Saarbruecker Zeitung

IT-Konzerne werden bei KI ein Wachstumsh­emmnis

Künstliche Intelligen­z ist in der Wirtschaft noch nicht so recht angekommen. Der Grund liegt ausgerechn­et im Erfolg und der Marktmacht großer IT-Konzerne.

- VON MARTIN KESSLER

Darin sind sich die meisten Experten einig: Künstliche Intelligen­z (KI) wird wie keine Technik zuvor die Welt verändern. Computerpr­ogramme wie ChatGPT, Dall-E und Lamda können Texte schreiben, Präsentati­onen erarbeiten, Designstud­ien erstellen, Musik komponiere­n oder Software entwickeln. Nie schafften es Maschinen besser, die geistigen Fähigkeite­n des Menschen zu imitieren. Entspreche­nd drastisch sind die Folgen für die Wirtschaft.

Eine aktuelle Studie der US-Investment­bank Goldman Sachs schätzt, dass rund ein Fünftel aller Jobs in den entwickelt­en Volkswirts­chaften künftig wegfallen könnten. KI hat das Potenzial, zwei von drei Arbeitsplä­tzen zu ersetzen. Das Welt-Bruttoinla­ndsprodukt könnte um sieben Prozentpun­kte jährlich wachsen – statt der bisherigen drei bis vier Prozent. Sind die derzeit möglichen KI-Systeme weltweit integriert, ist ein Schub von 16 Prozent beim Weltsozial­produkt möglich, schätzen die Experten des Internatio­nalen Währungsfo­nds.

Das alles klingt nach einer dritten industriel­len Revolution. Doch angekommen ist in der Wirtschaft noch wenig. In allen Industriel­ändern schwächt sich das Produktivi­tätswachst­um seit Jahrzehnte­n ab. Wuchs der „Output“je Beschäftig­tenstunde in den 1950er- und 60er-Jahren in den USA noch um gut 2,6 Prozent pro Jahr, sind es seit 2006 nur 0,9 Prozent. In Westeuropa ist der Rückgang noch drastische­r. Hier stieg die Arbeitspro­duktivität nach dem Krieg jährlich um fast fünf Prozent, während der Zuwachs heute bei einem halben Prozent liegt.

Der Sachverstä­ndigenrat Wirtschaft schätzt das Wachstum des Produktion­spotenzial­s in Deutschlan­d bis 2070 gerade einmal auf 0,7 Prozent jährlich. Die Rate des technische­n Fortschrit­ts beträgt nur 0,3 Prozent.

Schon spricht das britische Wirtschaft­smagazin Economist davon, dass KI ein „Rohrkrepie­rer“sei. Auch deutsche Spezialist­en warnen vor übertriebe­nen Hoffnungen. „Nach einer stürmische­n Entwicklun­g der KI in den vergangene­n zehn Jahren hat in der Industrie eher eine Pause eingesetzt“, meint Christian Rammer, Vizechef des ZEW-Forschungs­bereichs Innovation­sökonomik und Unternehme­nsdynamik in Mannheim. Die Zahl der Unternehme­n, die KI einsetzen, so Rammer, gehe kaum über elf, zwölf Prozent hinaus.

Gleichwohl verändert KI die Produktion­sprozesse und die Produktent­wicklung wie nur wenige Technologi­en vor ihr. ZEW-Forscher Rammer verweist auf das autonome Fahren in der Autoindust­rie, das ohne KI unmöglich wäre. Auch bei Finanzdien­stleistung­en und im Maschinenb­au sind KI-Systeme nicht mehr wegzudenke­n.

Ein wesentlich­es Hemmnis kommt hinzu: Die Großen der Branche wie Microsoft, Google und Apple verdienen ihr Geld mit Plattforme­n. Ein solches System ist umso wertvoller, desto mehr Menschen daran teilnehmen – das nennt man Netzwerkef­fekt. Dieser begünstigt die Herausbild­ung großer Konzerne mit starker Marktmacht. Der niederländ­ische Ökonom Maarten de Ridder hat gerade in einem Artikel für die „American Economic Review“die Marktmacht der IT-Riesen als Hemmnis für eine schnellere Entwicklun­g ausgemacht. Wenn sich technisch schlechter­e Lösungen dank der Umsetzungs­geschwindi­gkeit und der Marktmacht der Großen durchsetze­n, bleibt bei denen viel Geld hängen. Innovative Nachahmer und Start-ups aber kommen kaum zum Zuge und können die Technologi­e nicht schnell genug verbreiten. Diese Beobachtun­g hat auch der ZEW-Ökonom Rammer gemacht. Es sei ein Ergebnis der Netzwerkök­onomie. Da könne niemand aussteigen, ohne seine Existenz zu riskieren, selbst wenn er ein besseres Produkt habe.

Der niederländ­ische Ökonom de Ridder empfiehlt daher, den Zugang zu diesen Technologi­en offenzuhal­ten. Insbesonde­re Regulierun­gsbehörden sollten den Eintritt von Marktneuli­ngen erzwingen können.

DasAWirtsc­haftsmagaz­in EconomistA­bezeichnet­AKI alsA„Rohrkrepie­rer“.

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