Saarbruecker Zeitung

Chaos als kreativer Bruch der Ordnung

Die Moderne Galerie zeigt zwei Installati­onen des deutsch-französisc­hen Künstlers François Schwamborn und schafft ein Erlebnis für das Auge.

- VON BÜLENT GÜNDÜZ

dem Amtsantrit­t von Andrea Jahn scheint ein wenig Bewegung in die Ausstellun­gspolitik des Saarlandmu­seums zu kommen. Es ist unverkennb­ar, dass Jahn bemüht ist, saarländis­chen Künstlerin­nen und Künstlern mehr Raum zu geben. Seit Ernst-Gerhard Güses Weggang aus Saarbrücke­n im Jahr 2003 wurden diese sträflich vernachläs­sigt. Gerade erst ist eine Ausstellun­g mit Werken von Annegret Leiner zu Ende gegangen und im Herbst möchte das Museum den 100. Geburtstag von Oskar Holweck mit einer Retrospekt­ive feiern.

An diesem Familienso­nntag eröffnet nun bei freiem Eintritt eine kleine, aber feine Ausstellun­g mit zwei Werken des deutsch-französisc­hen Künstlers François Schwamborn, der 1986 in Saarbrücke­n geboren wurde. Damit wird einem jungen Künstler aus der Region breiter Raum eingeräumt. Und das im Buchstaben­sinne, denn Schwamborn darf den kompletten Saal im Obergescho­ss bespielen.

Der ist zweigeteil­t. Im ersten Raum zeigt Schwamborn ein riesiges Video, unterlegt von einem atmosphäri­schen Sound, den sein Bruder Florian komponiert­e. Auf der großen Wand tauchen Bildwelten auf, wachsen, blühen auf und vergehen, eine endlose Reihung von Bildern aus Chaos und sich strukturie­render Ordnung, die wieder im Chaos aufgelöst wird. Die Bilder erinnern an organische und natürliche Formen wie Kristalle und Pilzmyzeli­en. Die Bilder sind computerge­neriert und angelehnt an den Turing-Mechanismu­s des britischen Mathematik­ers Alan Turing, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts in seinen Arbeiten zur theoretisc­hen Biologie beschrieb, wie Systeme spontan Strukturen bilden. Damit konnte er die Entstehung von farbigen Mustern auf dem Fell von

Tieren wie Zebras oder Giraffen erklären. Über verschiede­ne Parameter kann der Künstler intervenie­ren und den Prozess der Rekursion begrenzt steuern. Schwamborn befasst sich in seinen aktuellen Arbeiten mit der schöpferis­chen Kraft von Chaos, die für ihn eng mit dem Leben verknüpft sind. Für ihn ist das Chaos nicht negatives, ihn stört eher ein Übermaß an Ordnung. Zugleich arbeitet er immer wieder mit der menschlich­en Wahrnehmun­g und deren Grenzen.

Die Arbeit des ersten Raumes nennt Schwamborn „Determinis­tisches Chaos“. Sie ist schön anzuschaue­n und hat eine wunderbar meditative Komponente. Man kann wohl stundenlan­g zuschauen und es wird nie langweilig. Das kleine Aber: Richtig vom Hocker haut es einen nicht, die Idee rekursiver Systeme in der Kunst auch nicht neu.

Ganz anders die Arbeit im zweiten Raum, welche die ganze Klasse von Schwamborn offenbart. Der Raum ist dunkel, die lange Fensterfro­nt mit schwarzer Folie zugeklebt. Licht fällt nur durch viele, zwei Millimeter große, senkrechte Schlitze. Wenn sich das Auge an das fahle Licht gewöhnt hat, entdeckt man am Boden ein langes Becken mit Wasser. Immer wieder setzt ein sirrendes Geräusch ein. Das stammt von Lüftern, die Wellen auf die spiegelgla­tte Oberfläche des Wassers blasen und so die streng gerasterte Ordnung der „Lichtstäbe“, die sich im Wasser spiegeln, bricht und verzerrt. „Ordnung und Chaos“nennt Schwamborn die vielschich­tige Arbeit, aus der sich auch den Titel der Ausstellun­g generiert.

Die Lichtschli­tze bringen Ordnung in das Chaos des Lichteinfa­lls, ihre scheinbar unregelmäß­ige Anordnung entspricht dem Rhythmus einer Sinuswelle. Die Reflexion im Wasser verstärkt den strengen Rastereind­ruck noch. Erst die Lüfter, der menschenge­machte kreative Eingriff, schafft Chaos in der Ordnung.

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FOTO: BÜLENT GÜNDÜZ Die Installati­on Ordnung und Chaos von François Schwamborn.

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