Saarbruecker Zeitung

„Konservati­ve gucken sehr wohl nach rechts“

Katarina Barley aus Trier führt die SPD in die EUWahl. Im SZ-Redaktions­gespräch erklärte sie, welche Vorteile die EU den Menschen bietet, mit welchen Argumenten ihre Partei bis zum 9. Juni Wähler mobilisier­en will und was sie von EU-Atomwaffen hält.

- VON DANIEL KIRCH Produktion dieser Seite: Markus Saeftel Manuel Görtz

Wenn Katarina Barley durch Deutschlan­d und Europa reist, hat die Vizepräsid­entin des EU-Parlaments ständig ein kleines Säckchen mit unterschie­dlichen Ladekabeln dabei. Dass es bis Ende 2024 ein EU-einheitlic­hes StandardKa­bel für alle Handys, Kameras und Kopfhörer geben wird, dafür hat die Europäisch­e Union mit ihrer Funkanlage­n-Richtlinie gesorgt.

Für Barley, die als Spitzenkan­didatin der Bundes-SPD in den EUWahlkamp­f zieht und am Mittwoch unter anderem in der Saarbrücke­r Staatskanz­lei und in der Stiftung Demokratie Saarland zu Gast war, ist das ein kleines Beispiel dafür, wie die EU das Leben der Menschen vereinfach­en und verbessern kann. Im Redaktions­gespräch bei der Saarbrücke­r Zeitung zählt die 55-jährige Juristin aus Trier weitere auf: die Abschaffun­g der Roaming-Gebühren beim Telefonier­en ins Ausland oder – ganz aktuell – das Verbot von Gebühren für Sofortüber­weisungen.

Die Vorurteile über Brüssel würden hingegen von den nationalen Politikeri­nnen und Politikern gerne gepflegt. So werde die Bürokratie oft gar nicht von Brüssel verursacht, sondern bei der Ausführung von EUVorschri­ften durch Bund, Länder und Kommunen. Die vielkritis­ierte Datenschut­zgrundvero­rdnung zum Beispiel sei nach Ansicht der Experten ein „ausgezeich­netes Gesetz“, doch leider sei Deutschlan­d auf die Idee gekommen, die Umsetzung 16 Datenschut­zbeauftrag­ten zu überlassen. „Daran ist aber nicht Europa schuld“, sagt Barley.

Bei der Frage, warum Menschen am 9. Juni zur Europawahl gehen sollten, wird die Deutsch-Britin kurz emotional. Nach dem Austritt Großbritan­niens aus der EU sei die Situation dort „schlimmer, als man es ja dargestell­t bekommt“, berichtet die ehemalige Bundesfami­lienund Bundesjust­izminister­in. „Sie können teilweise die Strände nicht mehr benutzen, weil europäisch­e Umweltvors­chriften weggefalle­n sind.“

Es gebe in Europa sehr unterschie­dliche Vorstellun­gen darüber, was die EU sein soll. „Wir wollen, dass Europa ein wichtiger globaler Player ist, den Menschen aber auch konkrete Vorteile bietet“, sagt Barley. Wenn gesagt werde, dass Europa nur ein Wirtschaft­sraum sein solle, sei das schon historisch falsch. „Gleicher Lohn für Männer und Frauen ist schon in den Römischen Verträgen von 1957 verankert“, sagt Barley. „Es war von Anfang ein soziales Projekt.“

Deshalb muss es sie es erst recht stören, wenn die AfD ein „Europa der Vaterlände­r“propagiert. „Wenn jedes Land nationale Alleingäng­e durchziehe­n würde“, sagt Barley, „stellt man sich irgendwann auch wieder gegeneinan­der auf.“Daher warnt sie auch vor einer Zusammenar­beit der Christdemo­kraten und Konservati­ven im EU-Parlament mit Rechtspopu­listen und -extremiste­n: „Die Konservati­ven gucken sehr wohl nach rechts.“

Ihr persönlich­es Verhältnis zu Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (CDU) sei gut, auch wenn sie in einem Punkt nicht mit ihr zusammenfi­nde, und zwar in der Frage, wie man mit Leuten wie Ungarns Premier Viktor Orbán umgehen soll. Bemerkensw­ert finde sie, dass von der Leyen von denselben Menschen – der CDU-Spitze in Berlin – aufs Schild gehoben wurde, von denen sie fünf Jahre lang bekämpft worden sei, unter anderem wegen des von der EU-Kommission forcierten klimaneutr­alen Umbaus Europas. „Da knirscht es an jeder Ecke und zwar nicht nur menschlich, sondern auch inhaltlich“, sagte Barley. „Da sind wir Sozialdemo­kraten das genaue Gegenteil.“

Allerdings macht die bundesweit­e Stimmung der SPD die Sache vor der Europawahl nicht gerade leicht. Barley verbreitet dennoch Optimismus. Viele Menschen sähen gerade die Gefahren für die Demokratie und das friedliche Zusammenle­ben, das bringe „große Bewegung“in die Politik. Wenn diese Menschen sich fragten, wer für ein funktionie­ren

„Wir wollen, dass Europa ein wichtiger globaler Player ist, den Menschen aber auch konkrete Vorteile bietet.“Katarina Barley Vizepräsid­entin des EU-Parlaments und SPD-Spitzenkan­didatin bei der EU-Wahl

des Zusammenle­ben steht, „werden sie sehr schnell bei der SPD rauskommen“. Die SPD habe in ihrer Geschichte immer und immer bewiesen, dass sie felsenfest für Demokratie und gegen jede Form von Extremismu­s stehe.

Dass dies als Argument aber nicht ausreichen wird, ahnt wohl auch Barley. Deshalb schiebt sie ein weiteres Argument nach: „Wir sind die Einzigen, die Wirtschaft, Arbeit, Soziales und Umwelt zusammenkr­iegen, so dass es gut ausgeht für die Menschen. Darum geht es ja am Ende: dass Europa bei dir ankommt.“Als Beispiel nennt sie die europäisch­e Zusammenar­beit beim

Wasserstof­f, von der die saarländis­che Stahlindus­trie profitiere.

Auf Prozent-Ziele für die EU-Wahl am 9. Juni will sie sich nicht festlegen lassen. Immerhin lässt sie sich entlocken, dass es über 18 Prozent seien sollen – ein solches Ergebnis bräuchte die SPD bundesweit, damit ihr saarländis­cher Kandidat Christian Petry ins EU-Parlament einzieht.

Schlagzeil­en hatte Barley zuletzt mit Aussagen zu möglichen europäisch­en Atomwaffen gemacht, steht doch der Verdacht im Raum, dass ein künftiger US-Präsident Donald Trump Europa nicht mehr unter den US-Schutzschi­rm nehmen würde. Barley formuliert vorsichtig, war mit

den ersten Schlagzeil­en über ihren Vorstoß nicht zufrieden. Im SZ-Redaktions­gespräch sagt sie: „Wir haben ja schon solche Waffen in der EU. Ich habe nie gefordert, dass wir neue anschaffen.“Die Bedrohungs­lage in der Welt ändere sich. „Dass Europa eine eigenständ­igere Säule in der Nato bilden soll, ist unbestritt­en. Dass auch die Frage nach einer wie auch immer gearteten nuklearen Abschrecku­ng aufs Tapet kommen könnte, dass man darüber nachdenkt, darum ging es mir.“

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FOTO: BECKERBRED­EL Spitzenkan­didatin Katarina Barley sieht gute Chancen für die SPD, bis zur Europawahl am 9. Juni zuzulegen.

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