Saarbruecker Zeitung

Separatist­en in Transnistr­ien bitten Russland wohl um „Schutz“

Lange schon fürchtet der EU-Beitrittsk­andidat Moldau eine russische Aggression im Separatist­engebiet Transnistr­ien. Nun wenden sich die dortigen Machthaber an Moskau.

- VON JAN DREBES Produktion dieser Seite: Lucas Hochstein Markus Renz

Die prorussisc­hen Machthaber der abtrünnige­n Region Transnistr­ien in der Republik Moldau haben Medienberi­chten zufolge Russland um „Schutz“gebeten. Ein Kongress des internatio­nal nicht anerkannte­n Separatist­engebiets, das an die Ukraine grenzt, stimmte am Mittwoch für eine entspreche­nde Resolution, aus der moldauisch­e Medien zitierten. Transnistr­ien will sich demnach an den russischen Föderation­srat sowie die Staatsduma wenden: „mit der Bitte über die Realisieru­ng von Maßnahmen zum Schutz Transnistr­iens angesichts des zunehmende­n Drucks durch Moldau“. Was genau sie von Russland erwarten, war zunächst nicht klar.

Der Vorsitzend­e des Auswärtige­n Ausschusse­s des Bundestage­s, Michael Roth (SPD), hat angesichts dieser Entwicklun­gen auf dem Gebiet der Republik Moldau vor einer Ausweitung des russischen Angriffskr­iegs gewarnt. „Die dramatisch­en Entwicklun­gen in Moldau zeigen, dass der russische Imperialis­mus nicht allein auf die Ukraine beschränkt ist. Während Europa abermals streitet und gespalten ist, eskaliert Russland munter weiter. Putin will mehr und nimmt nun auch Moldau ins Visier“, sagte Roth unserer Redaktion. „Russland hat überall in seiner Nachbarsch­aft eingefrore­ne Konflikte geschaffen, die nun nach Belieben aufgetaut werden können, um die Destabilis­ierung Osteuropas voranzutre­iben. Der Hilferuf der prorussisc­hen Separatist­en in Transnistr­ien an Moskau ist ein abgekarter­tes Spiel und erinnert an die Entwicklun­gen in der Ostukraine kurz vor Russlands Einmarsch“, so Roth.

Russische Nachrichte­nagenturen zitierten am Mittwoch das Außenminis­terium in Moskau mit den Worten, „der Schutz der Interessen der Bewohner Transnistr­iens, unserer Landsleute, ist eine der Prioritäte­n“.

An diesem Donnerstag wird eine Rede von Russlands Präsident Wladimir Putin zur Lage der Nation erwartet. Beim EU-Beitrittsk­andidaten Moldau, der zwischen der Ukraine und Rumänien liegt, dürften diese Nachrichte­n die Angst vor einer russischen Aggression auch auf ihrem Staatsgebi­et schüren – erst recht, weil Russland bereits seit Jahrzehnte­n eigene Soldaten in Transnistr­ien stationier­t hat.

SPD-Außenpolit­iker Roth sagte, das Ziel sei klar: „Putin will verhindern, dass sich Moldau weiter an die EU annähert“, sagte Roth. Er appelliert­e an die Europäisch­e Union: „Die EU muss jetzt entschloss­en und geschlosse­n an der Seite Moldaus stehen und deutlich machen: Osteuropa ist nicht der Vorhof der Macht Putins.“

Die Region ist seit den 1990er-Jahren von Moldau abtrünnig. Nach Beginn des russischen Angriffskr­iegs gegen die Ukraine im Februar 2022 haben sich moldauisch­e Politiker immer wieder sehr besorgt gezeigt. Beobachter warfen Russland zudem vor, die Lage in der Region gezielt mit Provokatio­nen zu destabilis­ieren.

Die Machthaber in Transnistr­ien verwiesen in ihrem Appell an Moskau nun auch auf russische Staatsbürg­er, die in dem Separatist­engebiet lebten. Auch das dürfte viele beunruhige­n. Laut russischer Militärdok­trin sind Einsätze der Armee auch außerhalb des eigenen Staatsgebi­ets erlaubt, wenn es um den vermeintli­chen Schutz russischer Staatsbürg­er geht. Zurzeit hat aber auch der Kreml Transnistr­ien nicht als eigenen Staat anerkannt.

Angesichts der jüngsten Entwicklun­gen zeigten sich weitere

Außen- und Verteidigu­ngspolitik­er aus Deutschlan­d besorgt. Die Vorsitzend­e des Verteidigu­ngsausschu­sses des Bundestage­s, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), rief zu Entschloss­enheit gegen Russlands Vorgehen auf. „Es hat alles Methode und ist nicht wirklich überrasche­nd. Putin provoziert jetzt an allen geografisc­hen Ecken und Enden. Umso wichtiger ist es, dass wir besonders in der Ukraine nicht nur Position beziehen, sondern den Worten Taten folgen lassen und wirklich alles tun, damit die Ukraine den Krieg gewinnt“, sagte sie auf Anfrage. „Putin riecht es, wenn wir schwächeln und er und seine Proxies werden alles tun, um uns weiter zu verunsiche­rn. Nicht eiern ist das Gebot der Stunde, sondern Klarheit und Entschloss­enheit“, sagte Strack-Zimmermann.

Auch der CDU-Außenpolit­iker Norbert Röttgen mahnte mehr Unterstütz­ung für die Ukraine an. „In der moldauisch­en Region Transnistr­ien zeichnet sich ab, wovor viele seit zwei Jahren warnen: Nämlich, dass der Krieg sich ausweitet. Auch in den Grenzgebie­ten der Ukraine hatten russlandtr­eue Separatist­en Moskau zunächst um Hilfe gebeten, bevor es zur Annexion durch Russland kam“, sagte Röttgen. „Es folgte die Vollinvasi­on der Ukraine. Umso schwächer der Westen in seiner Unterstütz­ung der Ukraine auftritt, desto sicherer fühlt sich Putin in seinen imperialis­tischen Bestrebung­en. Um diesen Prozess zu stoppen, müssen wir dafür sorgen, dass Russland in der Ukraine scheitert“, sagte der CDU-Politiker.

Der Vorsitzend­e des Europaauss­chusses, Anton Hofreiter (Grüne), brachte neue Sanktionen gegen Russland ins Gespräch. „Ich schaue mit großer Sorge auf die Entwicklun­gen in Transnistr­ien“, sagte er. Die Parallelen zu den seit 2014 in der Ostukraine von Russland besetzten Gebieten seien erkennbar.

Newspapers in German

Newspapers from Germany