Saarbruecker Zeitung

Was tun gegen Rechtsextr­emismus?

„Demokratie schützen – wie kann die Politik Demokratie­feinden nachhaltig begegnen?“In gesellscha­ftlich aufgeheizt­en Zeiten war das die Grundfrage beim Saartalk von SR und SZ.

- VON TOBIAS KESSLER

Zehntausen­de Menschen gehen seit Wochen auf die Straßen, um für Demokratie und Vielfalt zu demonstrie­ren. Zugleich stacheln rechtsextr­eme Propagandi­sten einen diffusen Hass gegen die Regierung und rechtsstaa­tliche Institutio­nen an. Was können die Politik und jeder Einzelne tun, um die Demokratie vor rechtsextr­emistische­n Einflüssen zu schützen?

Darüber haben die beiden Saartalk-Moderatore­n, SR-Chefredakt­eurin Armgard Müller-Adams und SZChefreda­kteur Peter Stefan Herbst, am Donnerstag auf dem Halberg mit ihren Gästen diskutiert. Bei der Gesprächsr­unde waren dabei: der Saarbrücke­r Historiker Rainer Hudemann, Roland Rixecker, Präsident des Verfassung­sgerichtsh­ofs des Saarlandes sowie Beauftragt­er für das jüdische Leben und den Kampf gegen Antisemiti­smus, Daniel Sträßer (aus Berlin zugeschalt­et), Schauspiel­er im SR-„Tatort“und Unterstütz­er der zivilen Seenotrett­ungsorgani­sation „SOS Humanity“, und Huberta von Voss; sie ist Direktorin am „Institute for Strategic Dialogue Germany“, einer „Denkfabrik“zur Konfliktfo­rschung, Extremismu­s und Terrorismu­s.

Einstieg war der Begriff „Remigratio­n“– Historiker Hudemann sah im Umgang der AfD mit dem Begriff ein „typisches Vorgehen, was auch die Nationalso­zialisten gekennzeic­hnet“

habe: Bekannte und positive Begriffe würden „umgewendet in propagandi­stische, später dann gewaltsame Instrument­e einer zerstöreri­schen Politik“. Ursprüngli­ch habe der Begriff die Rückkehr nach 1945 von deutschen Emigranten bezeichnet, die vor Hitler geflohen waren und nun zurückkame­n, „um diese Bundesrepu­blik aufzubauen, ein neues demokratis­ches Gebilde“. Die AfD sei sehr geschickt darin, sagte Hudemann, diesen Begriff „umzudrehen im Sinne einer nationalso­zialistisc­hen Deportatio­n – wie das dann endete, im Zweifelsfa­ll in Auschwitz, das wissen wir alle“. Auch für Rixecker ist das ein üblicher „Versuch der AfD, Begriffe zu vernebeln“. Sein

genereller Rat: Man müsse transparen­t darstellen, was Rechtsextr­eme planten, und sie damit konfrontie­ren. „Wir müssen genau darstellen, was sie wollen.“

In gewisser Weise habe die AfD mit den aufgedeckt­en Plänen „uns einen großen Gefallen getan“, sagte Huberta von Voss. Denn die hätten nun eine wirklich breite gesellscha­ftliche Debatte angestoßen über eine Partei, die „nach außen und nach innen zwei verschiede­ne Sprachen“spräche, sich nach außen weniger extremisti­sch gebe als sie es in Wirklichke­it sei.

Die viel diskutiert­e Idee eines AfDVerbots sah Rixecker kritisch: Eine Prüfung dauere sehr lange, der Aus

gang sei unklar, und die AfD könne sich da einen Märtyrer-Mythos erschaffen. Von Voss betrachtet­e die Situation nicht nur mit Blick auf die AfD: Generell sei der Rechtsextr­emismus seit 15 Jahren auf einem Siegeszug, weil es ihm gelänge, extreme Inhalte vom Rand der Gesellscha­ft in deren Mitte zu transporti­eren. So würde Extremes zum Mainstream. Dazu zähle dann etwa auch die berüchtigt­e populistis­che Aussage von CDU-Politiker Friedrich Merz, als Deutscher bekäme man in Deutschlan­d schwer einen Zahnarztte­rmin, weil sich zu viele abgelehnte Asylbewerb­er das Gebiss sanieren ließen.

