Was geschah 1991 im Bayrischen Hof?
Drei Neonazis betrinken sich 1991 in einer Saarlouiser Kneipe. Danach brennt ein nahegelegenes Asylbewerberheim, ein 27-Jähriger stirbt. Wer hat das tödliche Feuer gelegt, wer angestiftet? Das soll jetzt ein zweiter Prozess vor dem Oberlandesgericht Koble
„Ziel unserer Arbeit ist es grundsätzlich, dass Verfahren geräuschlos und ohne öffentliche Wahrnehmung durchgeführt werden“– so steht es auf der Webseite von Rechtsanwalt Wolfgang Stahl. Das zumindest hat im vorliegenden Fall nicht geklappt: Zum Prozessauftakt gegen seinen Mandanten vor dem Oberlandesgericht Koblenz sind nicht nur zahlreiche Vertreter der lokalen und überregionalen Presse erschienen, um über den mittlerweile zweiten Prozess im Mordfall Samuel Yeboah zu berichten. Ebenfalls anwesend: unabhängige Prozessbeobachter sowie eine Delegation Landtagsabgeordneter.
Der ghanaische Asylbewerber Samuel Yeboah starb 1991 in Saarlouis an den Folgen eines rassistischen Brandanschlags. Stahl vertritt den 54-jährigen Saarlouiser Peter St., dem der Generalbundesanwalt in seiner Anklage nicht die Tat selbst vorwirft, sondern Beihilfe zum Mord und versuchtem Mord in 20 Fällen – als Brandstifter wurde bereits vor rund einem halben Jahr ein anderer Neonazi vom Oberlandesgericht verurteilt.
Als Größe der regionalen Skin
headszene soll er seinen Kameraden und verurteilten Haupttäter, Peter S., zur Tat angestachelt haben. Zu dritt hätten sie in dieser Nacht vom 18. auf den 19. September 1991 zusammengesessen, das ist so weit unstrittig: neben dem jetzt angeklagte Peter St. (54) und dem bereits verurteilten Peter S. (52) auch Heiko Sch. (52), der sich kurz nach der Tat von der rechten Szene losgesagt hat.
Es floss reichlich Alkohol. Und irgendwann kamen die Drei, als sie da so im Bayrischen Hof in der Altstadt saßen, auf die in der Zeit stattfindenden, rassistischen Übergriffe in Ostdeutschland zu sprechen. Es war der Beginn der sogenannten Baseballschlägerjahre – zwei Wochen zuvor tobten in Leipzig, dann in Hoyerswerda rassistische Mobs vor von Migranten bewohnten Unterkünften. Darüber, was danach im Bayrischen Hof gesagt und getan wurde, gibt es widersprüchliche Angaben.
In der Anklage heißt es: Peter St., der damals eine führende Rolle in der lokalen Skinhead-Szene innehatte, machte deutlich, dass er die Begehung solcher Anschläge auch in Saarlouis gutheiße und äußerte im Beisein des ihm untergebenen Peter S. insbesondere folgende
Worte: „Hier müsste auch mal sowas brennen oder passieren.“Diese Äußerung soll Peter S. dann, so die Anklage weiter, wenige Stunden später dazu veranlasst haben, das Asylbewerberheim in Brand zu setzen.
Peter St. lauscht diesen Worten von der Anklagebank. Er sitzt bereits seit Juni 2023 in Untersuchungshaft. Ganz in schwarz gekleidet sitzt er zwischen seinen Verteidigern, das zurückgegelte Haar und der Vollbart sind ergraut. Die Arme in MerkelRaute vor dem Bauch verschränkt, verfolgt er aufmerksam das Geschehen. Er verzichtet weiter darauf, sich zur Sache oder zu seiner Person zu äußern. Verteidiger Stahl verliest stattdessen eine Erklärung.
Ob sich die drei Neonazis an jenem Abend tatsächlich, wie in der Anklageschrift unterstellt, über die zunehmende Zahl von Brandanschlägen auf Asylbewerberheime in Ostdeutschland unterhalten hätten, sei fraglich, erklärt Stahl. Die 84-seitige Anklageschrift wirke zwar „akribisch bis kleinteilig und präzise“, erscheine aber wie ein Scheinriese, bemüht Stahl einen Vergleich aus Michael Endes Kinderbuch Jim
Knopf und Lukas der Lokomotivführer – ohne dass er als despektierlich verstanden werden wolle.
Bei näherer Betrachtung schrumpfe die Anklage. Die Hypothese, dass sein Mandant den Täter angestiftet habe, stütze sich im Kern auf ein einziges Beweismittel: die einzelne Aussage eines Zeugen. „Richtiger: einer Auskunftsperson“, korrigiert sich Stahl. Auskunftsperson und nicht Zeuge deshalb, weil der Betreffende – er spricht von Heiko Sch. – kein neutraler Beobachter sei, sondern von dem im Oktober als Einzeltäter verurteilten Peter S. selbst der Tat bezichtigt worden war.
Die Aussagen des Zeugen, die dieser zudem erst 29 Jahre nach dem Ereignis gemacht habe, seien in der Folge „blass und detailarm“geblieben, sagte Stahl. Sein Mandant, das verteilt er im Vorfeld auch in einer schriftlichen Mitteilung an die anwesenden Pressevertreter, bestreite den zentralen Vorwurf der Anklage. Ob er Peter St. sich denn zwischenzeitlich von der Neonaziszene distanziere, will eine Journalistin am Rande des Prozesses wissen. „Dazu möchte ich nichts sagen“, erwidert Stahl.
Wie schon im ersten Verfahren haben sich auch in diesem Verfahren mehrere der Überlebenden des Anschlags – insgesamt neun – als Nebenkläger angeschlossen. Sie erhoffen sich weitere Aufklärung, auch vor dem Hintergrund, dass ihnen die Einzeltäterthese von Anfang an nicht plausibel erschien.
Die Anklage ist derweil offenbar mitnichten so wacklig, wie von einigen Beobachtern bislang gemutmaßt wurde. Allein der Umstand, dass die Anklage zugelassen wurde, bedeutet, dass die Beweise „mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad“zu einer Verurteilung führten. Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt.
Die Aussagen des Zeugen, die dieser zudem erst 29 Jahre nach dem Ereignis gemacht habe, seien „blass und detailarm“geblieben, sagte der Verteidiger.