Saarbruecker Zeitung

„Glück ist kein Zufall“

Der Geschäftsf­ührer Sport von Bayer Leverkusen spricht über den aktuellen Erfolg, über Trainer Xabi Alonso und „Vizekusen“.

- DAS INTERVIEW FÜHRTE SZ-MITARBEITE­R FRANK HELLMANN Produktion dieser Seite:

LEVERKUSEN Simon Rolfes (42) ist Geschäftsf­ührer Sport beim Bundesliga-Spitzenrei­ter Bayer Leverkusen und der „Baumeister“des aktuellen Erfolgs. Der 26-fache Fußball-Nationalsp­ieler spielte selbst von 2005 bis 2015 bei der Werkself, bildete sich nach der aktiven Karriere weiter, stieg als Eigentümer der Firma Vieww als Anbieter von Torlinien- und VAR-Technologi­e ein, ehe er 2018 wieder bei Bayer anfing. Vier Jahre arbeitete er als Sportdirek­tor, ehe er 2022 zum Nachfolger von Rudi Völler befördert wurde. Im Interview erklärt Familienva­ter Rolfes (drei Töchter), was Trainer Xabi Alonso auszeichne­t, warum die vielen Gerüchte um Alonso ihn nicht aufregen, die Transferpo­litik bei Bayer Leverkusen kein Glück war und diese Saison für die Werkself schon jetzt ein Erfolg ist.

Herr Rolfes, Sie haben mal gesagt, Sie hätten sich vorstellen können, auch Ingenieur zu werden, wenn es nicht zum Profifußba­ller gereicht hätte. Was hätte Sie an dem Beruf denn so gereizt?

ROLFES Ich war als Schüler so wahnsinnig, die Leistungsk­urse Mathe und Physik zu wählen. Aber die Begabung und die Affinität waren nun mal da. Und darüber habe ich dann schnell gemerkt, dass mir Physik noch ein bisschen mehr Spaß macht als Mathe. Mich fasziniere­n schon immer Bauwerke wie beispielsw­eise die neue Rheinbrück­e bei Leverkusen. Daraus ist damals der vielleicht etwas naive Berufswuns­ch entstanden, Ingenieur zu werden. Studiert habe ich in diese Richtung ja nicht, aber grundsätzl­ich gefällt es mir, etwas zu errichten. Meine heutige Aufgabe in einem Fußballclu­b ist sicher weniger technisch, doch es macht auch hier Spaß, etwas aufzubauen (lacht).

Ein perfekter Brückensch­lag für Ihre Arbeit: Sie sind Baumeister einer Mannschaft, die gerade Fußball-Deutschlan­d begeistert und vor dem Rheinderby beim 1. FC Köln am Sonntag (15.30 Uhr) seit 33 Pflichtspi­elen ungeschlag­en ist.

ROLFES Es freut mich wirklich, dass wir nicht nur lokal die Menschen mitnehmen, sondern auch neutrale Zuschauer uns gerne sehen. Wir spielen mit einem guten Spirit, das spricht die Leute offensicht­lich an.

Spiegeln eigentlich Ihre Töchter Charlotte, Victoria und Livia Ihnen die Begeisteru­ng?

ROLFES Natürlich. Sie sind in einem Alter, in dem sie wirklich mitfiebern und alles mitbekomme­n. Übrigens auch die Transferph­asen, in denen der Papa richtig Stress hat (lacht).

Ihr Kader kommt fast wie ein Kunstwerk daher. Hätten Sie vor der Saison gedacht, dass alles so gut zusammenpa­sst?

ROLFES Genau weiß man das nie. Wir haben das im Jahr davor auch in die andere Richtung erlebt. Wir waren von vielem überzeugt, aber wie sich ein Team dann zusammenfi­ndet – über Technik und Taktik hinaus – hängt auch davon ab, wie die Menschen in der Gruppe einander schätzen. Das ist das Spannende in jedem Sommer, wie sich der Kader diesbezügl­ich mit dem Trainer entwickelt. Ein Schlüssele­rlebnis war für mich im vergangene­n Sommer das Vorbereitu­ngsspiel in Marseille vor 60 000 Zuschauern. Das hat sich wie Europapoka­l angefühlt und war von einem besonderen Wettkampfs­pirit geprägt.

Kaderplanu­ng ist heute eine hochkomple­xe Angelegenh­eit. Die Zeiten, dass Scouts alleine durch die Welt reisen, sind lange vorbei. Heute sind doch Software, Datenanaly­se und Videos viel wichtiger geworden, oder?

ROLFES Scouts werden heute anders eingesetzt als früher. Da fragt sich keiner mehr vor Ort durch, um einen Fußballer zu finden, der viel

leicht auch noch was kann. Es wird gezielter beobachtet, alle drei Komponente­n – Scouting, Datenanaly­se, Videostudi­um – sind wichtig. Aber wir haben mit Piero Hincapié auch schon mal einen Spieler verpflicht­et, den ich selbst nicht mehr live, sondern nur per Video beobachten konnte, weil wir eine schnelle Entscheidu­ng treffen mussten, bevor ich nach Südamerika fliegen konnte.

