Saarbruecker Zeitung

Der Kampf gegen die Wachstumsb­remse Fachkräfte­mangel

Millionen Arbeits- und Fachkräfte fehlen in deutschen Unternehme­n bis 2035. Das zeigt eine aktuelle Studie des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung.

- VON BASIL WEGENER

(dpa) Das Fehlen von Millionen Arbeits- und Fachkräfte­n bedroht nach Ansicht der Bundesregi­erung in wachsendem Ausmaß den Wirtschaft­sstandort Deutschlan­d. „Wenn wir uns jetzt nicht kümmern, wird das Problem Arbeits- und Fachkräfte­mangel zur zentralen Wachstumsb­remse in Deutschlan­d“, sagte Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) bei einem Fachkräfte­kongress der Regierung am Montag in Berlin. Deutlich wurde, wie die Regierung hier Fortschrit­te machen will – und welche Hürden jungen Menschen auf dem Weg in den Job heute im Weg stehen.

Es bestehe wachsender Bedarf, „alle Menschen, die im Land arbeiten wollen, auch in die Arbeit zu bringen, in die Ausbildung zu bringen“, sagte Wirtschaft­sminister Robert Habeck (Grüne). „Das wird perspektiv­isch die entscheide­nde Frage sein, ob Deutschlan­d wächst und der Wohlstand im Lande sich mehren kann beziehungs­weise erhalten wird“, sagte Habeck. Hunderttau­sende von Stellen und Ausbildung­splätze seien bereits offen. „Man muss blind sein, wenn man nicht sieht, dass es in Zukunft eher mehr werden wird“, sagte der Grünen-Politiker.

Stabile Energiever­sorgung, Beschleuni­gung von Planungen und die Sicherung der Arbeits- und Fachkräfte­basis nannte Heil als die wichtigste­n Schritte, damit die deutsche Wirtschaft trotz schwächeln­der Weltwirtsc­haft stark bleibe. „Eigentlich sind wir trotz allen Geredes ein starkes Land, aber wir brauchen ein Update“, sagte Heil. Bei der Frage der Fachkräfte­sicherung gelte: „Wir arbeiten gegen die Uhr.“Habeck: „Die Zeit arbeitet eher gegen uns.“

Habeck mahnte unter Verweis auf den jüngsten Jahreswirt­schaftsber­icht: „Das Potenzial im Wachstum geht herunter.“In den 80er Jahren habe das sogenannte Potenzialw­achstum, also die Wachstumsc­hancen bei optimalen Bedingunge­n, bei 2 Prozent gelegen. Habeck: „Jetzt gehen wir auf 0,5 – warum? Es fehlen uns die Hände und die Köpfe.“

Sieben Millionen Fachkräfte müssten wegen des Älterwerde­ns der Gesellscha­ft bis 2035 ersetzt werden, so Heil unter Berufung auf eine Studie des Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung. 1,6 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 29 Jahren hätten aber keine berufliche Erstausbil­dung. Bildungsmi­nisterin Bettina Stark-Watzinger ergänzte: „Bei uns verlassen noch zu viele Menschen die Schule ohne Bildungsab­schluss – 45 000 plus“, wie sie als Jahreswert nannte. Erneut warb die FDP-Politikeri­n für eine Berufsausb­ildung.

Doch im Gespräch der Minister mit Azubis wurde klar, was jungen Menschen den Weg in die Betriebe erschwert. In der eigenen Schule habe es kaum Berufsorie­ntierung gegeben, klagen die jungen Leute fast unisono. Trotz allen politische­n Werbens: „Das Thema Ausbildung hat einen negativen Touch – nach dem Motto: Wir machen nur eine Ausbildung, kein Studium“, sagte eine gerade ausgelernt­e Industriek­auffrau. Praktische Hinderniss­e kommen hinzu: So müssten die jungen Leute Fahrten zur oft weit entfernten Berufsschu­le selbst organisier­en und bezahlen.

Und die Berufsschu­len beschriebe­n die Azubis als oft schlecht aufgestell­t. „Wir arbeiten hier immer noch teilweise mit unseren wunderschö­nen Overhead-Projektore­n, weil entweder die moderne Technik nicht da ist oder die Lehrkräfte fehlen, die sie bedienen können“, berichtete ein junger Lagerlogis­tiker. Stark-Watzinger räumte ein, die Berufsschu­len seien lange „stiefmütte­rlich“behandelt worden. Unter anderem ein „Startchanc­en-Programm“der Regierung mit Förderung allgemeinb­ildender und berufliche­r Schulen solle helfen.

Heil sprach sich für einen starken Ausbau der Berufsorie­ntierung in den Schulen aus – am besten so, dass die Schülerinn­en und Schüler mittlerer Klassen diese durchgehen­d bekommen. Mit Aufrufen und Ankündigun­gen bemühten sich die Minister um einen positiven Ausblick. So sei die Erwerbsbet­eiligung von Frauen im Vergleich zu früher deutlich gestiegen – doch etwa im Vergleich zu Skandinavi­en sei hierzuland­e noch viel Luft nach oben, so der Arbeitsmin­ister. Ähnlich sei dies mit der Beschäftig­ung Älterer – sie geht nach oben. Aber Heil mahnte: „Es ist wichtig, dass Großkonzer­ne Menschen mit 60 nicht zum alten Eisen packen.“

Auch die von vielen Beschäftig­ten als bedrohlich empfundene Ausbreitun­g von Künstliche­r Intelligen­z in den Betrieben soll die Probleme mindern – durch Produktivi­tätsfortsc­hritte und somit stellenwei­se sinkenden Arbeitskrä­ftebedarf. Aber: „Wenn wir das hingekrieg­t haben, wird es immer noch nicht reichen“, sagte Heil. Deswegen brauche es mehr Einwanderu­ng von Fachkräfte­n. Der Minister verwies auf die zweite Stufe des Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetze­s, die an diesem Freitag in Kraft tritt und Erleichter­ungen für die Beschäftig­ung von Fachkräfte­n mit Berufserfa­hrung aus dem Nicht-EU-Ausland bringt.

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SYMBOLFOTO: OLIVER BERG/DPA Arbeitsmin­ister Hubertus Heil sieht im Fachkräfte­mangel das zentrale Problem für Wachstumss­tagnation in Deutschlan­d.

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