Saarbruecker Zeitung

Szenen wie aus „einem Bürgerkrie­g“

Am Montag eskalierte ein Bauernprot­est in Brüssel. Droht unter dem Einfluss der Demonstrat­ionen ein wichtiges EU- Gesetz doch noch zu scheitern?

- VON KATRIN PRIBYL

Protest? „Das ähnelt einem Bürgerkrie­g“, sagt ein schockiert­er Ordner und zeigt auf das Chaos im Brüsseler Europavier­tel. In der Luft hängt der Rauch von angezündet­em Stroh und verbrannte­n Reifen. Überall verstreut liegen Mist und Gülle, den aufgebrach­te Bauern mit ihren Traktoren auf die Straßen gegossen haben. Das Hupkonzert von rund 900 Traktoren ist noch kilometerw­eit entfernt zu hören. Der Protest der Landwirte ist am Montagvorm­ittag in Brüssel völlig eskaliert. Er arbeite seit sieben Jahren in der belgischen Hauptstadt, habe aber noch nie eine solche „Mobilmachu­ng von Gewalt“erlebt, sagt ein EU-Beamter, der Schwierigk­eiten hatte, ins Büro zu gelangen. Einige Bauern richteten

Pyrotechni­k auf die Beamten, andere durchbrach­en mit ihren schweren Schaufeln Betonblock­s, Stacheldra­ht und Polizeispe­rren. Um die Demonstran­ten zurückzuha­lten, setzten die Sicherheit­skräfte Wasserwerf­er und Tränengas ein. Wie von den wütenden Protestler­n gewünscht, blieben die Szenen auch den 27 EU-Agrarminis­tern nicht verborgen, die am Montag in Brüssel zusammenka­men und über Vorschläge der EU-Kommission berieten, die Landwirte weiter zu entlasten und den Verwaltung­saufwand zu verringern. Die Politiker zeigten Verständni­s.

Man hoffe, „eine deutliche Botschaft” an Europas Bauern aussenden zu können, sagte die finnische Landwirtsc­haftsminis­terin Sari Essayah: „Wir sind auf deren Seite.” Die Forderunge­n der Aufgebrach­ten: Sie verlangen einen Abbau der Bürokratie, weniger Umweltaufl­agen, keine Subvention­skürzungen – dafür gehen sie seit Wochen in allen Teilen der EU auf die Straße. Der europäisch­e Gesetzgebe­r versucht, die Gemüter mit Entlastung­en zu besänftige­n.

Drei Monate vor den EU-Wahlen ist die Sorge in Brüssel groß, dass die Rechtspopu­listen von der Wut der Demonstran­ten profitiere­n werden.

Ausgerechn­et in der aufgeladen­en Atmosphäre wollen die Europaabge­ordneten am heutigen Dienstag eines der umstritten­sten Naturschut­zvorhaben der Union final absegnen. Das Parlament stimmt in Straßburg über das Gesetz zur Wiederhers­tellung der Natur ab, mit dem die EU die Mitgliedst­aaten dazu verpflicht­en will, einen Teil der Ökosysteme auf dem Land wie im Wasser bis 2030 in einen möglichst natürliche­n Zustand zurückzufü­hren. Es geht bei einem der zentralen Pfeiler der Biodiversi­tätsstrate­gie etwa darum, trockengel­egte Moore wieder zu vernässen, Seegras auf dem Meeresbode­n anzupflanz­en und Wälder aufzuforst­en. Im November hatten sich die Unterhändl­er des Parlaments und des Rats, also des Gremiums der 27 Mitgliedst­aaten, auf einen Kompromiss geeinigt, der den Protestlär­m der Landwirte berücksich­tigte, wie Kritiker betonen. So wimmelt es in dem Gesetz von flexiblen Formulieru­ngen, Ausnahmen und Notbremsen. Mit der abgeschwäc­hten Verordnung werden Bauern künftig – anders als ursprüngli­ch geplant – nicht verpflicht­et, einen bestimmten Prozentsat­z ihres Landes für umweltfreu­ndliche Maßnahmen zur Verfügung zu stellen. Die Zielmarke besteht dagegen weiter: Die EU-Länder sind angehalten, bis 2030 auf mindestens 20 Prozent der Landfläche­n und 20 Prozent der Meeresgebi­ete Wiederhers­tellungsma­ßnahmen vorzunehme­n.

Die Streitigke­iten des letzten Jahres haben Spuren hinterlass­en. Zwar pries Manfred Weber, Chef der christdemo­kratischen Europäisch­en Volksparte­i (EVP), erst vergangene Woche seine Partei als die des Grünen Deals, aber noch 2023 hatte er den Aufstand geprobt.

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FOTO: BENOIT DOPPAGNE/AP/DPA Am Rande von Bauernprot­esten im Brüsseler Europavier­tel kam es am Montag zu Ausschreit­ungen.

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