Zwei kluge Köpfe überzeugen mit eigenwilligem Comic-Abend
Bildergeschichten und starke, tiefgründige Texte stießen bei einer bemerkenswerten Lesung auf ein überraschend großes Publikum.
Comic-Lesung? Wie soll das denn funktionieren? Im Grunde ganz simpel, denn die geschätzt hundert Gäste am Mittwochabend im Café Kosmos des neuen, solidarischen Kulturzentrums in der Saarbrücker Innenstadt saßen wie im Kino vor einer großen Leinwand, auf der die Comic-Abbildungen wie beim Blättern im Buch Seite für Seite gezeigt wurden.
Neben der Leinwand im gemütlichen Halbdunkel saß jeweils der Autor, die Autorin oder in einem Fall auch ein Sprecher, weil der geistige Urheber nicht kommen konnte, und lasen vor. Manchmal ganz klassisch einfach die kurzen Sätze oder auch Laute, die ihre Comic-Protagonisten und -Protagonistinnen sprechen, manchmal aber auch längere Textpassagen, die über oder neben den Illustrationen zu sehen waren.
Und dabei waren die Bilder genauso vielfältig wie die Geschichten. Wie sieht es aus, wenn eine Ameise in eine Bar kommt? Wie, wenn eine Spinne in eine Bar kommt? Und wie, wenn zu guter Letzt ein Meteorit in eine Bar kommt?
Zum Auftakt gab es diese genauso
spielerische wie amüsante Aneinanderreihung ungewöhnlicher Bar-Besuche in dem Comic des HBK-Absolventen Holger Zeck.
Den Übergang zur Hochkultur hat Sabrina Fromm versucht, indem sie sich in ihrem Werk dem Gedicht „Ein
sogenannter schöner Tod“der Lyrikerin Mascha Kaléko gewidmet hat.
Manon Scharstein, die den Abend mit ihrer Piu-Piu-Kollektiv-Partnerin Denise Wagner organisiert hatte, erzählte hingegen ganz ohne Sprechblasen, aber mit kinderbuchartigen, warmherzigen Illustrationen vom schwierigen Umgang mit Demenz.
Die Kommunikationsdesignerin Scharstein hat im letzten Semester zum ersten Mal den Comic-Abendkurs an der Saarbrücker Kunsthochschule geleitet und sich dann überlegt: „Ich will noch ein cooles Abschlussevent machen für den Kurs.“
Beide Künstlerinnen des Kollektivs wollen sich im angestrebten Masterstudium, am liebsten in Hamburg, weiterhin auf Comics und Illustrationen spezialisieren. „Wir haben beide in Saarbrücken studiert, weil es hier noch den Schwerpunkt Comic gab, als wir angefangen haben. Und der wurde dann aber während unserer Studienzeit abgeschafft“, bedauert Wagner.
In großen Städten fänden ja schon genug solcher Comic-Events statt, in Saarbrücken jedoch nur selten, meinen sie. Dabei finden beide, dass die Stadt viele junge, kreative Talente hat, die eben nur mehr Ausstellungs- und Veranstaltungsmöglichkeiten bräuchten.
Eines dieser Talente ist Rahel Pauli, die in der Lesung die immer noch recht unbekannte Krankheit „Vaginismus“liebevoll aufarbeitete, indem sie ihr eine Cartoon-artige Anmutung gibt, ihr eine Rolle zuschreibt. Damit verdeutlicht Rahel Pauli eindrucksvoll, wie schwierig der Umgang mit diesem Problem gerade auch für jungen Frauen ist.
Vaginismus ist ein Scheidenkrampf, der durch das reflexartige, schmerzhafte Zusammenziehen der Beckenboden- und Teilen der Vaginalmuskulatur entsteht, sobald ein Finger, ein Tampon, ein Spekulum beim Frauenarzt oder ein Penis eingeführt werden soll.
Im Comic kommuniziert die Krankheit aus der Vagina der Protagonistin heraus mit ihr, was zum einen das Tabu bricht, das weibliche Geschlechtsteil in detaillierter Übergröße zu betrachten. Und zum anderen zeigt, wie die Scham darüber keinen vaginalen Geschlechtsverkehr haben zu können, auch zur Verzweiflung führen und das ganze
Leben beherrschen kann. Auf tröstliche Art bringt der Comic Betrachtern und insbesondere Betroffenen nahe, dass Patientinnen mit dieser Krankheit nicht allein sind, und wie schwer, aber auch heilsam der Weg zur Selbstakzeptanz ist.
Aufwendig Collage-artig, schon fast realistisch gezeichnet und mit ausgefallenen, visuellen Metaphern bestückt, wirft Denyz Kovalenko mit seinem Comic einen ganz persönlichen Blick auf den Umgang mit dem Ukrainekrieg. Er verarbeitet die Medienflut an grausamen Bildern und den Schmerz, den der Krieg bei ihm tagtäglich hinterlässt.
Ähnlich intim, aber weniger dramatisch erzählt die Mitinitiatorin Denise Wagner von ihrem Anfang in ihrer neuen Wahlheimat Hamburg. Lachend konnte sich das Publikum gut einfühlen in die kleinen Peinlichkeiten, Selbstzweifel und Emotionen, wenn man versucht, Freunde zu finden. Sie beendete den Abend in der Hoffnung, vielleicht über ihr Comic-Kollektiv Piu Piu eine Brücke zwischen der freien Szene Hamburgs und Saarbrückens schlagen zu können.
Beide Organisatorinnen wollen sich im Masterstudium weiter auf Comics und Illustrationen spezialisieren