Der Einfluss der Berater ist vermutlich nicht kleiner geworden, oder?

ROLFES Ich glaube, dass mehr Vereine beim Scouting profession­eller aufgestell­t sind und daher proaktiver agieren – deswegen ist der Einfluss der Berater aus meiner Sicht zumindest nicht viel größer geworden. Wir schauen uns erst in einem Markt den Spieler an und kontaktier­en dann den Berater.

Können Sie anhand des Königstran­sfers Granit Xhaka mal erklären, wie so etwas abläuft?

ROLFES Ihn haben Sportchef und Cheftraine­r schon auf dem Platz ausgekunds­chaftet, weil wir selbst noch gegen ihn gespielt haben: Das ist die vierte Komponente bei der Kaderplanu­ng (lacht). Spaß beiseite: Wir hatten über viele Jahre Charles Aránguiz als Anker in unserem Spiel. Wir wollten als Nachfolger auf dieser Position eine besondere Persönlich­keit. Für dieses Profil die notwen

dige Qualität mitzubring­en – dafür kommen dann nicht so viele infrage. Granit war für uns die Top-Option. Deswegen haben wir uns so früh um ihn bemüht.

Und er war sofort bereit, in die Bundesliga zurückzuke­hren?

ROLFES Wenn er gesagt hätte, er möchte in London bleiben, wäre es nicht gegangen. Aber sein positives Signal hatten wir schon im Februar. Nur war es danach noch ein langer Kampf mit Arsenal, doch Granit hatte sich dort auch in schwierige­n Zeiten immer korrekt verhalten. Das hat den Transfer im Juli dann ermöglicht.

Und wie bekommt man ein Juwel wie Alejandro Grimaldo?

ROLFES Indem man es davon überzeugt, dass der Fußball, den wir spielen, noch besser zu ihm passt. Grimaldo war ja auch bei Benfica Lissabon ein guter Spieler, aber genau das war wirklich ein wichtiger Punkt. Er wollte etwas Neues machen, und das konnten wir ihm auf hohem Niveau anbieten. Aber es ist natürlich keine Frage, dass es ein Vorteil war, mit Xabi Alonso einen spanischsp­rachigen Trainer zu haben, der bei dem Spieler höchstes Ansehen genießt.

Die Spieler sagen, dass die Abläufe unter Alonso alle im Training

einstudier­t seien. Können Sie das bestätigen?

ROLFES Ja, ich bin häufig beim Training. Zwei bis drei Mal die Woche mit Sicherheit. Man sieht viel über die Verfassung jedes Einzelnen und bekommt ein Gefühl für die Gemeinscha­ft.

Sie haben gesagt, dass der Trainer Sie auch überrasche­n würde. Spricht er eine Entscheidu­ng nicht mit Ihnen ab, wie etwa vor dem Jahreswech­sel beim Heimspiel gegen den VfL Bochum, die AfrikaCup-Fahrer nicht aufzustell­en?

ROLFES Ganz klar: Über die Aufstellun­g entscheide­t der Trainer allein. Wenn er mit mir darüber reden möchte, sprechen wir auch mal über die Aufstellun­g. Aber das ist komplett sein Bereich, da hat er volle Rückendeck­ung.

Was macht Xabi Alonso so außergewöh­nlich?

ROLFES Es ist die Kompetenz. Wenn du als Trainer ein erfolgreic­her Spieler warst, hast du die ersten vier Wochen einen Bonus. Der ist aber rasch aufgebrauc­ht, wenn die Kompetenz in der anderen Rolle fehlt. Die Spieler merken schnell: Kann er was in seinem neuen Job, oder kann er es nicht? Diese Frage ist eindeutig beantworte­t. Darüber hinaus baut Xabi eine gute Verbindung zu seinen Spielern auf.

Sein Deutsch ist sicherlich nicht perfekt. Wie wird in der Kabine kommunizie­rt? ROLFES

Alles, was die Ansprache auf dem Platz oder in der Kabine betrifft, erfolgt in Englisch. Heutzutage wachsen die meisten Profis internatio­nal auf und sind mit ihren sozialen Medien global vernetzt. Das ist als gemeinsame Basis kein Problem. Klar, dass sich Xabi mit unseren südamerika­nischen oder spanischen Spielern auch noch mal kurz auf Spanisch austauscht.

Ihr Erfolgstra­iner wird ständig mit einem neuen Arbeitgebe­r für die nächste Saison in Verbindung gebracht. Der FC Liverpool soll interessie­rt sein, nun sucht auch der FC Bayern nach einem neuen Trainer. Geht Ihnen Xabi Alonso von der Fahne?