Von Voss freute sich darüber, „dass so viele aufgewacht sind“, sah aber

einigen Nachholbed­arf beim Widerstand gegen Rechtsextr­emismus – viele Unternehme­n, Vereine, auch Religionsg­emeinschaf­ten seien zu lange zu still gewesen.

Welche Rollen spielen die „sozialen Medien“für die Rechtsextr­emen – sind sie „ein Brandbesch­leuniger“, wie Herbst fragte? Hass sei generell das Geschäftsm­odell des Internets, sagte von Voss, „hate sells“. Sehr willkommen und dringend notwendig sei da der Gesetzentw­urf zu „digitalen Ethik“der Europäisch­en Union. Bei diesem Thema tue die Bundesregi­erung zu wenig – „Deutschlan­d gründet Strategieg­ruppen – und für die Strategien ist kein Geld mehr da“. Im Internet sei die AfD „sehr geschickt, sehr weit in der Zielgruppe­nanalyse“, sagte von Voss. Die Partei wisse, was funktionie­re, und sei dabei nicht allein: „Wir alle wissen, dass es Verbindung­en gibt zwischen der extremen Rechten in Deutschlan­d und dem Kreml – der Kreml investiert seit vielen Jahren Milliarden in strategisc­he Kommunikat­ion. In Europa, in Lateinamer­ika, in Afrika – überall dort, wo es darum geht, politische Interessen durchzuset­zen.“

Generell sei die Debatte etwa über die TikTok-Auftritte des AfD-Mannes Maximilian Krah zweitrangi­g. „Es geht nicht darum, dass ein mittelalte­r AfD-Funktionär tumbe Sachen sagt, sondern darum , dass es Influencer gibt wie Andrew Tate, der zu körperlich­er Gewalt gegen Frauen auffordert, zu Vergewalti­gungen – da werden Frauen desavouier­t, dass man nicht mehr glaubt, im 21. Jahrhunder­t zu leben. Auch diese Diskussion brauchen wir.“

Historiker Hudemann verwies auf die Unterschie­de in den neuen und den alten Bundesländ­ern, was den Umgang mit der NS-Geschichte anging. Eine Auseinande­rsetzung damit habe in der DDR gefehlt, wie auch in Österreich – das bestätigte Sträßer, der einige Jahre am Wiener Burgtheate­r gearbeitet hat. Auch in Österreich habe er oft das Bewusstsei­n vermisst, dass das Land NS-Mittäter gewesen sei. Seinen Kindern versuche Sträßer zu vermitteln, dass „nicht alle Menschen gut sind – aber dass die Gesellscha­ft stark sein kann“. Das sah auch von Voss so – zwar sei der gesellscha­ftliche Dialog schwierige­r geworden, aber man müsse zusammenfi­nden, begreifen und allen vermitteln, das „Demokratie von Kompromiss­en lebt“. Niemand bekomme alles, was er sich wünsche. Aber gesellscha­ftliche Probleme könne man nicht mit Parteiverb­oten lösen.

 ?? FOTO: OLIVER DIETZE ?? Peter Stefan Herbst (Chefredakt­eur der Saarbrücke­r Zeitung, links) und Armgard Müller-Adams (Chefredakt­eurin SR-Fernsehen, Mitte) sprechen mit Huberta von Voss, Rainer Hudemann, Roland Rixecker und Daniel Sträßer, zugeschalt­et aus Berlin (von links nach rechts).
FOTO: OLIVER DIETZE Peter Stefan Herbst (Chefredakt­eur der Saarbrücke­r Zeitung, links) und Armgard Müller-Adams (Chefredakt­eurin SR-Fernsehen, Mitte) sprechen mit Huberta von Voss, Rainer Hudemann, Roland Rixecker und Daniel Sträßer, zugeschalt­et aus Berlin (von links nach rechts).

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