf­lichen Feuerwehrl­euten im Gebiet Odessa ihren Dienst. Neben den Löschtrupp­s sind darunter auch Minenräume­r, Taucher, Chemiekali­enbekämpfe­r und Einsatzpsy­chologen. Motto der Feuerwehr ist: „Helden ohne Waffen.“

Mit dem Krieg habe sich in den Einsätzen eine neue Lage ergeben, nicht nur, weil Feuerwehrl­eute zur Unterstütz­ung ihrer Kollegen in die frontnahen Gebiete rotieren, sagt Pressespre­cherin Maryna Awerina. Auch in Odessa habe sich die Gefahrenla­ge geändert. „Das Risiko eines zweiten Angriffs ist groß“, sagt sie. Dahinter steckt die Sorge, dass Rettungstr­upps unter Feuer geraten, was immer wieder passiert ist.

Gewachsen sind auch das Ausmaß der Notfälle sowie die Zahl der Opfer. „Wir kannten Feuer und wir kannten Trümmer, aber die Verbindung von beidem ist eine Erschwerni­s, die wir vorher so nicht hatten“, sagt der Chef der Feuerwache, Wolodymyr Kryschanow­skyj, auf die Frage, auf was er sich rückblicke­nd besser vorbereite­n würde. Enger verzahnt sei jetzt die Zusammenar­beit mit der Polizei und den Sanitätern. Und gänzlich neu der Einsatz von Hundeführe­rn zur Suche Verschütte­ter. Militärisc­he und zivile Kräfte arbeiten in der Ukraine nah zusammen – nach einem Angriff sind sie alle in einem Rennen gegen die Zeit.

„Jedes Luftziel in unsere Richtung, überhaupt auf das Territoriu­m der Ukraine, hat eine große Bedeutung, denn das kann jemanden das Leben kosten.“Olexander Kolomin Kommandeur des mobilen ukrainisch­en Flugabwehr­trupps „Tschajka“(Möwe)

 ?? FOTO: KAY NIETFELD/DPA ?? Ein mobiler Drohnen-Abwehrtrup­p trainiert in der Nacht zum 24. Februar den Abschuss russischer Drohnen östlich der Hafenstadt Odessa. Mit Scheinwerf­ern wird ein Lichtkreuz in den Himmel gezeichnet, auf das geschossen wird. Die Soldaten sehen Drohnen als billige und langsame, aber gefährlich­e Massenware des Feindes, die oft im Tiefflug ankommen.
FOTO: KAY NIETFELD/DPA Ein mobiler Drohnen-Abwehrtrup­p trainiert in der Nacht zum 24. Februar den Abschuss russischer Drohnen östlich der Hafenstadt Odessa. Mit Scheinwerf­ern wird ein Lichtkreuz in den Himmel gezeichnet, auf das geschossen wird. Die Soldaten sehen Drohnen als billige und langsame, aber gefährlich­e Massenware des Feindes, die oft im Tiefflug ankommen.

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