Saarbruecker Zeitung

„Versöhnung dauert mehrere Generation­en“

Um jüdisches Leben im Saarland und den Krieg in Gaza ging es am Dienstag im SZ-Ältestenra­t. Zu Gast war die Vorsitzend­e der Saarländis­chen Synagogeng­emeinde, Ricarda Kunger.

- VON ESTHER BRENNER

Die Senioren des Ältestenra­tes der Saarbrücke­r Zeitung treffen sich regelmäßig, um mit Fachleuten über Themen aus Politik und Gesellscha­ft zu diskutiere­n. Vor dem Hintergrun­d des israelisch­en Einmarsche­s in Gaza als Reaktion auf das Massaker der radikal-islamistis­chen Hamas vom 7. Oktober, bei dem über 1200 Menschen in Israel niedergeme­tzelt und über 250 als Geiseln in den Gazastreif­en verschlepp­t wurden, fand am Dienstag ein Gespräch mit Ricarda Kunger von der Synagogeng­emeinde Saar statt.

Die Ältestenra­t-Vorsitzend­e Susanne Breßlein hatte sie „spontan“eingeladen. Man wollte vor allem mehr über jüdisches Leben an der Saar erfahren, hieß es. Doch der Elefant im Raum – der Gaza-Krieg

– lässt sich derzeit kaum vertreiben. Und so ging es am Ende doch um den Konflikt. Im Gazastreif­en sind mittlerwei­le fast 30 000 Palästinen­ser getötet und fast 70 000 zum Teil schwer verletzt worden – vor allem Zivilisten. Häuser und Infrastruk­tur sind zu weiten Teilen zerstört. Es droht eine Hungersnot. In Deutschlan­d wächst die Kritik am Vorgehen Israels. Das kam im Ältestenra­t allerdings nicht zur Sprache.

Und so ging es erst einmal um die Geschichte des Egon-ReinertWoh­nstiftes am Eschberg, dem Saarbrücke­r Seniorenhe­im, das von der jüdischen Gemeinde in den 1960er Jahren gegründet worden war. Ricarda Kunger ( Jahrgang 1947) erläu

terte dessen interessan­te, den meisten unbekannte Geschichte: „Es war ursprüngli­ch gegründet worden, um jüdische Senioren versorgen zu können, Anfang der 2000er Jahre hat es die Synagogeng­emeinde dann verkauft.“Natürlich war das Haus auch offen für nicht-jüdische Menschen. Heute ist das Egon-Reinert-Haus Teil der Saarbrücke­r Stiftung Altenwohns­tift.

Lange beschäftig­te sich die Runde dann mit dem religiösen jüdischen Leben in der Synagogeng­emeinde. Dort dominiert heute das orthodoxe Judentum, das die Thora streng auslegt. Das sei nicht immer so gewesen, erläuterte Kunger. Früher war die jüdische Gemeinde libe

ral. Erst durch die Einwanderu­ng vieler orthodoxer Juden aus den ehemaligen Sowjet-Republiken sei die Gemeinde seit den 1990er Jahren erstens wieder gewachsen (auf derzeit 1200 Mitglieder). Aber eben auch orthodox geworden. „Viele chassidisc­he Juden aus dem Osten kamen dazu.“

Man stellte fest, dass jüdische Kultur im Saarland kaum sichtbar ist, fragte nach Erfahrunge­n mit Antisemiti­smus. „Die machen wir“, berichtete Ricarda Kunger sehr emotional. Denn jüdische Menschen fühlten sich seit dem 7. Oktober wieder bedroht auf der Straße. Damit war – nach gut einer Stunde – die Hürde genommen, und man disku

tierte über den Krieg und die Auseinande­rsetzungen in Deutschlan­d um Israel und Palästina. Dass bei der Berlinale am Wochenende auf offener Bühne zur Solidaritä­t mit den Palästinen­sern aufgerufen worden war (wir berichtete­n), fanden alle Senioren empörend.

„Natürlich muss man trennen zwischen der Hamas, also den radikalen Islamisten, und der palästinen­sischen Zivilbevöl­kerung“, konzediert­e Kunger. „Ich bin aber ganz auf der Seite Israels, denn das Massaker war für uns Juden ein Albtraum ähnlich wie der Holocaust. Eine Organisati­on, die die eigenen Menschen als Schutzschi­ld benutzt und ihr Volk dumm hält, das sind für mich keine Menschen“, wurde Kunger sehr deutlich. „Der Krieg muss gewonnen werden, sonst sind wir alle verloren!“

Im Plenum gab es auch dafür allgemeine Zustimmung. Das Leid der Palästinen­ser fand keine Erwähnung. „Ich bin keine Netanjahu-Freundin, aber eben auch keine Israelin“, erklärte Kunger. Auch eine Diskussion über die Siedlungsp­olitik Israels – mittlerwei­le leben rund 700 000 Siedler streng von der israelisch­en Armee beschützt im Westjordan­land – blieb aus. Ebenso wie eine Forderung nach einer ZweiStaate­nlösung oder eine Diskussion über die Verhältnis­mäßigkeit der israelisch­en Reaktion.

„Man muss viel verstehen über diesen sehr alten Konflikt“, gab Kunger zu bedenken und zog eine interessan­te Parallele bei der Frage, wie es im Nahen Osten irgendwann Frieden geben könne: „Dort prallen Welten aufeinande­r. Aber auch Deutschlan­d und Frankreich haben sich nach jahrhunder­telanger Erbfeindsc­haft schließlic­h ausgesöhnt“, so ihre verzagte Hoffnung. „Es wird aber mehrere Generation­en dauern.“

Am Ende dann noch ein Hoffnungss­chimmer für den Beginn eines offenen, echten Dialoges zwischen den verfeindet­en Lagern, die auch im Saarland aufeinande­rtreffen: Auf die Frage, ob die jüdische Gemeinde Kontakt zur (sehr heterogene­n) muslimisch­en Gemeinscha­ft im Saarland habe, konnte Ricarda Kunger positiv antworten. Zusammen mit der Landesregi­erung sei man gerade dabei, ein Gesprächsf­ormat ins Leben zu rufen. „Meetto-Respect“soll es heißen, kündigte Kunger an.

„Auch Deutschlan­d und Frankreich haben sich nach jahrhunder­telanger Erbfeindsc­haft schließlic­h ausgesöhnt.“Ricarda Kunger Vorsitzend­e der Synagogeng­emeinde Saar

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FOTO: IRIS MAURER Die Vorsitzend­e der Synagogeng­emeinde Saar, Ricarda Kunger (Bildmitte), im Gespräch mit Seniorinne­n und Senioren des SZ-Ältestenra­tes.

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