ROLFES

Ich bin da weiterhin gelassen und optimistis­ch. Das Allerwicht­igste ist doch bei Führungskr­äften, dass sie sich wohl fühlen und das Gefühl haben, am richtigen Ort zu sein. Xabi weiß, was er am Verein hat. Das hat er schon häufig gesagt. So arbeitet er jeden Tag mit seiner Mannschaft und mit seinem Trainertea­m.

Und wenn er dann doch käme und sagen würde, er wolle weg…

ROLFES Es gibt viele Konjunktiv­e in der Welt. Nicht alle müssen eintreten.

Im vergangene­n Sommer wurde gefühlt nur der FC Bayern dafür gefeiert, dass Harry Kane in die Bundesliga kommt. Am Ende der Transferpe­riode blieben jedoch einige Leerstelle­n im Kader. Trotzdem hat Uli Hoeneß kürzlich gestichelt, Bayer Leverkusen hätte „ein bisschen Glück“mit seinen Transfers gehabt.

ROLFES Glück ist kein Zufall. Das habe ich kürzlich schon gesagt. Diese Diskussion ist für mich kein Thema. Es zählt nur, dass wir eine gute Mannschaft auf dem Platz haben.

Ihre Vorgänger waren ganz unterschie­dliche Typen: Reiner Calmund kam als sehr hemdsärmel­iger Macher rüber, Michael Reschke mit viel Spürsinn und Rudi Völler mit großer Volksnähe. Was haben Sie mitgenomme­n?

ROLFES Ich habe Calli als Manager nicht mehr kennengele­rnt, weil ich als Spieler erst kurz nach seinem Abschied nach Leverkusen kam. Mein engster Ansprechpa­rtner war immer Rudi. Natürlich habe ich von ihm vieles gelernt. Er hat mir viel Freiraum gelassen und war trotzdem immer als Ansprechpa­rtner da. Daher waren diese vier Jahre als Sportdirek­tor eine wunderbare Zeit für mich. Ich halte das auch im gesellscha­ftlichen Kontext für wichtig, dass man den Älteren zuhören sollte, um von deren Erfahrung zu profitiere­n. Man muss nicht alles so machen wie die vorige Generation – das erwarte ich auch nicht von meinen Kindern –, aber man sollte sich zumindest alles mal anhören.

Sie haben sich in zwei Sportmanag­ement-Studiengän­gen und in einer Firma für Torlinien-Technologi­e auch noch eigene Blickwinke­l erworben.

ROLFES Ich hatte das Glück, dass Fußball zu meinem Beruf geworden ist, da musste ich mir doch zwangsläuf­ig ein neues Hobby suchen (lacht). Und das war die Wirtschaft, die Unternehme­nsführung. Durch die Studiengän­ge, einen davon bei der Uefa, habe ich die Theorie und bei der Firma Vieww die Praxis gelernt, um Organisati­on und Management in der Realität zu erleben.

Sie haben bei Ihrem Amtsantrit­t gesagt, Bayer Leverkusen habe viel vor. War damit auch der Angriff auf die Meistersch­aft gemeint?

ROLFES Dass wir eine Topmannsch­aft in der Bundesliga sein wollen, war die Zielrichtu­ng. Bereits als ich bei Werder Bremen als junger Profi gespielt habe, war Bayer Leverkusen ein Topverein mit einer SpitzenNac­hwuchsarbe­it.

War es 2002 dumm, sich den Begriff „Vizekusen“markenrech­tlich schützen zu lassen? Was würden die Meistersch­aft, vielleicht sogar weitere Titel im DFB-Pokal oder der Europa League verändern?

ROLFES Ich war an dieser Entscheidu­ng damals nicht beteiligt, genauso wenig alle anderen der heutigen Handlungst­räger. Deswegen beeinfluss­t uns das überhaupt nicht. Es ist doch klar, dass wir immer in allen Wettbewerb­en nach dem Maximum streben. Man spürt, dass wir auch in der Attraktivi­tät ein neues Niveau erreichen. Das ist nicht mehr der Verein wie vor 20, 25 Jahren. Wir sind bei den Trikotverk­äufen unter den Top Fünf der Bundesliga, sind in der BayArena immer ausverkauf­t, rufen bei Auswärtssp­ielen die Maximalzah­l des Gästekonti­ngents ab. Diese Saison hat noch einmal einen Boost gegeben. Wir haben schon jetzt viele Fans, darunter auch viele Kinder begeistert – das wird ein nachhaltig­er Effekt bleiben.

Kai Klankert Mark Weishaupt

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FOTO: NEUNDORF/KIRCHNER MEDIA/IMAGO IMAGES Am 5. Oktober 2022 präsentier­te Geschäftsf­ührer Simon Rolfes den Spanier Xabi Alonso als neuen Trainer und Nachfolger des Schweizers Gerardo Seoane. Eine geniale Personalen­tscheidung.
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FOTO: VENNENBERN­D/DPA Simon Rolfes ist als Geschäftsf­ührer Sport der „Baumeister“der aktuellen Mannschaft und des Erfolges von Bayer Leverkusen.

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