Eine wunderbar kuriose Abenteuer-Reise
Wer bei diesen Konzerten dabei sein will, sollte auch ein bisschen abenteuerlustig sein. Die Instrumentum-Reihe mit Marius Buck und seinen Mitstreitern ist immer eine humorvolle poetische Wahrnehmungsschule. Diesmal geriet das Ganze sogar zur Überraschung
SAARBRÜCKEN/OMMERSHEIM Was haben sich die Jungs wohl diesmal ausgedacht? Kein Ort im Saarland ist vor ihnen sicher. Stets orientieren sich ihre szenischen Musikstücke am jeweiligen Raum; immer prallen dabei experimentelle Musik, installative Klangkunst und audiovisuelle Performance aufeinander. Und meist müssen auch irgendwelche vor Ort gefundenen Gegenstände als überraschungsträchtige Klangerzeuger herhalten:
„Instrumentum“nennt sich das Projekt, das man getrost als humorvolle poetische Wahrnehmungsschule bezeichnen darf. Für Teil IV der losen Reihe hatte das Ensemble um den Schlagwerker und Klangtüftler Marius Buck und den Lichtkünstler Krischan Kriesten nun an drei Tagen in Folge an die Bushaltestelle Paul-Marien-Straße geladen. Bitte pünktlich sein, hieß es in der Einladung.
Tatsächlich besteigen wir an diesem Abend verblüfft einen Linienbus; Buck hat vorsorglich schon Tickets fürs Publikum gelöst. Es geht Richtung Ensheim. Eine Zeit lang passiert
gar nichts, aber als der Bus wieder mal hält, steht plötzlich Stefan Scheib an der verregneten Haltestelle und zupft ein wildes Solo auf dem Kontrabass.
Beim Stopp auf dem Flughafen werden wir sogar beidseitig beschallt: Von der einen Seite bläst Saxophonist Hartmut Oßwald, von der anderen hält Michael Hupperts mit der Posaune dagegen. Bei der Wiederanfahrt ahmen die beiden zum Abschied das Motorengeräusch nach. Wir applaudieren lachend; die „normalen“Passagiere wundern sich zwar, scheinen sich aber ebenfalls über die unerwartete Beschallung zu freuen.
Irgendwo in Heckendalheim steigt Julien Blondel zu, klemmt sein Cello zwischen die Knie und gibt mit stoischer Miene Klassik zum Besten. Jetzt wird einigen „Uneingeweihten“die Sache suspekt; die einen amüsieren sich; die anderen geben sich Mühe, alles zu ignorieren. Mitten auf einer einsamen Landstraße in Ommersheim spuckt uns der Bus in die schwarze Nacht, der Fahrer bedankt sich bei Buck überschwänglich für die willkommene Abwechslung.
Orientierungslos stolpern wir über einen mit Pfützen gesprenkelten, holperigen Feldweg. Das Ganze ähnelt
einer Entführung, aber getrieben von Neugier haben wir vermutlich längst alle ein Stockholmsyndrom entwickelt. Lediglich eine Teilnehmerin wird später berichten, dass ihr das Gefühl des Kontrollverlusts zu schaffen machte.
Endlich ein Haus. Schuhe aus oder Überzieher an, begrüßt uns Hupperts freundlich. Drinnen großes Oh und Ah: Im Dämmerlicht lockt ein großzügiger Wohnraum mit offener Küche und hoher Galerie. Wir sind spontan schockverliebt in das alte Gemäuer, das, so erfahren wir nachher, von einem Architekten liebevoll restauriert
wurde. Die Tochter, Besuchern des Wochenmarktes bestens bekannt für ihre Bio-Tomaten, hat das Gebäude zur Verfügung gestellt.
Mit einem Rums fällt die Tür ins Schloss. Im Halbdunkel werden wir zu intimen Ohrenzeugen, wie imaginäre Bewohner das ganze Haus beleben und eine Sinfonie aus Alltagsgeräuschen komponieren. Von oben tönen das Schütteln eines Würfelbechers und das Geklapper einer PC-Tastatur, unten röhrt irgendein Apparat. Jetzt zündet Buck Kamin und Gasherd an. Das Knistern des Holzes, das Sieden des Wassers, das Pfeifen des Teekessels – jeder Laut ist genau kalkuliert. Auch das Klirren von Gläsern und Karaffen und das Plätschern, als Blondel und Scheib in der Küche eine ganz besondere Wassermusik zelebrieren. Danach schaltet Buck Rührgerät und Entsafter ein, die zudem ein mobiles Eigenleben entwickeln und auf der Arbeitsplatte umherwandern – ein ulkiger Geräte-Slapstick.
Parallel werden wir in Grüppchen nacheinander im Obergeschoss durch
verschiedene kalte Schlafzimmer gelotst. In dem einen tanzen Holzstäbe wie von Zauberhand senkrecht über den Boden, nebenan rumpelt und pumpelt es überm Betthimmel – ein Spukhaus voller Poltergeister. Durch ein Fenster sieht man draußen eine unheimliche, von Strudeln bewegte Wasserfläche, und im nächsten Zimmer hockt Hartmut Oßwald wie ein Mensch, den die Zeit dort vergessen hat. Erst unsere Anwesenheit löst seine Starre und lässt ihn auf dem Altsax improvisieren.
Unten raspelt Hupperts – auch das eine akustische Offenbarung – noch eine Möhre, und schließlich bringen uns alle gemeinsam ein Ständchen aus Instrumentalmusik und Klängen. Als das Licht wieder angeht, blickt man in lauter strahlende Gesichter. Zum geselligen Ausklang sind wir zu einer Gemüsesuppe und einem Bierchen eingeladen, und danach geht's zurück zum Bus. Wir fühlen uns beglückt und bereichert. Welch ein wunderbares, herrlich kurioses Abenteuer!