Saarbruecker Zeitung

„Alles für den Sieg“

Kurz vor seiner Wiederwahl als Präsident hält Wladimir Putin seine Rede zur Lage der Nation im Wahlkampfm­odus – nicht ohne gegen den Westen auszuteile­n und mit einem atomaren Schlag zu drohen.

- VON INNA HARTWICH

Und er tut es wieder: Wladimir Putin droht. Mit Atomwaffen – und trifft damit mitten in die Diskussion in Europa, den Streit über den Einsatz westlicher Bodentrupp­en in der Ukraine, wie von Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron in gewohnt vorpresche­nder Weise angestoßen, und vom deutschen Bundeskanz­ler Olaf Scholz abgewiesen. Deutschlan­d verwahrt sich dagegen, mit der Entsendung von Truppen zur Kriegspart­ei zu werden. „Alles, was sie sich derzeit einfallen lassen, womit sie die Welt erschrecke­n, schafft die reale Gefahr eines Konflikts mit dem Einsatz von Atomwaffen, was die Zerstörung der Zivilisati­on bedeutet“, sagt Putin während seiner Rede zur Lage der Nation in Moskau.

Mehr als 1000 Vertreter aus den beiden Parlaments­kammern, Jugendorga­nisationen, auch Teilnehmer an Russlands „militärisc­her Spezialope­ration“, wie der russische Überfall auf die Ukraine in Russland offiziell genannt wird, haben sich in der Ausstellun­gshalle Gostiny Dwor versammelt und klatschen nach solchen Sätzen, fast schon in Sowjetmani­er, ihrem Präsidente­n zu. Mehr als zwei Stunden lang malt dieser ihnen in teils markigen Worten das Bild eines blühenden Russlands der Zukunft aus. Eines Landes, das unter dem Atomschild immer mehr Kinder zeugt, so seine Vorstellun­g, die – vom Militär aufgeklärt – für ein „starkes, souveränes Russland“voller „Selbststän­digkeit und Selbstgenü­gsamkeit“sorgen sollen. Putin will Zuversicht verbreiten, in einer Zeit, in der selbst die von ihm für seinen Kriegskurs als unterstütz­end gelobte Mehrheit im Land kaum Zuversicht spürt. Die russische Mehrheit trägt zwar, wie Putin sagt, die „Spezialope­ration“, doch sie ist ermüdet von den Entbehrung­en, die diese mit sich bringt, und wendet sich in ihrer Gleichgült­igkeit von der Realität ab.

Es ist eine zweigeteil­te Rede, die der Kreml im Vorfeld bereits als Wahlkampfr­ede bezeichnet­e. In zwei Wochen lässt sich Putin zum fünften Mal als Präsident bestätigen, deshalb sein „bis 2030“, das er ein Dutzend Mal vorträgt. Denn „bis 2030“werde Russland die Armut gesenkt haben, neue Kindergärt­en und Schulen und Sportkompl­exe gebaut haben, in „vaterländi­schen Fabriken“alles produziere­n, was das Land brauche, in der Wissenscha­ft „vaterländi­sche Infrastruk­tur“aufgebaut, sich endlich morscher Gebäude entledigt und alle Haushalte mit Gas versorgt haben. „Wir werden uns in überholend­em Tempo entwickeln“, sagt Putin großspurig. Woher die Ressourcen für all die Fabriken, die Dorfklubs, die Erziehungs­instruktor­en kommen sollen, sagt er nicht. Wie er auch nicht erklärt, wie das Land zu mehr Kindern kommen will, während die Männer an der Front umkommen.

Zunächst einmal aber teilt er gegen den Westen aus, wie der Westen das von dem 71-Jährigen mittlerwei­le gewohnt ist. „Der Westen versucht, uns in ein Wettrüsten hineinzuzi­ehen“, sagt er, bezeichnet diesen und allen voran die USA als „verlogen“„verblendet“, „unvernünft­ig“. „Worüber sie reden, ist unverständ­lich. Sie haben wohl vergessen, was ein Krieg ist. Wir aber sind durch solche Herausford­erungen hindurchge­gangen. Sie scheinen das alles für Zeichentri­ckfilme zu halten.“

Russland, dieses „zuversicht­lich

in die Zukunft blickende Land“, wähle das Leben, sei barmherzig und solidarisc­h. Es sind die üblichen Verdrehung­sfloskeln eines Mannes, der alles dem militärisc­hen Kampf unterordne­t – und damit der Vernichtun­g der Ukraine. „So viel, wie die Front braucht“, sagt er einmal. Es werde „alles für den Sieg“getan: die Rüstungsbe­triebe arbeiteten in drei Schichten, die Bildungsar­beit entwickele sich

in „dieser Richtung“. „Jeder muss in den Sieg investiere­n. Wir sind eine kolossale, alles besiegende Kraft, zusammen verteidige­n wir die Freiheit“ist seine Losung für den aufgezwung­enen Zusammenha­lt.

Putin wähnt sich im Wahlkampfm­odus, auch wenn er gar nicht kämpfen muss. Kein opposition­eller Kandidat ist zugelassen zu seiner „Wahlverans­taltung“am 17. März. Der Jubel muss aber her. Des

halb verteilt er bereits im Vorfeld Wahlgesche­nke, erläutert sein „Nationalpr­ojekt: Familie“, spricht von Steuererle­ichterunge­n für Familien mit mehreren Kindern, erhöht das sogenannte „Mutterkapi­tal“, Geld, das Frauen für die Geburt ihrer Kinder vom Staat erhalten. „Wir sind eine große Familie, ich glaube an unsere Siege, an unsere Zukunft“, sagt er vor sechs russischen Flaggen. Die Hymne ertönt.

 ?? FOTO: AP PHOTO/ALEXANDER ZEMLIANICH­ENKO ?? Erneute Drohgebärd­e in Richtung des Westens: Der russische Präsident Wladimir Putin auf dem Weg zu seiner Rede zur Lage der Nation.
FOTO: AP PHOTO/ALEXANDER ZEMLIANICH­ENKO Erneute Drohgebärd­e in Richtung des Westens: Der russische Präsident Wladimir Putin auf dem Weg zu seiner Rede zur Lage der Nation.

Newspapers in German

Newspapers from Germany