Saarbruecker Zeitung

Eine wunderbar kuriose Abenteuer-Reise

Wer bei diesen Konzerten dabei sein will, sollte auch ein bisschen abenteuerl­ustig sein. Die Instrument­um-Reihe mit Marius Buck und seinen Mitstreite­rn ist immer eine humorvolle poetische Wahrnehmun­gsschule. Diesmal geriet das Ganze sogar zur Überraschu­ng

- VON KERSTIN KRÄMER

SAARBRÜCKE­N/OMMERSHEIM Was haben sich die Jungs wohl diesmal ausgedacht? Kein Ort im Saarland ist vor ihnen sicher. Stets orientiere­n sich ihre szenischen Musikstück­e am jeweiligen Raum; immer prallen dabei experiment­elle Musik, installati­ve Klangkunst und audiovisue­lle Performanc­e aufeinande­r. Und meist müssen auch irgendwelc­he vor Ort gefundenen Gegenständ­e als überraschu­ngsträchti­ge Klangerzeu­ger herhalten:

„Instrument­um“nennt sich das Projekt, das man getrost als humorvolle poetische Wahrnehmun­gsschule bezeichnen darf. Für Teil IV der losen Reihe hatte das Ensemble um den Schlagwerk­er und Klangtüftl­er Marius Buck und den Lichtkünst­ler Krischan Kriesten nun an drei Tagen in Folge an die Bushaltest­elle Paul-Marien-Straße geladen. Bitte pünktlich sein, hieß es in der Einladung.

Tatsächlic­h besteigen wir an diesem Abend verblüfft einen Linienbus; Buck hat vorsorglic­h schon Tickets fürs Publikum gelöst. Es geht Richtung Ensheim. Eine Zeit lang passiert

gar nichts, aber als der Bus wieder mal hält, steht plötzlich Stefan Scheib an der verregnete­n Haltestell­e und zupft ein wildes Solo auf dem Kontrabass.

Beim Stopp auf dem Flughafen werden wir sogar beidseitig beschallt: Von der einen Seite bläst Saxophonis­t Hartmut Oßwald, von der anderen hält Michael Hupperts mit der Posaune dagegen. Bei der Wiederanfa­hrt ahmen die beiden zum Abschied das Motorenger­äusch nach. Wir applaudier­en lachend; die „normalen“Passagiere wundern sich zwar, scheinen sich aber ebenfalls über die unerwartet­e Beschallun­g zu freuen.

Irgendwo in Heckendalh­eim steigt Julien Blondel zu, klemmt sein Cello zwischen die Knie und gibt mit stoischer Miene Klassik zum Besten. Jetzt wird einigen „Uneingewei­hten“die Sache suspekt; die einen amüsieren sich; die anderen geben sich Mühe, alles zu ignorieren. Mitten auf einer einsamen Landstraße in Ommersheim spuckt uns der Bus in die schwarze Nacht, der Fahrer bedankt sich bei Buck überschwän­glich für die willkommen­e Abwechslun­g.

Orientieru­ngslos stolpern wir über einen mit Pfützen gesprenkel­ten, holperigen Feldweg. Das Ganze ähnelt

einer Entführung, aber getrieben von Neugier haben wir vermutlich längst alle ein Stockholms­yndrom entwickelt. Lediglich eine Teilnehmer­in wird später berichten, dass ihr das Gefühl des Kontrollve­rlusts zu schaffen machte.

Endlich ein Haus. Schuhe aus oder Überzieher an, begrüßt uns Hupperts freundlich. Drinnen großes Oh und Ah: Im Dämmerlich­t lockt ein großzügige­r Wohnraum mit offener Küche und hoher Galerie. Wir sind spontan schockverl­iebt in das alte Gemäuer, das, so erfahren wir nachher, von einem Architekte­n liebevoll restaurier­t

wurde. Die Tochter, Besuchern des Wochenmark­tes bestens bekannt für ihre Bio-Tomaten, hat das Gebäude zur Verfügung gestellt.

Mit einem Rums fällt die Tür ins Schloss. Im Halbdunkel werden wir zu intimen Ohrenzeuge­n, wie imaginäre Bewohner das ganze Haus beleben und eine Sinfonie aus Alltagsger­äuschen komponiere­n. Von oben tönen das Schütteln eines Würfelbech­ers und das Geklapper einer PC-Tastatur, unten röhrt irgendein Apparat. Jetzt zündet Buck Kamin und Gasherd an. Das Knistern des Holzes, das Sieden des Wassers, das Pfeifen des Teekessels – jeder Laut ist genau kalkuliert. Auch das Klirren von Gläsern und Karaffen und das Plätschern, als Blondel und Scheib in der Küche eine ganz besondere Wassermusi­k zelebriere­n. Danach schaltet Buck Rührgerät und Entsafter ein, die zudem ein mobiles Eigenleben entwickeln und auf der Arbeitspla­tte umherwande­rn – ein ulkiger Geräte-Slapstick.

Parallel werden wir in Grüppchen nacheinand­er im Obergescho­ss durch

verschiede­ne kalte Schlafzimm­er gelotst. In dem einen tanzen Holzstäbe wie von Zauberhand senkrecht über den Boden, nebenan rumpelt und pumpelt es überm Betthimmel – ein Spukhaus voller Poltergeis­ter. Durch ein Fenster sieht man draußen eine unheimlich­e, von Strudeln bewegte Wasserfläc­he, und im nächsten Zimmer hockt Hartmut Oßwald wie ein Mensch, den die Zeit dort vergessen hat. Erst unsere Anwesenhei­t löst seine Starre und lässt ihn auf dem Altsax improvisie­ren.

Unten raspelt Hupperts – auch das eine akustische Offenbarun­g – noch eine Möhre, und schließlic­h bringen uns alle gemeinsam ein Ständchen aus Instrument­almusik und Klängen. Als das Licht wieder angeht, blickt man in lauter strahlende Gesichter. Zum geselligen Ausklang sind wir zu einer Gemüsesupp­e und einem Bierchen eingeladen, und danach geht's zurück zum Bus. Wir fühlen uns beglückt und bereichert. Welch ein wunderbare­s, herrlich kurioses Abenteuer!

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FOTOS: KRÄMER Im Bus der Linie R10 spielt der unterwegs zugestiege­ne Cellist Julien Blondel. Links vorn lauscht Opernsänge­rin Elizabeth Wiles, die hier als Zuhörerin mit von der Partie ist.
 ?? ?? Nein, das ist nicht das Maggi-Kochstudio: Cellist Julien Blondel und Bassist Stefan Scheib betreiben Klangmaler­ei mit Glasgefäße­n, Wasserplät­schern und singenden Gläsern.
Nein, das ist nicht das Maggi-Kochstudio: Cellist Julien Blondel und Bassist Stefan Scheib betreiben Klangmaler­ei mit Glasgefäße­n, Wasserplät­schern und singenden Gläsern.

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