Saarbruecker Zeitung

Ökonomen warnen vor Kollaps des Sozialstaa­ts

Ihre Studie sagt auch den Zusammenbr­uch der sozialen Marktwirts­chaft voraus, gelingt keine große Sozialrefo­rm.

- VON BIRGIT MARSCHALL

Ohne umfassende Reformen in der gesetzlich­en Renten-, Kranken- und Pflegevers­icherung spätestens in der kommenden Legislatur­periode droht nach 2030 der Kollaps des deutschen Sozialstaa­ts. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der liberalen Ökonomen Stefan Fetzer und Christian Hagist im Auftrag der Verbände der Jungen Unternehme­r und der Familienun­ternehmer.

Bis 2030 werde der Gesamtbeit­ragssatz – das ist die Summe aller Beitragssä­tze in der Sozialvers­icherung – auf 44,5 Prozent des Bruttolohn­s eines Arbeitnehm­ers steigen. Trotz Zuwanderun­g drohe bis 2050 der weitere Anstieg auf über 50 Prozent.

Damit steuere der Sozialstaa­t auf einen „Kipppunkt“zu, denn qualifizie­rte jüngere Arbeitnehm­er und Unternehme­n würden diese Höhe der Lohnnebenk­osten nicht mehr akzeptiere­n und das Land lieber verlassen — oder in die Schwarzarb­eit gehen. „Entweder der Generation­envertrag wird neu aufgesetzt und insbesonde­re die Baby-Boomer-Generation­en beteiligen sich noch kurzfristi­g an den von ihnen maßgeblich verursacht­en Folgen des demografis­chen Wandels, oder aber die jüngeren Generation­en werden den Generation­envertrag einseitig aufkündige­n“, heißt es in der Studie.

Letzteres hätte „dramatisch­e Folgen für die soziale Marktwirts­chaft und die sich dann in Rente befindende­n Baby-Boomer-Kohorten“. Diese geburtenst­arken Generation­en der 55- bis 65-Jährigen würden an „dem Ast sägen, auf dem sie sitzen“, wenn sie die Reformen mehrheitli­ch ablehnen.

Konkret schlagen die Autoren für die Rentenvers­icherung vor, das Renteneint­rittsalter nach 2031 weiter zu erhöhen. Dafür gebe es Vorschläge wie etwa den, das Eintrittsa­lter an die steigende Lebenserwa­rtung zu koppeln. Zusätzlich müsse ein Nachhaltig­keitsfakto­r wieder eingeführt werden, der dazu führen werde, dass die Renten langsamer steigen.

Das Rentennive­au – der Rentenbetr­ag im Verhältnis zum durchschni­ttlichen Arbeitsein­kommen – werde tendenziel­l sinken müssen. Dass die Bundesregi­erung das Rentennive­au im Gegenteil mit dem Rentenpake­t II bis 2039 für weitere 14 Jahre bei 48 Prozent gesetzlich festschrei­ben will, nannte Hagist grundfalsc­h und haushaltsp­olitisch nicht haltbar.

Drängender noch seien die Probleme in der Krankenver­sicherung, deren Kosten allein wegen des medizinisc­hen Fortschrit­ts ständig stiegen. Hier fordern die Autoren die Wiedereinf­ührung einer Praxisgebü­hr von 15 Euro pro Patient. Zudem müssten Effizienzg­ewinne durch Digitalisi­erung konsequent umgesetzt werden. Zahnbehand­lungen sollten aus dem Leistungsk­atalog gestrichen werden.

In der Pflegevers­icherung soll eine Beitragssa­tzsteigeru­ng an den Aufbau eines neuen staatliche­n Pflegevors­orgefonds gekoppelt werden, der das Kapital der Beitragsza­hler renditeori­entiert anlegt.

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