Yeboah: Welche Rolle spielte Kopf der Saarlouiser Skinheads?
1991 starb Samuel Yeboah bei einem rassistischen Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis qualvoll.
Es ist bereits der zweite Prozess vor dem Oberlandesgericht Koblenz, der sich nach mehr als 30 Jahren mit dem Komplex befasst: Wegen Mordes wurde der Saarlouiser Peter S. im Oktober vergangenen Jahres nach einer umfangreichen Beweisaufnahme zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt.
Nun steht auch sein Kamerad Peter St., der ehemalige Kopf der Saarlouiser Neonaziszene, vor Gericht. Über den Mann, der ab Dienstag in Koblenz auf der Anklagebank sitzen wird, hat man schon vor Prozessbeginn viel gehört. Wenn auch nicht von ihm selbst: Bei seiner Zeugenvorladung im Mai vergangenen Jahres machte er von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch – in der Bundesrepublik muss sich niemand vor Gericht selbst belasten.
Was der Saarlouiser „Oberskin“– so bezeichneten ihn mehrere Zeugen – zum Thema zu sagen hatte, erfuhr die Öffentlichkeit stattdessen anderweitig, zum Beispiel aus der Telekommunikationsüberwachung ( TKÜ). Das Gericht spielte ein abgehörtes Telefonat vor, in dem St. in einem endlos wirkenden Monolog Unschuld und Unwissenheit versichert. Doch diese Beteuerungen galten mutmaßlich weniger der Person am anderen Ende der Leitung als der Polizei: Denn als er zu diesem Plädoyer in eigener Sache anhob, wusste er bereits, dass er abgehört wurde.
Beobachtern der extrem rechten Szene im Saarland ist der Name des Angeklagten seit Jahren ein Begriff:
Als Mitbegründer der „Kameradschaft Saarlautern“, die bis zu ihrer Selbstauflösung bundesweit gut vernetzt war und auch überregional bei Neonazi-Demonstrationen aufmarschierte. Als Betreiber des Szeneladens „Studio 88“in Neunkirchen. Auch als Security-Kraft soll er demnach zeitweise tätig gewesen sein, hauptsächlich bei rechtsextremen Konzerten, aber 2010 auch zusammen mit anderen Neonazis bei den Einlasskontrollen zum Roccodel-Schlacko-Festival.
Im ersten Prozess beschreiben Zeugen den Angeklagten als verschlagen, hochintelligent, einmal sogar als „Psychopathen“. Viele fürchten ihn bis heute, denn das Gewaltpotenzial des Mannes ist offenbar beträchtlich, wie aus den Akten hervorgeht: Ermittler bescheinigen ihm eine kriminelle Vita, mehrfach saß der heute 54-jährige Saarlouiser bereits im Gefängnis.
Obwohl also Wiederholungstäter, soll er nach einer Körperverletzung in den 1990er Jahren eine erstaunlich milde Strafe erhalten haben. Dies ließ den zuständigen Sozialarbeiter vermuten, dass der Verfassungsschutz seine schützende Hand über den Neonazi-Chef hielt. Noch in abgehörten Telefonaten aus dem Jahr 2020 droht der Mann, die Frau eines Arbeitskollegen aufzuschlitzen, äußert sich außerdem mehrfach explizit rassistisch.
St. genießt offenbar in der rechtsextremen Szene bis heute hohes Ansehen: Als die ehemaligen NeonaziSkinheads aus Saarlouis durch die Wiederaufnahme der Ermittlungen aufgeschreckt wurden, war er es, bei dem die Informationen zusammenliefen. Nach Einschätzung der Ermittler hat er bis heute eine führende und verbindende Funktion innerhalb der „erlebnisorientierten“und rechten Szene im Saarland.
Der Name des jetzigen Angeklagten ist von nahezu allen SzeneZeugen in einem Atemzug mit dem rassistischen Brandanschlag 1991 in Saarlouis genannt worden.
Welche Rolle spielte der Kopf der Saarlouiser Neonaziszene, befürwortete er den Brandanschlag aktiv? Das herauszufinden, obliegt ab Dienstag den fünf Richtern des Koblenzer Staatsschutzsenats. Die Anklage lautet auf Beihilfe zum Mord und zum versuchten Mord in 20 Fällen.
Im Fokus dieser neuen Verhandlung: Der Vorabend des rassistischen Brandanschlags. Es sind die 1990er – die sogenannten Baseballschlägerjahre. Im Bayrischen Hof sitzen drei Neonazis zusammen und saufen: der Angeklagte, der verurteilte Mörder und ein weiterer Kamerad,
Heiko Sch. Gesprächsthema an diesem Abend laut Anklage: die brutale rassistische Gewalt, mit der Neonazis auf Geflüchtetenunterkünfte in Ostdeutschland losgehen.
„Hier müsste auch mal so was brennen oder passieren“, soll laut des dritten Mannes, der sich anders als seine damaligen Freunde kurz darauf von der rechten Szene lossagte, Rädelsführer St. gesagt haben. Der bestreitet das. Auch sein Kumpel Peter S., der nach langem Leugnen überraschend einräumte, doch bei dem Mord dabei gewesen zu sein, will diesen Satz nicht gehört haben. Er beschuldigte den Szeneaussteiger Heiko Sch. der Haupttäterschaft.
Wenig später brennt das nahe gelegene Flüchtlingswohnheim. Samuel Yeboah stirbt, zahlreiche weitere Bewohner, die teils nur dank Sprüngen aus dem Fenster überlebten, sind bis heute traumatisiert.