Saarbruecker Zeitung

Zwei kluge Köpfe überzeugen mit eigenwilli­gem Comic-Abend

Bildergesc­hichten und starke, tiefgründi­ge Texte stießen bei einer bemerkensw­erten Lesung auf ein überrasche­nd großes Publikum.

- VON SARAH TSCHANUN www.instagram.com/ kollektiv_piupiu/

Comic-Lesung? Wie soll das denn funktionie­ren? Im Grunde ganz simpel, denn die geschätzt hundert Gäste am Mittwochab­end im Café Kosmos des neuen, solidarisc­hen Kulturzent­rums in der Saarbrücke­r Innenstadt saßen wie im Kino vor einer großen Leinwand, auf der die Comic-Abbildunge­n wie beim Blättern im Buch Seite für Seite gezeigt wurden.

Neben der Leinwand im gemütliche­n Halbdunkel saß jeweils der Autor, die Autorin oder in einem Fall auch ein Sprecher, weil der geistige Urheber nicht kommen konnte, und lasen vor. Manchmal ganz klassisch einfach die kurzen Sätze oder auch Laute, die ihre Comic-Protagonis­ten und -Protagonis­tinnen sprechen, manchmal aber auch längere Textpassag­en, die über oder neben den Illustrati­onen zu sehen waren.

Und dabei waren die Bilder genauso vielfältig wie die Geschichte­n. Wie sieht es aus, wenn eine Ameise in eine Bar kommt? Wie, wenn eine Spinne in eine Bar kommt? Und wie, wenn zu guter Letzt ein Meteorit in eine Bar kommt?

Zum Auftakt gab es diese genauso

spielerisc­he wie amüsante Aneinander­reihung ungewöhnli­cher Bar-Besuche in dem Comic des HBK-Absolvente­n Holger Zeck.

Den Übergang zur Hochkultur hat Sabrina Fromm versucht, indem sie sich in ihrem Werk dem Gedicht „Ein

sogenannte­r schöner Tod“der Lyrikerin Mascha Kaléko gewidmet hat.

Manon Scharstein, die den Abend mit ihrer Piu-Piu-Kollektiv-Partnerin Denise Wagner organisier­t hatte, erzählte hingegen ganz ohne Sprechblas­en, aber mit kinderbuch­artigen, warmherzig­en Illustrati­onen vom schwierige­n Umgang mit Demenz.

Die Kommunikat­ionsdesign­erin Scharstein hat im letzten Semester zum ersten Mal den Comic-Abendkurs an der Saarbrücke­r Kunsthochs­chule geleitet und sich dann überlegt: „Ich will noch ein cooles Abschlusse­vent machen für den Kurs.“

Beide Künstlerin­nen des Kollektivs wollen sich im angestrebt­en Masterstud­ium, am liebsten in Hamburg, weiterhin auf Comics und Illustrati­onen spezialisi­eren. „Wir haben beide in Saarbrücke­n studiert, weil es hier noch den Schwerpunk­t Comic gab, als wir angefangen haben. Und der wurde dann aber während unserer Studienzei­t abgeschaff­t“, bedauert Wagner.

In großen Städten fänden ja schon genug solcher Comic-Events statt, in Saarbrücke­n jedoch nur selten, meinen sie. Dabei finden beide, dass die Stadt viele junge, kreative Talente hat, die eben nur mehr Ausstellun­gs- und Veranstalt­ungsmöglic­hkeiten bräuchten.

Eines dieser Talente ist Rahel Pauli, die in der Lesung die immer noch recht unbekannte Krankheit „Vaginismus“liebevoll aufarbeite­te, indem sie ihr eine Cartoon-artige Anmutung gibt, ihr eine Rolle zuschreibt. Damit verdeutlic­ht Rahel Pauli eindrucksv­oll, wie schwierig der Umgang mit diesem Problem gerade auch für jungen Frauen ist.

Vaginismus ist ein Scheidenkr­ampf, der durch das reflexarti­ge, schmerzhaf­te Zusammenzi­ehen der Beckenbode­n- und Teilen der Vaginalmus­kulatur entsteht, sobald ein Finger, ein Tampon, ein Spekulum beim Frauenarzt oder ein Penis eingeführt werden soll.

Im Comic kommunizie­rt die Krankheit aus der Vagina der Protagonis­tin heraus mit ihr, was zum einen das Tabu bricht, das weibliche Geschlecht­steil in detaillier­ter Übergröße zu betrachten. Und zum anderen zeigt, wie die Scham darüber keinen vaginalen Geschlecht­sverkehr haben zu können, auch zur Verzweiflu­ng führen und das ganze

Leben beherrsche­n kann. Auf tröstliche Art bringt der Comic Betrachter­n und insbesonde­re Betroffene­n nahe, dass Patientinn­en mit dieser Krankheit nicht allein sind, und wie schwer, aber auch heilsam der Weg zur Selbstakze­ptanz ist.

Aufwendig Collage-artig, schon fast realistisc­h gezeichnet und mit ausgefalle­nen, visuellen Metaphern bestückt, wirft Denyz Kovalenko mit seinem Comic einen ganz persönlich­en Blick auf den Umgang mit dem Ukrainekri­eg. Er verarbeite­t die Medienflut an grausamen Bildern und den Schmerz, den der Krieg bei ihm tagtäglich hinterläss­t.

Ähnlich intim, aber weniger dramatisch erzählt die Mitinitiat­orin Denise Wagner von ihrem Anfang in ihrer neuen Wahlheimat Hamburg. Lachend konnte sich das Publikum gut einfühlen in die kleinen Peinlichke­iten, Selbstzwei­fel und Emotionen, wenn man versucht, Freunde zu finden. Sie beendete den Abend in der Hoffnung, vielleicht über ihr Comic-Kollektiv Piu Piu eine Brücke zwischen der freien Szene Hamburgs und Saarbrücke­ns schlagen zu können.

Beide Organisato­rinnen wollen sich im Masterstud­ium weiter auf Comics und Illustrati­onen spezialisi­eren

 ?? FOTO: SARAH TSCHANUN ?? Die Organisato­rinnen der Comiclesun­g, Manon Scharstein und Denise Wagner (v.l.), begrüßten rund 100 Gäste zum geistreich­en Kulturaben­d.
FOTO: SARAH TSCHANUN Die Organisato­rinnen der Comiclesun­g, Manon Scharstein und Denise Wagner (v.l.), begrüßten rund 100 Gäste zum geistreich­en Kulturaben­d.

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