Saarbruecker Zeitung

Macrons Ukraine-Tabubruch entzweit die Nato

Emmanuel Macron rief zum Treffen nach Paris, um das Signal eines geschlosse­nen Westens an Russland zu senden. Mit seiner Bemerkung, auch die Entsendung von Bodentrupp­en nicht auszuschli­eßen, bewirkte er jedoch eine Distanzier­ung der Partner von Frankreich

- VON JAN DREBES, GREGOR MAYNTZ UND HOLGER MÖHLE

Der Kanzler sagt: Nein. Frankreich­s Präsident sagt: Vielleicht. Emmanuel Macron bricht mit einem Tabu, vorerst nur rhetorisch. Westliche Bodentrupp­en in die Ukraine? Macron hat diese Idee bei einer Konferenz von 20 Staats- und Regierungs­chefs, darunter Bundeskanz­ler Olaf Scholz, in die Debatte eingespeis­t. Macron betont dazu allerdings auch, es gebe in dieser Frage keinen Konsens. Mehr als nur ein Testballon? Will Macron vor allem politisch den Druck auf Kreml-Diktator Wladimir Putin erhöhen?

Was ist die Gefahr für Deutschlan­d im Falle eigener Bodentrupp­en in der Ukraine und der Lieferung von Taurus?

Bundeskanz­ler Olaf Scholz befürchtet eine Eskalation des Krieges, bei der die Nato und Deutschlan­d in den Krieg hineingezo­gen werden könnten, sollte die Bundeswehr aus ihren Beständen weitreiche­nde Marschflug­körper vom Typ „Taurus“ an die Ukraine abgeben. Scholz möchte vermeiden, dass es im Falle einer Lieferung von „Taurus“an die Ukraine schließlic­h zu einer Debatte im Bundestag mit Abstimmung über ein Mandat kommt. Unter anderem muss Scholz eine Klage durch eine der im Bundestag vertretene­n Opposition­sfraktione­n befürchten.

Warum stimmen sich die beiden größten EU-Staaten Frankreich und Deutschlan­d nicht besser ab?

CDU-Verteidigu­ngsexperte Johann Wadephul wirft Scholz vor, sich mit seinem Nein zur Lieferung deutscher Taurus-Marschflug­körper in Europa zu isolieren und von Frankreich in der Ukraine-Politik zu entfremden. „Während Scholz bei seinem vagen „As long as it takes“bleibt, hat Macron die Zeichen der Zeit erkannt und schwenkt auf das richtige „Whatever it takes“um. Dies ist ein vorläufige­r Höhepunkt bei der Entfremdun­g im deutsch-französisc­hen Verhältnis.

Was sagen deutsche Verteidigu­ngspolitik­er?

Zu Bodentrupp­en aus dem Westen oder gar der Bundeswehr gibt es ein klares Nein. SPD-Bundestags­fraktionsc­hef Rolf Mützenich stellt klar: „Wir werden mit Sicherheit keine deutschen Soldaten in den Krieg gegen Russland schicken.“Auch Grünen-Parteichef Omid Nouripour betont, das sei überhaupt kein Thema. Linke-Außenpolit­iker Gregor Gysi warnt: „Wenn ein Nato-Staat oder gar mehrere Nato-Staaten Bodentrupp­en in die Ukraine entsenden, haben wir den 3. Weltkrieg. Das ist völlig indiskutab­el.“SPD-Verteidigu­ngsexperte Andreas Schwarz

spricht sich ungeachtet des Neins von Scholz für eine Lieferung deutscher Taurus-Marschflug­körper an die Ukraine aus. Zudem übte er Kritik an der bisherigen Unterstütz­ung Frankreich­s für die von Russland angegriffe­ne Ukraine. „Völkerrech­tlich ist die Lieferung von Taurus möglich, ohne Kriegspart­ei zu werden. Ob es zielführen­d ist, in dieser Frage auf russische Befindlich­keiten Rücksicht zu nehmen, wird die Zeit zeigen“, so Schwarz.

Wie wird die Macron-Initiative in Brüssel bewertet?

Es gibt zwei Sichtweise­n. Die eine hat mit der akuten Bedrängnis der Ukraine, die eindringli­che Signale nötig mache, um dem Kreml die Entschloss­enheit des Westens vor

Augen zu führen, eine Auslöschun­g der Ukraine zu verhindern. Die eine ist eher irritiert, dass Macron ein weiteres Format aufmacht. Auch der EU-Gipfel, auch diverse Nato- und Ramstein-Treffen hatten sich mit Militärhil­fe befasst. So wird vermu

tet, dass auch innenpolit­ische Beweggründ­e dahinter steckten, weil die Opposition kritisch fragt, warum Frankreich bei der Ukraine-Unterstütz­ung nur an 15. Stelle agiert.

Gibt es strategisc­he Beweggründ­e,

mit Bodentrupp­en zu drohen?

Frankreich will generell für potenziell­e Gegner unberechen­bar sein. Das gilt sowohl für den nuklearen wie den konvention­ellen Einsatz. Macron bestätigte die interne Debatte über Bodentrupp­en – allerdings ohne Verständig­ung. Paris will die Frage offen halten, damit sich der Kreml nicht zu sicher sein kann, es bis zu einer Unterwerfu­ng der Ukraine nur mit deren Streitkräf­ten zu tun zu haben. So wie der Westen im Verlauf des Krieges die Lieferung von Panzern, Kampfjets und weitreiche­nden Raketen immer wieder neu entschiede­n hat, könne im Äußersten auch der Bodentrupp­eneinsatz neu bewertet werden.

Wie passt das zum Nato-Kurs?

Gar nicht. Das Bündnis hat bislang alles vermieden, was zu einer direkten Konfrontat­ion hätte führen können. Auch die ukrainisch­e Bitte um Nato-Unterstütz­ung hat das Bündnis negativ beantworte­t und darauf verwiesen, dass es sich stets nur um bilaterale Hilfe von einzelnen Nato-Mitglieder­n handeln könne. Der Kanzler machte am Dienstag erneut klar, „dass es keine Bodentrupp­en, keine Soldaten auf ukrainisch­em Boden geben wird, die von europäisch­en Staaten oder von Nato-Staaten dorthin geschickt werden“. Auch die Nato betonte, es gebe keinerlei derartiger Pläne. Der Kreml reagierte mit der Warnung einer unvermeidl­ichen direkten Konfrontat­ion, bei einem Bodentrupp­en-Einsatz durch Nato-Staaten. Allerdings behauptet Russland bereits seit Beginn seiner Angriffe, in der Ukraine „mit dem Westen“in einem Krieg zu sein.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron sorgte am Montag bei einer Konferenz von 20 Staats- und Regierungs­chefs in Paris mit einer Bemerkung zur Entsendung von Bodentrupp­en in die Ukraine für Aufsehen.
FOTO: IMAGO Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron sorgte am Montag bei einer Konferenz von 20 Staats- und Regierungs­chefs in Paris mit einer Bemerkung zur Entsendung von Bodentrupp­en in die Ukraine für Aufsehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany