Ex-Pflegekind erhebt schwere Vorwürfe
Am dritten Verhandlungstag im Prozess um schweren Missbrauch von Pflegekindern haben am Dienstag zwei der mutmaßlichen Opfer ausgesagt und die angeklagten Pflegeeltern massiv belastet.
13 Personen in langen schwarzen Roben beugen sich am Dienstag über den Richtertisch im Saal eins des Landgerichts Saarbrücken. Vor sich eine dicke Mappe mit Bildern von Katzen und Hunden. Etwas verloren zwischen den Vertretern von Staatsanwaltschaft, Nebenklage, Verteidigung und Gericht steht Marina (Name geändert). Immer wieder fragt sie der Vorsitzende Richter: „Erkennen Sie diese Katze? Erinnern Sie sich an den Namen? Wie heißt dieser
Hund?“Marina nickt. Mit leiser, zittriger Stimme sagt sie: „Ja, das ist Leon.“Oder: „Die Katze heißt Marie.“
Zweck der Tier-Bilderschau am Richtertisch ist es, herauszufinden, wie glaubwürdig Marina ist. Widersprechen sich ihre Aussagen zur Anzahl der Tiere, mit denen Marina zusammen mit vier weiteren Pflegekindern und zwei leiblichen
Kindern im Haus der Familie D. in Mettlach-Tünsdorf gelebt hat? Waren es 36 Katzen und acht Hunde, wie das mutmaßliche Missbrauchsopfer aussagt? Oder doch wesentlich weniger, wie die Verteidigung angibt? Im Zentrum die Frage: Lebte Marina in einem Haus, in dem sie und die anderen Pflegekinder nach eigenen Aussagen schlimmste Qualen erlebt haben sollen?
Es ist der dritte Verhandlungstag im Prozess um den mutmaßlichen Missbrauch von fünf Pflegekindern. Sie werfen ihren ehemaligen Pflegeeltern – dem Ehepaar D. aus Schmelz – vor, sie über Jahre körperlich und im Fall von Marina auch sexuell missbraucht zu haben. Das Paar auf der Anklagebank, Sabine und Patrick D., bestreitet die Taten. Der Anwalt der Frau spricht von einem Komplott gegen die Pflegeeltern.
Marina berichtet von einem fürchterlichen Bestrafungssystem, das in dem alten Bauernhaus im 850-Seelen-Ort im Norden des Saarlandes geherrscht haben soll. Fast wie Sklaven sollen die fünf Pflegekinder nach eigener Aussage für sämtliche Hausarbeiten und die Versorgung vieler Tiere haben schuften müssen. Wurden die Aufgaben nicht zur Zufriedenheit von Pflegemutter Sabine D. erledigt, sollen die Kinder geschlagen worden sein. Und Schlimmeres: Waren die Katzenklos nicht blitzblank, musste Marina Katzenkot in den Mund nehmen oder daran lecken, sagt sie. Zudem sei sie „gemästet“worden. Übergab sie sich, musste sie zeitweise ihr Erbrochenes essen, sagt die Zeugin. Auch von sexuellen Übergriffen durch den Pflegevater berichtet die heute 31-Jährige.
15 Stunden lang befragt sie das Gericht insgesamt. Marina wirkt da
bei oft überfordert und sehr mitgenommen. Oft bricht ihre Stimme, sie weint. In einem Prozess, in dem Aussage gegen Aussage steht, prüft vor allem der Anwalt der Pflegemutter immer wieder die Glaubwürdigkeit des mutmaßlichen Opfers. Oft versteht die Zeugin Fragen nicht. Noch häufiger antwortet sie: „Ich kann mich nicht erinnern.“Nach Angaben der Verteidigung ist die Zeugin intelligenzgemindert. Sie leide zudem vermutlich an einer Borderline-Störung. „Viele der beschriebenen Taten können so gar nicht geschehen sein“, sagt Verteidiger Jens Schmidt. Die Zeugin würde vorherige Aussagen erweitern und lügen. „Dass sie sich nicht erinnert, ist für mich ein Zeichen dafür, dass ihre Geschichten
nicht stimmen“, so der Rechtsanwalt.
Nach Marina sagt ihr Zwillingsbruder Dennis (Name geändert) aus. Der heute 31-Jährige berichtet ebenfalls von schlimmem körperlichen Missbrauch durch die angeklagten Ex-Pflegeeltern und bestätigt die Aussagen seiner Schwester. Unter den Pflegekindern nahm Dennis eine besondere Stellung ein. Er wurde nach eigenen Angaben von den Pflegeeltern mit der Kontrolle und zum Teil auch der Bestrafung der anderen Kinder beauftragt. „Ich dachte mir: Befolgst du die Regeln, hast du keine Probleme“, sagte er im Gerichtssaal. So musste Dennis nach eigener Aussage seine Geschwister festhalten, wenn diese von der Pflegemutter mit eiskaltem Wasser ab
geduscht wurden. „Ich musste auch meine Schwester mit ihrer Kotze füttern, wenn sie sich übergeben musste. Frau D. wollte das so. Es war nicht einfach, ihren Mund aufzubekommen. Dann hat Sabine D. mir es gezeigt und hat mir mit den Fingern am Kiefer den Mund geöffnet und mir Marinas Kotze in den Mund gemacht“, sagt Dennis aus.
Die Verteidigung der Pflegeeltern gibt nichts auf die Aussagen des Nebenklägers „Der Zeuge erweitert seine Aussagen massiv. Es kommt immer drauf, drauf, drauf!“, so Rechtsanwalt Schmidt. Zudem passe der Zeuge seine Aussagen im Prozess denen seiner Schwester an, um diese zu bestätigen. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt.
„Der Zeuge erweitert seine Aussagen massiv. Es kommt immer drauf, drauf, drauf!“Jens Schmidt Einer der Verteidiger im Prozess