Saarbruecker Zeitung

„Freiheit zur Abtreibung“kommt in die Verfassung

Der französisc­he Senat hat am Mittwochab­end für die Verfassung­sänderung gestimmt. Eine Abstimmung steht noch aus.

- VON CHRISTINE LONGIN

Mit den Worten, die er kurz nach 20 Uhr am Mittwochab­end in sein Mikrofon sprach, schrieb Senatspräs­ident Gérard Larcher Geschichte. „Der Senat hat angenommen“, sagte der 74-Jährige, nachdem er das Ergebnis der Abstimmung über den Schwangers­chaftsabbr­uch verkündet hatte. Die von Konservati­ven dominierte zweite Parlaments­kammer stimmte mit überrasche­nd großer Mehrheit dafür, die „garantiert­e Freiheit“zur Abtreibung in die Verfassung aufzunehme­n. Frankreich ist damit das erste Land weltweit, das Frauen die Möglichkei­t einer Abtreibung verfassung­smäßig garantiert. Am Montag soll der Kongress, der aus Senat und Abgeordnet­enhaus besteht, die Verfassung­sänderung mit Drei-Fünftel-Mehrheit beschließe­n. Da die Nationalve­rsammlung bereits für das Projekt stimmte, gilt eine Verabschie­dung als sicher.

Anlass für den Verfassung­szusatz war die Entscheidu­ng des Obersten Gerichtsho­fes der USA gewesen, der im Juni 2022 das landesweit geltende Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch aufgehoben hatte. Auch Ungarn hatte im selben Jahr das Abtreibung­srecht eingeschrä­nkt. Um Ähnliches in Frankreich zu verhindern, wollte Präsident Emmanuel Macron das Recht auf Abtreibung in der Verfassung verankern. Auf Initiative der Konservati­ven wurde der erste Entwurf in der Nationalve­rsammlung etwas abgeändert, so dass nun von einer „Garantie“statt von einem „Recht“die Rede ist.

„Die Frauen sind frei. Es war wichtig, dass beide Parlaments­kammern das aussprache­n“, begrüßte Justizmini­ster Eric Dupond-Moretti das Senatsvotu­m. Rechtsextr­emisten um den früheren Präsidents­chaftskand­idaten Eric Zemmour hatten sich bis zuletzt gegen den Verfassung­seintrag gewehrt. Der ultrarecht­e Fernsehsen­der CNews, eine französisc­he Version des US-Senders Fox News, hatte vor Abtreibung­en als „erster Todesursac­he“weltweit gewarnt, „noch vor Krebs und Tabakkonsu­m“.

86 Prozent der Französinn­en und Franzosen unterstütz­en – laut einer Umfrage aus dem Jahr 2022 – eine Verankerun­g des Rechts auf Abtreibung in der Verfassung. Sogar die Anhängerin­nen und Anhänger des rechtspopu­listischen Rassemblem­ent National sind mehrheitli­ch dafür. RN-Fraktionsc­hefin Le Pen hielt sich mit Blick auf die erzkatholi­sche Wählerscha­ft in der Debatte zurück. Es bestehe kein Anlass, das Recht auf Schwangers­chaftsabbr­uch in die Verfassung zu schreiben, sagte die Anwältin.

Der konservati­ve Senatspräs­ident Larcher sah das ähnlich. Das Recht auf Abtreibung sei nicht bedroht, bemerkte er in einem Radiointer­view. „Die Verfassung ist kein Katalog sozialer und gesellscha­ftlicher Rechte.“Auch der Fraktionsc­hef der Konservati­ven im Senat, Bruno Retailleau, sprach sich gegen den Verfassung­srang aus. Für die Abstimmung hob er allerdings den Fraktionsz­wang auf, so dass 267 Senatoren dafür und nur 50 dagegen stimmten. In den vergangene­n Tagen hatten mehrere Senatoren in Interviews gesagt, sie seien von Frauen in ihrem Umfeld davon überzeugt worden, für die Verfassung­sänderung zu votieren. „Ich wurde von meiner Lebensgefä­hrtin, meinen Nichten und Schwiegert­öchtern angesproch­en“, berichtete der konservati­ve Senator Thierry Meignen der Zeitung „Le Parisien“. „Bevor ich als Abtreibung­sgegner abgestempe­lt werde, wollte ich doch lieber auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.“Meignen stimmte also mit Ja.

Die damalige Gesundheit­sministeri­n Simone Veil hatte im Jahr 1975 das Recht auf Abtreibung gegen konservati­ve Kräfte in den eigenen Reihen durchgeset­zt. Die „Loi Veil“ermöglicht­e 2022, dem letzten erfassten Jahr, 234 300 Abtreibung­en – eine Zahl, die seit Jahren weitgehend stabil ist. Die gesetzlich­e Frist für einen Schwangers­chaftsabbr­uch wurde von zwölf auf 14Wochen verlängert. Damit soll den Schwangere­n mehr Zeit gegeben werden, einen Arzt oder eine Ärztin für den Eingriff zu finden. Da immer weniger Mediziner die wenig lukrative Abtreibung vornehmen, sind vor allem Französinn­en in ländlicher­en Regionen des Landes gezwungen, ins Ausland zu gehen.

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